Schneller Erfolg des BSW: Gekommen, um zu spalten | ABC-Z
Sahra Wagenknecht gilt nicht als großes Organisationstalent. Satzungen erarbeiten, in Gremien sitzen, dieses Sachbearbeiterhafte des Politikbetriebs, das hat sie noch nie sehr interessiert. Als sie vor einem Jahr ankündigte, dass sie eine neue Partei gründen werde, waren deshalb viele skeptisch. Grandios gescheitert war sie mit so etwas schon einmal. Ihre linke Sammelbewegung „Aufstehen“ blieb 2018 im Matsch stecken, noch bevor sich jemand auf den langen Marsch machen konnte.
Inzwischen hat sie ihre Zweifler gründlich widerlegt. Binnen eines Jahres ist ihr BSW zu einer maßgeblichen politischen Kraft geworden. 6,2 Prozent bei den Europawahlen, zweistellig in den Landtagen von Brandenburg, Sachsen und Thüringen, in Potsdam und Erfurt wohl bald an der Regierung: So einen rasanten Aufstieg hat die deutsche Politik selten erlebt. Beim BSW sagen sie, Wagenknecht habe aus ihren Fehlern bei „Aufstehen“ gelernt und die Organisation dieses Mal den Profis überlassen. Deshalb sei es jetzt besser gelaufen. Entscheidend dürfte aber der Zeitpunkt der Gründung gewesen sein, eine „once in a lifetime“-Chance.
Nicht nur die dauerzerstrittene Linke, die sie und ihr Mann Oskar Lafontaine über Jahre systematisch demontiert hatten, machte es Wagenknecht leicht. Auch die chaotische Ampelpolitik, die ungelöste Migrationsfrage und vor allem Putins Drohkulissen nach dessen Einmarsch in die Ukraine bauten ihr eine steile Rampe aus Frust, Entfremdung und Angst, von der aus sie im Rosa-Luxemburg-Kostüm in den Himmel schoss.
Seitdem polemisiert die „linke Konservative“ mit Lust gegen eine vermeintlich „dominante Meinungsblase“ und den angeblichen „Genderwahn“. Wagenknecht plant aber viel mehr: einen grundlegenden Umbau des Staates und Europas. Sie rührt an die EU und die Westbindung ebenso wie an Deutschlands NATO-Mitgliedschaft; den Klimaschutz will sie beschneiden und wieder mehr auf billige fossile Energie setzen, auch aus Russland. Sie plädiert für eine Expertenregierung nach der Bundestagswahl und schürt so den verbreiteten Verdacht, „die Politiker“ der etablierten Parteien könnten es allesamt nicht. Damit, aber vor allem in der Migrations- und Ukrainepolitik, fischt Wagenknecht im selben trüben Teich wie die AfD. Wie diese relativiert sie Putins Aggressivität und gibt nicht dem Despoten, sondern dem Westen die Schuld an dessen Angriffskrieg. Und mit jeder nuklearen Drohung aus Moskau fallen ihre Forderungen nach Frieden um fast jeden Preis auf noch fruchtbareren Boden. Das zeigen die bundesweiten Umfragen, in denen das BSW zeitweilig bei acht Prozent lag.
Wochenlange Verhandlungen über die „Friedensformel“
Für die anderen Parteien ist Wagenknechts Erfolg ein großes Problem. In Thüringen hätten mit BSW und AfD zum ersten Mal zwei populistische Parteien eine Mehrheit, auch wenn Wagenknecht eine Zusammenarbeit noch ausschließt. Weil die klassischen Bündnisse weitgehend erodiert sind, haben die Parteien der Mitte oft nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera: Entweder sie riskieren die Unregierbarkeit, wenn sich jenseits von BSW und AfD keine Mehrheit mehr findet, oder sie entscheiden sich für die graduelle Selbstverleugnung: Erst weisen sie jede Zusammenarbeit empört zurück, dann erklären sie diese theoretisch doch für möglich – und am Ende gehen sie zähneknirschend eine Koalition ein.
