Geopolitik

Saskia Esken (SPD): „Lindner eine schwäbische Hausfrau zu nennen, hat die Hausfrau nicht verdient“ | ABC-Z

Selbstkritik wegen des Ampel-Endes bei Saskia Esken? Fehlanzeige. Die SPD-Chefin bemüht sich bei einem „Dialogforum“ für die Basis in Mainz, Wahlkampf-Stimmung zu wecken. Dem geschassten Finanzminister wirft sie „ideologische“ Sparpolitik vor – und der Union, „das Wasser nicht halten“ zu können.

Beim Thema Rente hat Saskia Esken zuletzt keine so gute Figur gemacht. Kürzlich, in der Talkshow von Markus Lanz, wurde die SPD-Co-Bundesvorsitzende deshalb prompt von der Wirtschaftsjournalistin Antje Höning in den Senkel gestellt. „Das ist verantwortungslos, was Sie da machen, Frau Esken“, schalt Höning. „Sie reden den Rentnern ein, dass die FDP die Renten kürzen wolle. Das ist nicht der Fall.“

Zuvor hatte Esken gesagt: „Es wäre verantwortungslos, der deutschen Bevölkerung zu sagen: ,Um die Ukraine unterstützen zu können, können wir in Zukunft keine ordentlichen Renten mehr finanzieren.‘“ Höning stellte klar: Christian Lindner (FDP) sei es als Finanzminister nicht um eine Rentenkürzung gegangen, sondern um eine Absenkung des Rentenniveaus. Das sei ein Unterschied, mal ganz davon abgesehen, dass es da um das Jahr 2040 gehe. Details, die Esken so offenbar nicht ausbreiten wollte – oder einfach nicht parat hatte.

Dass sich die Vorsitzende von Deutschlands einstiger „Arbeiterpartei“ beim Thema Arbeit und Rente womöglich nicht unbedingt sattelfest oder zumindest nicht wohlfühlt, zeigt sich auch an diesem Sonntag: Da sorgt Esken beim „Dialogforum“ ihrer Partei in Mainz mit einer kurzfristigen Umorientierung, die sie selbst dem Veranstalter verschwiegen hat, für Kuddelmuddel. Denn bei dem Format, das zur Vorbereitung des SPD-Wahlprogramms dienen soll, verteilt sich die Zuhörerschaft nach ein paar einleitenden Statements in diverse „Workshops“, damit Teilnehmer gezielt Fragen zu bestimmten Themen oder an die dafür eingeteilten Politiker stellen können. Das Publikum besteht überwiegend aus Mitgliedern und Unterstützern der Sozialdemokraten.

Saskia Esken, staatlich geprüfte Informatikerin sowie abgebrochene Studentin der Germanistik und Politik, war eigentlich für den Auftritt im edlen Spiegelsaal des Kurfürstlichen Schlosses vorgesehen, wo es um „gute Arbeit“, stabile Rente und die Frage ging, wie „ein neuer Aufschwung bei allen Menschen ankommt statt nur bei wenigen“. Doch unvermutet steht plötzlich Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) vor den zahlreichen Gästen. „Sie sehen, dass ich nicht Saskia bin“, sagt Geywitz, „aber sie hat mir gerade mitgeteilt, dass ich ihr einen Riesengefallen tun würde, wenn sie stattdessen meinen Workshop moderieren dürfte.“

Und so müssen TV-Teams und Journalisten, die den Austausch der Vorsitzenden mit ihrer Basis beobachten wollten, quer durchs Schloss in ein kleines Hinterzimmer rennen, wo sich Esken ganz freiwillig und vor kleinem Publikum dem Thema „Familie und Bildung“ widmet – oder „Gedöns“, wie ein früherer Bundeskanzler ihrer Partei es einmal nannte.

Nun ist es immerhin anerkennenswert, dass SPD-Spitzenpolitiker– neben Esken und Geywitz etwa Co-Parteichef Lars Klingbeil und Generalsekretär Matthias Miersch – in diesen Zeiten überhaupt den Weg in die Provinz gefunden haben.

Andere Politiker, etwa die grüne Staatsministerin für Kultur, Claudia Roth, fühlen sich derzeit nach dem Aus der Ampel und der nahenden Neuwahl offenbar absolut unabkömmlich und unverzichtbar in Berlin. Roth sagte mit Verweis auf die „turbulente Nachrichtenlage“ eine für den 17. November in der Frankfurter Anne-Frank-Bildungsstätte geplante Veranstaltung ab. Es sollte um die Bedrohung von Kunst- und Kulturschaffenden durch das Erstarken extrem rechter Politik gehen, doch offenbar ist dieses Thema nicht wichtig genug, wenn es in Berlin einen Kanzlerkandidaten auf künftige Kämpfe vorzubereiten gilt.

Bei der SPD wiederum will man sich wohl die Gelegenheit nicht entgehen lassen, an der Basis so viel gute Laune zu machen wie irgend möglich. Denn die Genossen werden ja schon in wenigen Wochen gebraucht für einen kräftezehrenden Winter-Wahlkampf auf Marktplätzen, vor Werkstoren, an Haustüren. Und in Rheinland-Pfalz, wo eine Ampel nicht nur weiterhin regiert, sondern das sogar überraschend konfliktfrei, fällt ein „Gemeinsam sind wir stark“-Auftritt erfahrungsgemäß leichter als andernorts.

