Sänger Max Giesinger: Von Surfbrettern und Selbstzweifeln – Gesellschaft | ABC-Z
Die Surferinnen und Surfer vor ihm zeigen, wie es geht, aber der 36-Jährige hält sich bei seinem ersten Versuch keine drei Sekunden auf dem Brett. Stehende Wellen surfen sich ganz anders als die am Meer. Die anderen geben ihm Tipps vor jedem neuen Versuch, ein Surflehrer nimmt ihn sogar einmal an die Hand und fährt mit ihm gemeinsam, zwei Bretter nebeneinander. Und siehe da: Giesinger kommt immer besser klar. Eigentlich sollte er nur 30 Minuten im Becken sein, am Ende wird er eine Stunde lang surfen.
„Ich war vier Mal in Surfcamps, aber das hat heute nicht viel geholfen“, sagt er beim Mittagessen etwas niedergeschlagen. „Doch, doch“, versucht man zu ermuntern, „man sieht an deiner Körperhaltung auf dem Brett, dass du surfen kannst.“ Und das ist jetzt rührend, weil Max Giesinger – der im Restaurant eben von Fans angesprochen wurde und der abends in der ausverkauften Olympiahalle spielen wird – , dieser Popstar mit Sixpack fragt einen wie ein kleiner schüchterner Junge: „Echt? Merkt man, dass ich schon mal gesurft habe?“ Mit diesem Satz hat man mit ein bisschen Surfen schon ein ganzes Stück vom echten Max Giesinger kennengelernt.
Er hadert mit sich, schon seit seiner Kindheit und zurzeit ganz besonders. „Selbstliebe ist ein Problem“, sagt er. Lebenskrise wäre ein zu großes Wort für seinen aktuellen Seelenzustand, passender: Verunsicherung. Selbstzweifel. Traurigkeit. Er hat eine schöne Metapher dafür: „Wenn man sich vorstellt, dass das Leben wie ein Käferchen ist, der auf sechs Beinen steht, dann müssen alle Beine ungefähr gleich lang und kräftig sein. Nur so hat man Balance im Leben.“ Der Käfer Max Giesinger krabbelt aber derzeit recht wackelig durch die Welt. Seine mehrjährige Beziehung zu einer Frau, die vielleicht die fürs ganze Leben war, ist kaputtgegangen. Ein Beinchen also hinkt. Und dann gibt es das Familien-Beinchen, das bei dem Scheidungskind Giesinger, geboren 1988 nahe Karlsruhe, ohnehin nie besonders stabil war. Er war fünf, als sich seine Eltern trennten. Der Bruder zog zum Vater, er blieb bei der Mutter.
Seine Karriere hat sich gut eingependelt, auch wenn er nicht mehr ganz oben steht wie nach seinem Fußball-EM-Hit
Vier Beinchen hat er noch für sein Gleichgewicht, er nennt sie: Beruf, Anerkennung, Spiritualität, Gesundheit. Sein „Arbeitsbeinchen“ wirkt stabil. Die Karriere hat sich gut eingependelt, wenn er auch nicht mehr ganz oben steht wie nach seinem Fußball-EM-Hit „80 Millionen“ von 2016, der bei der Streaming-Plattform Spotify etwa 79 Millionen Abrufe hat. Oder bei „Wie sie tanzt“, ein Lied über eine alleinerziehende Mutter, mit 58 Millionen. Seine Single „Flugangst“, erschienen am 15. November, steht im Gegensatz dazu aktuell bei um die 400.000 Abrufen. Im Frühsommer kommt sein neues Album raus, darauf das Lied „Wimpernschlag“ – über die Frau, mit der er nicht mehr zusammen ist. Beim Schreiben habe er gedacht: „Krass, das ist der beste Song, den wir je geschrieben haben.“ Klingt wie PR-Sprech, aber nach einer Stunde Surfen plus eineinhalb Stunden Interview plus 30 Minuten gemeinsame Autofahrt zum Hotel zurück findet man Max Giesinger vor allem: authentisch.
Das darf durchaus mal gesagt werden, denn Giesinger hat viel Spott abgekommen nach einem sehr kritischen bis hämischen Fernsehbeitrag von Jan Böhmermann. Der hatte 2017 recherchiert, dass der Popstar seine Lieder nicht „mit einem Freund“ schrieb, wie er behauptete. Stattdessen saß eine ganze Reihe an Textern daran, die auch für andere deutsche Stars ähnliche Lieder schrieben. Böhmermann verglich Giesingers emotionale Songs mit Bierwerbung und veröffentlichte eine Persiflage auf dessen größten Hit „80 Millionen“.
Doch dann folgte Erstaunliches: Max Giesinger wurde bei der Echo-Verleihung von Tote Hosen-Frontmann Campino verteidigt, der Böhmermann „ein cooles Arschloch“ nannte. Souveräner antwortete Giesinger selbst. Erst erzählte er im Frühstücksfernsehen, dass er Böhmermanns Parodie-Song lustig fand. Dann traute er sich in dessen Sendung und trat sogar als Überraschungsgast bei einem Konzert von Böhmermann in München auf, wo er mit dessen Rundfunktanzorchester sang.
