Schafkopfen mit Fernsehkoch Alexander Herrmann und seinen Freunden – Gesellschaft | ABC-Z
Jetzt also umdisponieren. Aufgeregtes Herumtelefonieren, kollektives Grübeln. Alexander Herrmann steht in der Lobby des Posthotel AH im fränkischen Wirsberg, irgendwo zwischen Bayreuth und Kulmbach. Er führt das Hotel in fünfter Generation, neben 39 Gästezimmern sind dort auch sein Fine-Dining-Restaurant Aura, das Bistro Oma & Enkel, eine Kochschule und neuerdings ein sogenanntes Future Lab untergebracht. Das Haus ist von 1869, innen wurde alles geschmackvoll renoviert, in dunklem Grau die Wände.
„Beim Schafkopfen kann man sich schon mal wahnsinnig über den anderen aufregen“
Die Schafkopf-Truppe ist ein eingeschworenes Quartett. Die vier Männer, alle um die 50, kennen sich seit „ewig“, seit der Schulzeit und teilen seit Jahren eine gemeinsame Leidenschaft: das Kartenspielen. Mehr als viermal im Jahr treffen sie sich allerdings nicht, es soll etwas Besonderes bleiben, sagt Herrmann. „Würden wir es jeden Monat machen, wäre es eine Pflichtveranstaltung und dann kein Spaß mehr.“
Wobei: Spaß? Danach sieht es gerade nicht aus. Damit die Schafkopf-Abende für alle Beteiligten eine große Freude sind, müssen die Rahmenbedingungen stimmen, und die werden verdammt ernst genommen. Man müsse schon genau gucken, dass der Ersatzmann zur Runde passt, sagt Herrmann. Sonst bekäme das eine ganz andere Dynamik. „Beim Schafkopfen kann man sich schon mal wahnsinnig über den anderen aufregen, doch jeder weiß, wie es gemeint ist.“ Nach dem Spiel sei jeder Streit wieder vergessen. Die vier Freunde haben denselben Humor, sind auf einer Wellenlänge. Keiner ist beleidigt, wenn mal ein blöder Spruch fällt.
Das sind die Softskills, die vom Neuzugang erwartet werden. Mit Castings kennt sich Herrmann aus, seit 2013 ist er Juror der Kochsendung „The Taste“. Die Wahl ist nun gefallen: Der Joshi Osswald soll es machen. „Der ist charakterfest“, sagt Herrmann und grinst. „Der schert sich auch nicht drum, dass heute die Presse mit dabei ist.“ Soll ja alles so authentisch wie immer ablaufen. Joshi arbeitet seit mehr als zehn Jahren als Foodscout für Herrmann, ist die Schnittstelle zwischen Restaurant und den Lebensmittelerzeugern, die er im fränkischen Umland sucht, denn gekocht wird bei Herrmann und Küchenchef Tobias Bätz fast ausschließlich mit regionalen Zutaten. Zusammen haben die drei gerade das Kochbuch „Aura + Anima“ herausgebracht, das vor allem den Bauern, Metzgern, Winzern im Umland eine Bühne öffnet.
Praktisch jeder, der hier im ländlichen Raum aufwächst, kann Schafkopfen. Es gilt als Kulturgut und Teil der bayerischen und fränkischen Lebensart. Herrmann hat es als Bub von seinem Großvater gelernt, mit 13 gründete er eine Schafkopf-AG an der Schule. Das Spiel erfordert hohe Konzentration, maximale Denkleistung, wie beim Schach. Währenddessen blende man alles andere aus und schaue mal ein paar Stunden nicht aufs Handy. „Der Erholungseffekt für den Geist ist beim Schafkopfen größer, als man meint“, sagt Herrmann. Gleichzeitig habe das Spiel viel mit Psychologie zu tun, man lernt so einiges über sich und die anderen. Herrmann kann auf vieles verzichten, aber „aufs Schafkopfen? Niemals!“ Macht man die Augen zu, klingt er ein bisschen wie Markus Söder, für den er auch mal ein Kochbuch geschrieben hat.
Lange Rede, endlich Abfahrt. Gespielt wird nicht im Posthotel, „da hätten wir ja keine Ruhe“, sondern wie immer im Gasthof Steinlein in Neufang, 80 Einwohner, Vorort von Wirsberg mit 1900 Einwohnern. Typischer Landgasthof, viel Holz und mit Kachelofen in der alten Wirtsstube. Der Besitzer gehört mit zur Runde. Seit der letzten Renovierung 1974 hat sich kaum etwas verändert, Handyempfang gibt es hier draußen auch nicht, das Wlan-Passwort bekommen nur Eingeweihte. Alexander Wunderlich, Bürgermeister von Neuenmarkt, wartet schon, Steffen Steinlein zapft erst einmal ein paar Bier. Alexander Herrmann trinkt das Kulmbacher mit reichlich Wasser verdünnt, er muss ja später noch fahren, und „mit alkoholfreiem Bier kann man mich jagen“.
Die Karten liegen auf dem Tisch, Steinlein verteilt noch die Zahlteller, in die jeder sein Spielgeld legt, zehn Euro in kleinen Münzen. Kurz die Spielregeln: Jede der 32 Karten hat einen Wert, der in Augen ausgedrückt wird, insgesamt haben alle Karten einen Wert von 120 Augen. Es gewinnen die zwei Spielpartner, die als erste zusammen 61 Augen zusammenbekommen.
