Saudi-Arabien geht in die Wasserstoff-Offensive – und Europas Abhängigkeit wächst | ABC-Z
Das Königreich will größter Lieferant von grünem Wasserstoff werden – und damit auch Europa versorgen. Ein entsprechendes Abkommen soll kurz vor dem Abschluss stehen. Dahinter steckt auch politisches Kalkül. Zumindest in Deutschland gibt es aber noch ein technologisches Problem.
Offenbar ist nach Informationen, die WELT vorliegen, eine neue Wasserstoff-Energiepartnerschaft zwischen Europa und Saudi-Arabien im Entstehen. Bei der Future Investment Initiative (FII), dem jährlichen saudischen Wirtschaftsgipfel in der Hauptstadt Riad, der nach dem Treffen in Davos als der größte der Welt gilt, war zu hören, dass entsprechende Vereinbarungen bereits getroffen seien und das Projekt demnächst der Öffentlichkeit vorgestellt werden könnte. Damit wächst die Bedeutung des Königreichs für Europa – und dabei geht es nicht nur um Strom, sondern auch um geopolitische Machtverhältnisse.
Bei dem neuen Wasserstoff-Projekt soll auf saudischer Seite eine Tochtergesellschaft des Public Investment Fund, also des staatlichen Investitionsfonds des Königreichs, Partner der europäischen Unternehmen sein. Die neue Gesellschaft unter Führung des deutschen Energiemanagers Cord Landsmann soll der weltweit größte Lieferant von grünem Wasserstoff werden. Nach Angaben des „Handelsblatts“ sollen deutsche Konzerne wie Siemens und E.on schon Verträge mit dem saudischen Partner geschlossen haben. Der Wasserstoff soll in Form von Ammoniak per Schiff nach Europa geliefert werden.
Saudi-Arabien produziert derzeit etwa 2,5 Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr und will demnächst einen Ausstoß von 2,9 Millionen erreichen. Nach der reinen Produktionsmenge reicht das Land damit noch nicht an die größten H2-Produzenten der Erde heran, zu denen Deutschland, China und die USA gehören. Doch geht man nach jenen Produktionskapazitäten, die kurz vor der Fertigstellung stehen, ist die saudische Wasserstoff-Industrie die zweitgrößte der Welt nach jener Chinas.
Das Land will einer der größten Wasserstoff-Lieferanten überhaupt werden und damit auch seine geografischen Vorteile, unter anderem seinen Sonnenreichtum nutzen. Denn zur Herstellung von Wasserstoff, der als Brennmittel verwendbar ist, braucht es wiederum selbst Energie. Je nachdem, welche Energiequelle dafür verwendet wird, unterscheidet sich der Grad der Nachhaltigkeit des Wasserstoffs.
Wird der Rohstoff unter Verwendung von fossilen Energien hergestellt, spricht man von „grauem Wasserstoff“, kommen hingegen erneuerbare Energien zum Einsatz, wird das Endprodukt „grüner Wasserstoff“ genannt. Da über den Wüsten Saudi-Arabiens fast immer die Sonne scheint, hat das Land ein riesiges Potenzial zur Herstellung von grünem Wasserstoff mittels Solarenergie.
Nach Informationen der Außenhandelskammer hatte Saudi-Arabien bereits grüne Wasserstoff-Projekte im Wert von 6 Milliarden Dollar geplant. Das Helios Green Hydrogen and Ammonia Project in Neom mit einem Budget von 500 Milliarden US-Dollar soll bis 2025 in Betrieb genommen worden und 650 Tonnen Grünen Wasserstoff pro Tag exportieren. Darüber hinaus produziert der staatliche Ölkonzern Saudi Aramco bereits blauen Wasserstoff, bei dem das anfallende CO₂ klimafreundlich unter der Erde verpresst wird.
Überhaupt setzt das Land verstärkt auf erneuerbare Energien. In seiner Rede vor der FII kündigte der saudische Energieminister Prinz Abdualziz Bin Salman Al-Saud an, sein Land wolle zum weltweiten Exporteur grüner Energie werden. „Zeigen Sie mir das Land, das schon wirklich in der Lage ist, grünen Wasserstoff zu exportieren. Wir sind dazu in der Lage. Wir können grüne Energie in jeder Größenordnung exportieren.“
Welche Dimension die Lieferungen aus Saudi-Arabien nach Europa haben werden, ist noch nicht bekanntgegeben worden und auch nicht, wann das Projekt offiziell an den Start geht. Aber angeblich sind nur noch wenige Details zu klären, praktisch alle relevanten Verträge seien bereits unterschrieben. Grüner Wasserstoff ist deutlich teurer als das fossile Konkurrenzprodukt Erdgas. Interessant wird deshalb die Frage, zu welchem Preis Saudi-Arabien liefert und in welchem Maße die Bundesregierung die Differenzkosten für die deutschen Abnehmer subventioniert.
