Saša Stanišić mit Deutschem Jugendliteraturpreis ausgezeichnet – Kultur | ABC-Z
„Wolf“ von Saša Stanišić ist ein Buch über die seelenzerfressende Brutalität von Mobbing und all die Schattierungen von Gefühlen, die man als junger Mensch hat, wenn man beobachtet, wie etwas Falsches passiert: Da ist die Angst, selbst zum Opfer zu werden, wenn man eingreift, der Wunsch, einfach mit all dem nichts zu tun zu haben, die Scham des Nichtstuns.
Stanišićs Roman für Kinder ab elf Jahren ist aus der Sicht eines Jungen erzählt, der widerwillig ins Ferienlager fährt. Dort wird Kemi Zeuge, wie sein Klassenkamerad Jörg von den „coolen“ Jungs schikaniert wird. Kemi wartet ab, beobachtet, denkt nach, sehr lange, bis er den Mut findet, einzugreifen, auf seine Art. Am Freitagabend sind Saša Stanišić und die Illustratorin Regina Kehn, die scherenschnittartige Bilder in Schwarz und Gelb zu seinem Text gezeichnet hat, für „Wolf“ mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis in der Sparte Kinderbuch ausgezeichnet worden. Sehr zu Recht, der Roman aus dem Carlsen-Verlag schafft es mit Humor und Leichtigkeit ein schweres Thema so zu fassen, dass man nicht deprimiert, sondern aktiviert aus der Lektüre kommt.
13 215 Kinderbücher sind im vergangenen Jahr erschienen, 700 davon wurden von den Verlagen eingereicht, vier erhielten auf der Frankfurter Buchmesse nun die Auszeichnung, die wichtigste, die es im deutschsprachigen Raum für Kinder- und Jugendbücher gibt. Der vom Bundesfamilienministerium gestiftete Preis ist insgesamt mit 72 000 Euro dotiert.
In der Sparte Bilderbuch wurde „Wünsche“ ausgezeichnet, eine Fluchtgeschichte, die aus dem Vietnamesischen übersetzt und vom kleinen Berliner Verlag Horami veröffentlicht wurde. Das Buch von Muon Thi Van erzählt in nur 13 Sätzen von einer Familie, die mitten in der Nacht aufbricht, um das Land per Boot zu verlassen – aus Sicht der Gegenstände, die dabei eine Rolle spielen: „Die Tasche wünschte, sie wäre tiefer.“ Die dynamischen, ja filmisch anmutenden Illustrationen stammen von Victo Ngai.
Um das Thema Migration geht es auch beim Sachbuch-Sieger, dem dokumentarischen Comic „Games. Auf den Spuren der Flüchtenden aus Afghanistan“ aus dem ebenfalls kleinen Bielefelder Splitter Verlag, in dem der Schweizer Künstler Patrick Oberholzer die Geschichten von fünf Geflüchteten rekonstruiert.
In der Sparte Jugendbuch kürte die Jury den Coming-of-Age-Roman „Kurz vor dem Rand“ von Eva Rottmann zum Sieger. Im Mittelpunkt dieses Romans steht eine Skaterin, die mit ihrem Vater in einer Hochhaussiedlung wohnt. Rottmanns Buch wird vom Berliner Haus Jacoby & Stuart verlegt, was diesen Preisjahrgang zu einem besonders starken für kleine Verlage macht.
Neben der Fach-, zeichnet auch eine Jugendjury jedes Jahr ein Buch aus. Dieser Preis ging an Alice Winns historischen Roman „Durch das große Feuer“. Er erzählt von der heimlichen Liebesbeziehung zweier Freunde im Ersten Weltkrieg.
Der Übersetzer Rolf Erdorf wurde mit dem Sonderpreis Gesamtwerk geehrt. Er hat fast 200 Kinder- und Jugendbücher aus dem Niederländischen ins Deutsche übertragen. In ihrer Laudatio sagte die Übersetzerin Anna Hörmander Plewka über Erdorf, seine Kreativität bei Wortschöpfungen und seine Empathie seien Fähigkeiten, „über die selbst die ausgefeilteste KI nicht verfügt.“ Ein Satz, der selbstbewusst klingt, auch zu Recht – der aber zugleich zeigt, wie groß die Sorge angesichts der technologischen Entwicklung gerade in der Übersetzerzunft momentan ist.
Der Sonderpreis Neue Talente ging an Astrid Bührle-Gallet für ihre Übersetzung der französischen Novelle „Möge der Tigris um dich weinen“.