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Schauspielerin Bibiana Beglau sucht die Wildnis – auch im Berliner Tiergarten – Gesellschaft | ABC-Z

Das mit der Wildnis muss man natürlich relativ sehen, mitten in einer Millionenstadt. Bibiana Beglau läuft an diesem sonnigen Oktobertag im Tiergarten nur ein paar Meter durchs Gras, bevor sie sich bückt, eine Plastiktüte aufhebt und in den nächsten Mülleimer wirft. Auch sie selbst sieht mehr nach Business aus als nach Expedition: Zum gepunkteten Kleid trägt die 53-Jährige Blazer und Lederschuhe. „Ich liebe die Stadt“, sagt sie, „aber ich werde unruhig, wenn ich länger nicht draußen in der Natur war. Dann fehlt mir ein Teil meiner Existenz.“ Sie zeigt auf ihre Fingernägel, unter denen man noch Reste von Erde erkennt. Am Vortag sei sie auf dem Land gewesen, in ihrer „Datsche“, wie sie sagt, mitten in einem Wald in Brandenburg. Sie hat Laub gerecht, zu kleinen Haufen, in denen Tiere Unterschlupf finden können. Doch wenn die Zeit nicht reicht, um rauszufahren aufs Land, geht Beglau in den Tiergarten und holt sich die Natur nach Hause.

Die Zeit reicht in der Tat oft nicht. Beglau ist eine der gefragtesten Schauspielerinnen Deutschlands, sie steht auf allen wichtigen deutschsprachigen Theaterbühnen. Ihr Durchbruch vor der Kamera gelang ihr im Jahr 2000: In Volker Schlöndorffs Film „Die Stille nach dem Schuss“ verkörperte sie eine RAF-Terroristin. Gerade erst war sie im Fernsehfilm „Querschuss“ zu sehen, demnächst spielt sie im Kinofilm „Die geschützten Männer“ mit.

Sie gräbt Pflanzen im Tiergarten aus und päppelt sie auf ihrem Balkon auf

Die Zeit in der Natur sei ein Ausgleich, zur Ruhe kommt sie dabei aber nicht. „Ich mache da immer ziemlich viel“, sagt sie. Im Sommer gräbt sie im Tiergarten Wolfsmilch aus, pflanzt sie auf dem Balkon ihrer Stadtwohnung in frische Erde und päppelt sie auf, bevor sie die Pflanze wieder in der Natur aussetzt, meistens im Wald nahe ihrer Datsche auf dem Land. „Wolfsmilch lieben die Bienen“, sagt sie. Auf ihrem Balkon stellt sie Wassernäpfe für Insekten auf. „Ich bin immer wieder fasziniert, wie viele Arten da angeschwirrt kommen, und welcher Betrieb dort herrscht.“

Spricht Bibiana Beglau von der Natur, beschreibt sie eine Verbundenheit, ja Empathie, die sie ihr gegenüber spürt. Sie unterbricht sich immer wieder selbst, weil sie nicht esoterisch klingen möchte. Denn so meine sie das nicht. „Ich muss nicht mit Bäumen kuscheln, für mich ist die Natur wie ein Kumpel, an den ich mich anlehnen kann.“ Draußen spüre sie eine „große innere Aufgehobenheit“, eine Art Freundschaft. „Und ich brauche meinen alten Freund zunehmend mehr.“ Dabei sei es egal, in welcher Art von Natur sie sich aufhalte. „Ich bin glücklich im Wald, auf dem Berg oder am Meer, ich könnte auch in der Wüste sitzen, wenn da ein Schluck Wasser für mich drin wäre.“ Am intensivsten erlebt sie Natur allein. „Wenn ich alleine im Wald bin, rede ich manchmal mit ihr und bedanke mich dafür, dass ich heute hier sein darf.“ Wieder überlegt sie und ergänzt: „Das ist nichts Sentimentales, sondern mehr so, wie man den Nachbarn Guten Tag sagt.“

Draußen, sagt Bibiana Beglau, egal ob im Wald oder am Meer, spüre sie eine „große innere Aufgehobenheit“. (Foto: Foto: Kathrin Hollmer)