Da lobt Esken den „tollen Gesundheitsminister“

Und so lässt Esken in ihrem Eingangsstatement auch keinen Zweifel: „Wenn’s mal losgeht, dann wollen wir diese Wahl auch gewinnen.“ Das sei zwar ein höchst ambitioniertes Ziel, konstatiert sie, aber schließlich sei doch auch vor der Bundestagswahl 2021 ein Schlussspurt gelungen. „Wir sind überzeugt: Das schaffen wir noch mal!“ Und genau dafür brauche die Partei jetzt „unsere engagierten Mitglieder, so wie sie hier sitzen“, bringt Saskia Esken ihren Wahlhelfer-Aufruf nach Hause.

Auf die Berliner Ereignisse, den Ampel-Bruch und die Folgen, die viele ins Mainzer Schloss getrieben haben dürften, geht die Parteichefin eher kursorisch ein. Selbstkritik wird an keiner Stelle laut, im Gegenteil: Karl Lauterbach (SPD) beispielsweise habe im Gesundheitswesen „an den Strukturen ganz viel verbessert“, sagt Esken später in ihrem Workshop, als eine Mutter gerade beklagt hat, dass sie ein Jahr warten müsse auf einen Kinderarzt-Termin. „Da bin ich wirklich froh, dass wir so einen tollen Gesundheitsminister haben.“ Applaus gibt es an dieser Stelle nicht.

Jörg Kukies (SPD), der in dieser Woche vom Staatssekretär zum Finanzminister befördert wurde, werde als „verantwortungsvoller Minister dafür sorgen, dass nicht alles den Bach runtergeht“, kündigt die Parteichefin an. Und dass Olaf Scholz (SPD) als Bundeskanzler seinen Finanzminister entlassen habe, sei „schmerzhaft, aber richtig“ gewesen, denn: Lindner habe sich in einer höchst krisenhaften Zeit geweigert, „seinen Job zu machen“. Den Liberalen wirft Esken „ideologische Austeritätspolitik“ vor.

Nun wolle sich die Regierung bis Weihnachten um Anliegen kümmern, „die keinen Aufschub dulden“. Was noch möglich sei, werde derzeit im Parlament eruiert. „Die Menschen im Land, die sich nicht ganz zu Unrecht um ihren Arbeitsplatz und die Wirtschaft sorgen, haben es nicht verdient, dass Dinge wie beispielsweise ein erhöhtes Kindergeld aus wahltaktischen Gründen nicht realisiert werden“, sagt Esken.

Damit fordert sie indirekt ein Mitwirken entweder der gerade geschassten FDP oder der CDU/CSU an den SPD-Plänen. „Jetzt müssen wir uns alle zusammenraufen und einigen, wo es noch geht. Demokratie darf nicht unter die Räder kommen, nur weil manche jetzt das Wasser nicht halten können.“

Diese Strategie, der Union schon mal vorab die Verantwortung in die Schuhe zu schieben, wenn manche Koalitionspläne nicht mehr realisiert werden sollten, hatte Esken ebenfalls bei Markus Lanz zu fahren versucht. Sie hatte die Opposition aufgefordert, „an der Stelle nicht zu blockieren“ und wichtige Entscheidungen mit der Regierung gemeinsam zu treffen, „um das Land voranzubringen und Probleme wie die Industriekrise zu bekämpfen“.

Das hatte den Journalisten Michael Bröcker in der Talkshow empört. „Jetzt haben Sie keine Mehrheit mehr und appellieren an die staatspolitische Verantwortung der Opposition, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Ich finde das wirklich anmaßend“, so der Chefredakteur von „Table Media“. „Ihr habt drei Jahre Zeit gehabt, jedes Gesetz dieser Welt zu beschließen mit der Mehrheit. Jetzt habt ihr sie nicht mehr, und jetzt soll Friedrich Merz helfen!“ Die SPD könne wirklich nicht darauf hoffen oder fordern, dass die Opposition der Ampel bei irgendwelchen Gesetzen helfe: „Das ist wirklich frech.“ Esken gab zurück, mit Begriffen wie ‚anmaßend‘ und ‚frech‘ werde sie sich nicht auseinandersetzen. „Das ist nicht der Stil, in dem ich gerne Diskussionen führe.“

Ihren Stil des Umgangs mit dem Ex-Koalitionspartner zeigt sie dafür in Mainz. Esken amüsiert sich gar köstlich über die Attacke von Lindners ehemaligem Wahlkampfberater Christian Labonté, der kein gutes Haar gelassen hat am FDP-Chef: „Christian Lindner ist vom Steve Jobs des Liberalismus zur schwäbischen Hausfrau geschrumpft, die ganz kleinlich aufs Geld schaut, aber sich nicht einmal traut, ihrem Ehemann zu sagen, dass er auf der Autobahn mal ein bisschen langsamer fahren soll“, hatte Labonté harsch geurteilt und den Liberalen vorgeworfen, zu viel im Wahlkampf versprochen und zu wenig gehalten zu haben.

Worte, die der gebürtigen Schwäbin Esken sichtlich gefallen – mit Ausnahme einer Sache: „Christian Lindner eine schwäbische Hausfrau zu nennen, das hat die schwäbische Hausfrau nicht verdient.“

Politikredakteurin Hannelore Crolly ist bei WELT zuständig für landespolitische Themen, vor allem in Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz. Zuvor war sie Wirtschaftskorrespondentin in Frankfurt, San Francisco und Brüssel.

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