Ja, Max Giesinger steht für gefühlige Popsongs, die manchmal Titel haben wie „Bis ans Ende der Welt“. Aber wer hat unter Liebeskummer nicht auch schon mal ähnlich pathetisches Zeug geschrieben? „Ich mag es, Melodien zu komponieren“, sagt Giesinger, „aber fürs Texten brauche ich jemanden, mit dem ich Text-Ping-Pong spielen kann“, sagt Giesinger, „ich brauche schon jemanden, der mir da hilft.“ Das ist angenehm aufrichtig – und doch überraschend. Weil er im Gespräch oft Dinge sagt, die wie Songtexte klingen. Etwa über seinen Liebeskummer: „Und dann merkst du, ich bin hier lost, es ist alles nur noch diese oberflächliche Bestätigung. Aber da ist keine Liebe in meinem Leben.“ Ergäbe mit etwas Klavierbegleitung sofort eine Ballade, ist aber eine echt empfundene Sinnkrise, die für sein Alter, 36, nicht mal überrascht.
Seine Kumpel von früher sind verheiratet, er fragt sich: „Bin ich beziehungsunfähig?“
Seine Nicht-Popstar-Kumpels von früher sind verheiratet und Väter geworden. Und er? Fragt sich: „Bin ich beziehungsunfähig?“ und: „Wo will ich eigentlich hin?“ Neulich flossen ihm mal auf der Bühne Tränen beim Singen über die Wangen, peinlich war ihm das aber nicht. „Ich glaube, jeder Künstler, jede Künstlerin kämpft mit sich in diesem Beruf“, sagt Giesinger, „der Job ist wunderschön, aber es ist immer ein Kampf, aber er stellt auch immer wieder eine Herausforderung da, weil es so sehr um die eigene Person geht. Warum sonst sind so viele Musiker drogenabhängig oder alkoholkrank?“ Erst vor einer ausverkauften Halle gefeiert werden, dann die Nächte allein in irgendeinem Hotel: „Das ist doch nichts Natürliches für einen Menschen, wenn ihm 4000 Menschen zujubeln auf einer Bühne – das gab es doch früher höchstens bei Julius Cäsar.“
Als kleiner Junge hat er abends noch dafür gebetet, mal ein Star zu werden. Ans tägliche „Vaterunser“ hing er den Zusatz: „Und lass mich ein berühmter Sänger und Gitarrist werden.“ Seine Mutter schickte ihn als Zehnjährigen zum Gitarrenunterricht. Er hatte als Teenager Probleme mit Akne und sah leidend zu, wie seine Kumpels die Mädchen küssten, in die er heimlich verliebt war. Bis zu dem Tag, an dem ein Mitschüler eine Gitarre mitbrachte in den Unterricht. Jeder sollte sein Hobby vorstellen, der Klassenkamerad quälte das Instrument mehr, als dass er Musik machte. Darum zeigte ihm Max, wie das besser geht. In der Pause spielte er Songs und sang dazu – vor der Klasse, vor den Mädchen. Der Lehrer ließ ihn eine ganze Schulstunde weitersingen. Endlich hatte er etwas gefunden, was ihn heraushob aus der Masse.
Er wurde Straßenmusiker, spielte in Schülerbands, ging dann zu einer TV-Castingshow und wurde Vierter. Schnell folgten die großen Hits. Und jetzt? Das Jahr war anstrengend, Anfang Dezember spielte er drei Abende mit der „Night of The Proms“-Tour in der Münchner Olympiahalle, wo er neben Shaggy und Cutting Crew auftrat. Bis Silvester gibt es noch ein paar Termine, dann wäre etwas Urlaub schön. Nur weiß er gerade nicht so recht, wohin mit sich. Im Oktober ist er in ein Volleyball-Camp gefahren, „unter ganz normalen Dudes zu sein“, sei super gewesen. Sport hilft ihm, er spielt Tennis, Squash, Tischtennis, Fußball, geht viel in den Kraftraum.
Zudem pflegt Giesinger diese „Hassliebe“ zum Surfen. Zwar ist er ehrgeizig, doch als deutscher Festlandsurfer, der selten ans Meer kommt, ist dieser Sport nun mal schwer zu erlernen. Begonnen hat er 2019 in Portugal, seitdem war er in Nicaragua, Sri Lanka und Neuseeland surfen. Die Stimmung in den Camps gefällt ihm, Surfen bis zum Sonnenuntergang, danach gemeinsam am Lagerfeuer sitzen. Als er mal in Costa Rica surfen war, flog eine Pelikan-Gruppe über seinen Kopf. Im Januar hat er frei, ins Warme reisen wäre schön. Das Herz kurieren und vielleicht neu verschenken. Fürs Käferbeinchen-Gleichgewicht.
Keine Leidenschaft ohne Utensilien! Diese drei Gegenstände braucht Max Giesinger zum Surfen:
Das Surfboard
„Ich leihe mir Surfbretter lieber vor Ort aus, als sie im Flieger von daheim mitzunehmen. So kann ich mir zu jedem Strand und jeder Welle das passende Brett holen, statt mit einem eigenen Brett nie so ganz das richtige dabeizuhaben.“
Der Helm
„Das Wasser unter der stehenden Welle ist nicht sehr tief, da macht der Helm durchaus Sinn. Am Meer tragen Surfer beim Surfen an scharfkantigen Riffen auch manchmal Helme, aber solche Wellen meide ich lieber.“
Das Wachs
„Ohne Wachs auf dem Board würde man auf dem Surfbrett ständig abrutschen. Das Einwachsen dauert etwas, ist aber ein beruhigender, fast meditativer Vorgang.“
Musikinstrumente bewundern mit David Garrett, auf Pferde wetten mit Christine Westermann, Schafkopfen mit Alexander Herrmann: Weitere Folgen von „Meine Leidenschaft“ finden Sie hier. Mit dieser Folge endet die Kolumne „Meine Leidenschaft“.