Vor einer Buche bleibt sie nun stehen und guckt den Pilz an, der an dem Stamm wächst. „Der ist so zart wie ein außerirdisches Wesen, und ich habe keinen Schimmer, wie diese Dinger eigentlich funktionieren“, sagt sie, ehrlich entzückt, und streichelt ihn. Ihre Begeisterung hat etwas Kindliches. „Ich muss ihn anfassen, ich muss mich damit verbinden“, erklärt sie. „Und da!“, ruft Beglau und zeigt auf einen Käfer. Sie denkt laut über den Zusammenhang zwischen Vergänglichkeit und Beständigkeit nach. „In der Natur gibt es Eintagsfliegen und tausend Jahre alte Bäume, da steckt doch Humor drin. Da krieg ich sofort gute Laune.“ Oder wenn sie vor ihrer Datsche sitzt, ein Buch liest, und ein Rohrpfeifer singt so laut, dass sie sich nicht konzentrieren kann – „das ist doch lustig!“

Sie läuft weiter, immer wieder prüft sie auf ihrem Handy, ob sie noch auf dem richtigen Pfad ist. Beim Gehen pflügt sie durchs Laub, damit es raschelt, sie lacht dabei. Beglau springt von Thema zu Thema, so schnell, dass man zwischendurch Mühe hat, ihr zu folgen. Sie zitiert Alexander von Humboldt, der in einem Aufsatz vor Abholzung warnte, und schwärmt von den Farben des Isenheimer Altars. Sie erinnert sich an den Science-Fiction-Film „Arrival“, in dem Außerirdische auf der Erde landen und die Menschen sie automatisch als Feinde einstufen, und an den oscarprämierten „Oppenheimer“: „Da fand ich ‚Barbie‘ erhellender.“

„Ich glaube, die Tiere finden uns Menschen einfach interessant“, sagt Bibiana Beglau

Schon als Kind zog es Beglau in die Natur, auch wenn sie in Braunschweig aufwuchs. Ihre Lieblingsbeschäftigung als kleines Mädchen: schöne Steine sammeln. Einmal habe sie stundenlang regungslos in einem Seerosen-Teich gelegen, um die Kaulquappen um sie herum nicht zu vertreiben. „Tausende von kleinen Freunden waren das“, sagt sie. Doch am liebsten war sie im Wald. „Es konnte nicht wild genug sein.“ Angst habe sie in der Natur noch nie gehabt. Nicht mal vor Hornissen, die bei vielen Menschen Panik auslösen. Neulich erst, als Beglau länger nicht in ihrer Datsche war, entdeckte sie ein Nest. „Ich glaube, die Tiere finden uns Menschen einfach interessant und wollen mit uns kommunizieren.“ Immer wieder seien einzelne Tiere um sie herumgeflogen, doch Beglau blieb ganz still. Nach ein paar Tagen hörten die Hornissen auf damit. „Sie hatten sich wohl an mich gewöhnt.“

Dabei hat Beglau durchaus Grenzerfahrungen in und mit der Natur gemacht. Mit fünf aß sie rohe schwarze Holunderbeeren, weil sie den Geschmack mochte – so viel davon, dass sie Schüttelfrost bekam und ihre Mutter ihr Salzwasser einflößte, damit sie erbrach. Beim Tauchen ging sie einmal tiefer als vereinbart, bis es irgendwann so dunkel war, dass sie kurz die Orientierung verlor. In der Sinai-Wüste schlief sie alleine im Freien. Auch da, keine Angst? „Nö.“ Stattdessen schwärmt Beglau von der Dunkelheit und dem übermächtigen Sternenhimmel. Das schönste Naturerlebnis – „Achtung, jetzt wird’s richtig eklig kitschig, U2-Musik anmachen im Kopf, bitte“ – erlebte sie Anfang der 1990-er Jahre. Da fuhr sie die Route 66 entlang und hielt an einer Stelle oberhalb des Monument Valleys. „Dieser Anblick war so unfassbar gewaltig, dass ich verstanden habe, warum wir Menschen Wolkenkratzer bauen: Es schien mir, als müssen wir Menschen etwas noch Gewaltigeres erschaffen, damit wir uns nicht als so unendlich klein und bedeutungslos empfinden.“

Beim Rosengarten angekommen, bückt sich Bibiana Beglau über einen Zaun und streicht über die grünen Blätter einer Stockrose. Als sie ein paar Meter weiter Wolfsmilch-Stauden entdeckt, ärgert sie sich, weil sie Eimer und Schaufel nicht dabeihat.