Mischen, geben, zack, zack, dreschen die Spieler die Karten auf den alten Holztisch, blitzschnell wird gerechnet, gemutmaßt, wie viele „Augen“ der Gegner haben könnte. Jedes Spiel dauert kaum länger als zwei Minuten. Außer „So ein Drecksblatt“, „Ja, spinn i“ oder „Ey, ich krieg noch drei Cent“ fallen kaum Worte. Erst wieder, als es wie bei jedem Treffen pünktlich um Viertel nach sieben Zeit für die Vesperplatte ist: fränkische Wurstspezialitäten vom örtlichen Metzger. Blutwurst, Leberwurst, Presssack, Schinken, Sülze vom Feinsten. Der Sternekoch langt ordentlich zu. Jetzt wird geredet und debattiert, die Politik im Großen und im Kleinen durchgekaut, gelästert, alle kriegen ihr Fett weg, aber immer mit Augenzwinkern, nie bösartig. Auch Persönliches kommt zur Sprache: Familie, Sorgen, Freuden.
Herrmann ist in Franken tief verwurzelt, „am Arsch der Welt“, wie er sagt
Es ist nicht so, dass Alexander Herrmann der Platzhirsch am Tisch wäre. Der 53-Jährige hat keinen Sonderstatus, die vier Spieler begegnen sich auf Augenhöhe. Jeder respektiert und bewundert den anderen für das, was er tut und leistet. Der Sterne- und Fernsehkoch ist einer von ihnen. Hier will er auch gar nichts anderes sein.
Er ist tief verwurzelt im tiefsten Franken, „am Arsch der Welt“, wie er sagt. Die Täler sind eng, die Orte heißen Einöde, Schlackenmühle, Adlerhütte. Er ist ständig unterwegs, kocht überall auf der Welt, aber am liebsten kommt er zurück nach Wirsberg, seine Heimat. Diesen Flecken Erde liebt er so sehr, dass er nach seinen kulinarischen Lehrjahren durch Europa Mitte der 1990er-Jahre dorthin zurückkehrte, wo er geboren und aufgewachsen ist. „Das Posthotel war mein Kinderzimmer“, sagt Hermann, Vater zweier erwachsener Kinder, und nimmt sich noch von der Leberwurst.
In seiner 160-jährigen Geschichte war das Posthotel immer schon das Highlight der Gemeinde: Hier übernachteten die berühmtesten Gäste der Bayreuther Festspiele, es galt als erste Adresse für rauschende Feste jeder Art, der Urgroßvater fuhr bereits Anfang des 20. Jahrhunderts nach Paris und schaute sich im Feinschmeckertempel Maxim’s um. „Ich bin nicht der einzige Koch in der Familie“, erzählt Herrmann. „Mein Vater hat sich in den Siebzigern auch einen Michelin-Stern erkocht.“ Als Alexander Herrmann gerade neun Jahre alt war, kamen seine Eltern bei einem tragischen Unfall ums Leben. Vermutlich sind ihm darum Familie, Freunde, Zusammenhalt so wichtig. Vor allem achtet er darauf, dass es den Menschen, mit denen er täglich zu tun hat, gut geht. Viele seiner Mitarbeiter sind seit Jahrzehnten im Team, der Chef flachst zwar gern rum, nimmt sich aber angenehm zurück, kann andere glänzen lassen. „Ich habe bei tollen Leuten gelernt, aber mir hat da oft die Wärme und Menschlichkeit gefehlt“, sagt er und nimmt einen letzten Schluck vom verdünnten Bier.
Wer hat eigentlich gewonnen? Von dem her, was in den Zahltellern liegt, würde man sagen: niemand. Ziemlich ausgeglichen. „Ist doch das beste Ergebnis.“ Um halb elf Uhr ist Schluss, Alexander Herrmann muss am nächsten Morgen früh raus, irgendwas in Nürnberg. Er fährt noch den Joshi nach Hause. „War doch ein schöner Abend.“ Und man begreift, warum Schafkopfen für ihn viel mehr ist als nur ein Spiel. „Klingt vielleicht kitschig“, sagt er. „Aber bei diesen Treffen wird mir immer klar, was wirklich wichtig ist.“ Kein Wunder, dass sich die vier Freunde auch „Therapiekreis“ nennen.
Keine Leidenschaft ohne Utensilien! Diese drei Gegenstände braucht Alexander Herrmann beim Schafkopfen:
Die Karten
„Nach einem Abend kann man die Spielkarten wegwerfen, so abgenutzt, schmierig, verbatzt sind die. Die kannst du dann auch nicht mehr sauber mischen. Darum gibt’s bei jedem Treffen einen neuen Stapel.“
Die Zahlteller
„Das sind die ‚Katschüsselas‘ – so nennen wir die Zahlteller, auf denen unser Spielgeld liegt. Die kleinen Münzen sammle ich immer schon Wochen vorher, so viele hast du ja sonst nie im Portemonnaie.“
Die Brotzeit
„Die fränkische Wurstplatte, der Klassiker in jeder Gaststätte hier in der Gegend. Ohne die läuft beim Schafkopfen gar nichts. Auch wenn ich selbst anders koche – die beim ‚Steinlein‘ ist einfach unschlagbar.“
Bohnensalat zubereiten mit Jan Delay, Schallplatten hören mit Léa Linster, Kunst machen mit Wolfgang Niedecken: Weitere Folgen von „Meine Leidenschaft“ finden Sie hier.