Wohin das führen kann, zeigte sich im Herbst in Erfurt, wo man wochenlang um eine „Friedensformel“ im Koalitionsvertrag rang. Eigentlich hat die CDU einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit Linken und AfD, für das BSW gibt es den aber nicht. Also übten sich CDU-Leute schon im Sommer in semantischen Verrenkungen, um zu erklären, warum der gemäßigte Linke Bodo Ramelow indiskutabel sei, die frühere Kommunistin Wagenknecht aber eine denkbare Partnerin. In den Sondierungsgesprächen kam CDU-Mann Mario Voigt dem BSW beim heiklen Thema Ukraine weit entgegen. Das Ergebnis war eine Kompromissformel, mit der man in Erfurt zufrieden war – im Saarland aber nicht.
Vor allem die Kritik an der geplanten Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland ging Wagenknecht nicht weit genug. Ihre Vertrauten zogen daraufhin öffentlich gegen Wolf ins Feld. In Thüringen registrierten sie zudem erstaunt einen plötzlichen Mitgliederzuwachs. Die Parteispitze um Wagenknecht hatte sie am Landesverband vorbei aufgenommen – mutmaßlich, um ihre Truppen zu stärken.
Angesichts solcher Methoden fühlten sich manche gleich wieder an Wagenknechts Zersetzungsfuror aus Linken-Tagen erinnert. Am Ende stimmte sie einem überarbeiteten Text zwar zu – nach dem Ampel-Aus kann sie sich im Wahlkampf keine Unruhe im BSW erlauben. Für viele war der Machtkampf dennoch ein Beleg, warum man mit der Populistin besser keine Geschäfte machen sollte.
Sie dürften sich bestätigt gesehen haben, als das BSW in Sachsen die Koalitionsgespräche mit SPD und CDU überraschend platzen ließ, obwohl die als konstruktiv galten. Viele in der CDU glauben, dass auch das auf Wagenknechts Geheiß hin geschah. Jetzt will Michael Kretschmer eine Minderheitsregierung mit der SPD bilden – für seine Wahl zum Ministerpräsidenten fehlen ihm aber zehn Stimmen. Mancher befürchtet schon den nächsten Erpressungsversuch, der dann vielleicht wieder nicht aus Dresden kommt, sondern aus Berlin.
Das BSW, ein unsicherer Kantonist
Selbst in Brandenburg blitzt schon wieder das Chaos auf. Da ist die SPD dem BSW in der Friedensfrage am weitesten entgegengekommen, und beide Parteien haben dem Koalitionsvertrag bereits zugestimmt. Die Harmonie müsste also eigentlich groß sein. Doch dann drohte der BSW-Abgeordnete Sven Hornauf kürzlich damit, Dietmar Woidke wegen der geplanten Stationierung des Raketenabwehrsystems Arrow 3 in Schönewalde nicht zum Ministerpräsidenten zu wählen. Die Landtagsfraktion bestellte Hornauf zum Rapport; bei der Wahl am Mittwoch fehlten Woidke im ersten Wahlgang dann aber sogar drei Stimmen. Erst im zweiten Wahlgang später wurde Woidke mit fünf Stimmen über der Mehrheit gewählt – ob auch die von Hornauf dabei war, blieb wegen der geheimen Wahl unklar.
Für eine verlässliche Partei steht das alles nicht. Manche glauben, für Wagenknecht sei die Regierungsbeteiligung in den Ländern ohnehin nur Beifang – eigentlich wolle sie in den Bundestag und dann das tun, was sie am liebsten macht: die anderen auf der großen Bühne vor sich hertreiben, mit markigen Interviews und lauten Forderungen, die sie selbst nie verwirklichen muss. Dabei steigt für Wagenknecht mit jedem Tag, an dem sie in den Ländern regiert, das Risiko, ihre Wähler zu enttäuschen. Beim Thema Frieden dürfte sie im Wahlkampf zwar weiter versuchen, mit einfachen Parolen gegen die „Kriegstreiber“ zu punkten. Aber wenn sie in Erfurt oder Potsdam unangenehme Entscheidungen mittragen muss oder weiter vor allem durch Streit auffällt, dann könnte ihre Anziehungskraft schwinden.
Auch die Enttäuschten und Empörten merken es irgendwann, wenn es immer nur um große Sprüche geht statt um Verbesserungen ihres Alltags. Erste Anzeichen dafür gibt es bereits. In den Umfragen ist das BSW zuletzt abgesackt.