Ihre Begeisterung für die Natur hat sie sozusagen geerbt. Ihre Eltern (die Mutter war Krankenschwester, der Vater Grenzbeamter) hatten immer einen Garten, Beglaus Mutter wuchs auf einem Hof in Niederbayern auf. Die Mutter meldete sie zur Abiturzeit sogar für eine Ausbildung auf einer biodynamischen Farm in Ägypten an, von der sie gelesen hatte. „Das fand ich aber sehr übergriffig“, erzählt Beglau. „Ich wollte etwas mit Kunst machen, konnte das aber nicht ausreichend kommunizieren, weil ich aus einer sehr unkünstlerischen Familie stamme.“ Eigentlich wäre sie gern Bildhauerin geworden, doch die Bewerbungsmappe für die Kunsthochschule in Braunschweig bekam sie nicht rechtzeitig fertig. Weil ihre Eltern Druck machten, so erzählt sie es bis heute, sprach sie eben an der Schauspielschule in Hamburg vor. „Ich dachte: Text lernen kann jeder.“

Natürlich gehört mehr dazu. Großes Talent, diese Präsenz und Körperlichkeit, die Beglaus Spiel auszeichnen. Ihre Figuren sind oft extrem: Sie war der Teufel in „Faust“ und Reichsbürger Hans in Jan Bonnys Serie „Freiheit ist das Einzigste, was zählt“. In „Unter dem Eis“ verkörperte sie eine Mutter, die den Mord vertuscht, den ihr Sohn begangen hat, und im Fernsehfilm „Sieben Stunden“ eine Psychotherapeutin, die im Gefängnis von einem Sexualstraftäter als Geisel genommen und vergewaltigt wird. Ab 12. Dezember ist sie im Kinofilm „Die geschützten Männer“ zu sehen. In dem Film bricht ein Virus aus, das nur Männer befällt. Beglau ist darin die skrupellose Chefin eines Pharmakonzerns – „ein Riesenspaß“, wie sie sagt. Im Januar spielt sie die Titelrolle in Molières „Der Tartuffe“ am Wiener Burgtheater.

Inzwischen steht Beglau am Ufer des Venusbassins, geht in die Hocke und fasst ins Wasser. „Ich stelle mir vor, wie ein Frosch hier reinspringt und seine Welt genießt“, sagt sie. Beim Tauchen denke sie manchmal darüber nach, ob sie es als Fisch hier gemütlich finden würde. Das sei ihr Tick, ihre Schrulle, ihre „Grille“, sagt Beglau dazu.

Auch in dieser Ecke des Tiergartens gibt es Absperrungen und Mülleimer, doch das interessiert die Natur nicht. Sträucher wachsen durch den Draht, Moos breitet sich über große Steine aus, Gräser und Disteln wachsen durcheinander. „Das Wilde zieht mich eben an“, sagt Beglau. Zur Not reicht da auch mal die Wildnis in der Stadt.

Keine Leidenschaft ohne Utensilien! Diese drei Gegenstände braucht Bibiana Beglau in der Natur:

Die Schaufel

(Foto: privat)

„Im Frühjahr sammle ich Waldmeister und Buschwindröschen und im Sommer Wolfsmilch und Frauenmantel. Mit meinem Schäufelchen grabe ich sie aus. Auf dem Balkon bekommen sie ein Zwischenlager, sozusagen einen Tapetenwechsel. Dann werden sie im Wald ausgesetzt als Bodendecker. Manchmal bringe ich sie aber auch Freunden mit.“

Der Eimer

(Foto: privat)

„Eimer oder ein anderes Gefäß für den Transport von Pflanzen und Wasser braucht man immer. Gerade habe ich für die Hartmann Gesellschaft in München ‚Des Simplicius Simplicissimus Jugend‘ interpretiert, da sagt der Simpel: ‚Dann haben wir, wenn alles gut läuft, ein stumpfes Messer, einen Häfen – also einen Topf –, und eine Haue.‘ Bei mir ist es der Eimer, aber vom Prinzip verstehe ich das gut, damit kommt man in der Natur zurecht.“

Das Multifunktionstuch

(Foto: privat)

„Ich habe ein Tuch aus sehr leichter gut verarbeiteter Wolle. Es ist Decke, Kleidung und Lichtschutz. Die Decke nimmt die größte Hitze und schlimmste Kälte, wie eine Rettungsdecke. Sie ist ziemlich dünn, man kann sie ganz klein zusammenlegen, ich nehme sie überall mit hin.“

Bohnensalat zubereiten mit Jan Delay, Schallplatten hören mit Léa Linster, Kunst machen mit Wolfgang Niedecken: Weitere Folgen von „Meine Leidenschaft“ finden Sie hier.

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