Von manchen Beobachtern wird das Engagement Saudi-Arabiens und anderer Golfstaaten wie der Vereinigten Arabischen Emirate als „Green Washing“ bezeichnet – als Versuch, sich mit grünen Aktivitäten von dem Vorwurf reinzuwaschen, mit der Lieferung von Erdöl und Erdgas maßgeblich zur fortbestehenden Dominanz fossiler Energien und zum Klimawandel beizutragen. Die ökologischen Investments, so die Kritik, solle auch von innenpolitischen Bedingungen ablenken, die weit von Demokratie und Menschenrechten nach westlichem Verständnis entfernt seien.
Saudi-Arabien will seine Wirtschaft neu aufstellen
Richtig ist, dass Saudi-Arabien nichts gegen positive PR einzuwenden hat. Richtig ist aber auch, dass das Königreich ein echtes Eigeninteresse hat, seine Wirtschaft mit erneuerbaren Energien neu aufzustellen. Anders als etwa Katar oder die Emirate hat Saudi-Arabien mit etwa 30 Millionen Einwohnern eine große Bevölkerung, die auch auf Dauer Arbeit und Auskommen finden will.
Wenn die saudischen Erdölvorräte – nach jenen Venezuelas sind es die zweitgrößten der Welt – in spätestens 80 Jahren aufgebraucht sind, verliert das Land seine Haupteinnahmequelle. Darum ist die Arbeit an Ersatz für diese Ressource ein Kernpunkt in der Wirtschaftsstrategie „Vision 2030“, mit der Kronprinz Mohammed Bin Salman das Land ökonomisch öffnen und modernisieren will.
Mit der neuen Wasserstoff-Partnerschaft verstärkt das Königreich aber natürlich auch weiter die Abhängigkeit Europas vom Partner Saudi-Arabien. Angesichts des Ausfalls russischer Erdgaslieferungen hat der alte Kontinent aber auch wenig Auswahl an Lieferanten. Damit wiederholt sich eine Entwicklung, die auch auf sicherheitspolitischer Ebene zu beobachten ist.
Für eine nachhaltige Befriedung des Nahost-Konflikts bedarf es saudischer Kooperation. Ein Friedensvertrag zwischen Israel und Saudi-Arabien, über den die Verhandlungen vor dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober vergangenen Jahres schon weit gediehen waren, könnte die Region nachhaltig stabilisieren. Das Königreich ist die Führungsmacht mindestens der sunnitischen Welt, und damit der Mehrheit der Muslime.
Durch die Empörung vieler Muslime über Israels Kriegsführung sind die politischen Kosten eines solchen Vertrages für die Saudis stark gestiegen. Derzeit liegt das Projekt auf Eis. Doch Sicherheitspolitiker in ganz Europa versuchen, neue Gesprächsfäden mit den Saudis und anderen Golfstaaten anzuknüpfen, weil den Europäern bewusst ist, dass die USA ihr Engagement im Nahen Osten wegen der Herausforderung durch China mittelfristig zurückfahren werden.
Dann muss Europa versuchen, weitere Partner bei der Stabilisierung seiner unmittelbaren Nachbarregion zu finden. So wie in Sachen Energie besitzt Saudi-Arabien auch politisch Ressourcen, auf die die Europäer in ihrem Eigeninteresse schwer verzichten können, selbst wenn sie in Sachen Menschenrechte größte Distanz zum Königreich empfinden. Unruhigere Zeiten scheinen mehr Pragmatismus zu erzwingen.
Damit aber auch Deutschland von dem neuen Angebot profitieren kann, müsste es mehr technologischen Aufwand betreiben. Denn bisher hat die Bundesrepublik nicht die notwendige Infrastruktur, um den in Form von Ammoniak gelieferten Wasserstoff für die heimische Energieindustrie nutzbar zu machen.
Die dafür notwendigen „Cracker“, die den Wasserstoff aus dem Ammoniak wieder „herausbrechen“ können, gibt es in Deutschland noch gar nicht in dem erforderlichen Ausmaß. Der Bau solcher Ammoniak-Crackern ist bereits am geplanten deutschen „Wasserstoff-Drehkreuz“ in Wilhelmshaven vorgesehen.
Senior Editor Daniel-Dylan Böhmer berichtet für WELT über den Nahen Osten und Afghanistan.
Daniel Wetzel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Energiewirtschaft, Energiepolitik, Klimapolitik und Tourismuswirtschaft.