Sandra Abstreiter: Eine deutsche Eishockey-Pionierin | ABC-Z

Sandra Abstreiter ist eine der besten Eishockey-Torhüterinnen der Welt. Nach der erfolgreichen Olympia-Qualifikation feierte sie ausgelassen mit der deutschen Mannschaft, ehe es zurück nach Kanada ging, wo sie ihr Geld verdient. Auch dank der Tennis-Legende Billie Jean King.
Ein Feierbiest ist Sandra Abstreiter normalerweise nicht. Bei einem außergewöhnlichen Anlass jedoch kann auch sie sich in eine Partylöwin verwandeln. So wie zuletzt in Bremerhaven, als es auch für die 26-Jährige nach der nervenaufreibenden Qualifikation der deutschen Eishockeyspielerinnen für das Olympiaturnier im nächsten Jahr in Mailand keinen Halt mehr gab. Die Weltklassetorhüterin heizte die von Bier, Wein und Sekt euphorisierte Stimmung sogar noch an – erst in der Kabine, dann im Hotel. „Der Zug hat keine Bremse, der fährt die ganze Nacht nur geradeaus“, gab Abstreiter als Durchhalteparole für die Sause aus.
Sie selbst verabschiedete sich kurz nach vier am Montagmorgen schweren Herzens von den Mannschaftskameradinnen. „Ich wollte wenigstens noch zwei Stunden ruhen, bevor ich zum Flughafen nach Bremen musste, wo um zehn Uhr mein Flieger ging“, erzählt Abstreiter WELT AM SONNTAG. Die nächste Alltagspflicht wartete auf die ehrgeizige Puckfängerin, die im oberbayerischen Freising aufwuchs und beim TSV Erding als Schülerin erstmals in eine Eishockeykluft schlüpfte. Über Zürich ging es für sie nach Montreal, wo sie seit vier Monaten wohnt, zehn Fußminuten von der Place-Bell-Eisarena entfernt, ihrer neuen Arbeitsstätte.
In der Olympiastadt von 1976 heuerte Abstreiter als eine von drei Keeperinnen bei den Montreal Victoire an. Das Team ist aktueller Spitzenreiter der noch jungen Professional Women‘s Hockey League (PWHL), dem Pendant zur nordamerikanischen Profiliga der Männer NHL.
Nur wenige Tage vor der im November begonnenen und bis Mai laufenden Saison wurde Abstreiter von den Victoire unter Vertrag genommen, nachdem sie in der Spielserie zuvor für die Ottawa Charge auf dem Eis gestanden hatte. Und das als erste deutsche Spielerin in der PWHL überhaupt.
Stipendium vom Province College
Pionierin war sie auch schon, als sie nach dem Abitur im Sommer 2016 in ein Trainingscamp nach Kanada reiste. Dort besuchte sie eine Hockey-Academy, anschließend erhielt sie ein Stipendium vom Province College. In der im US-Bundesstaat Rhode Island gelegenen Uni machte sie ihren Master of Business Administration. Zugleich hütete sie sechs Jahre lang für die dortigen Friars das Tor, ehe sie von Ottawa bei der Talentbörse in der zwölften Runde als 68. Akteurin gedraftet wurde.
In der Premierensaison der PWHL kam sie allerdings in 24 Partien nur dreimal zum Einsatz. Ottawas Nummer eins, Emerance Maschmeyer, gilt als Weltbeste ihres Metiers. Die Olympiasiegerin aus Kanada war gesetzt, woraufhin sich Abstreiter dazu entschloss, freiwillig das Team zu wechseln.
Das Risiko, bei nur sechs Mannschaften in der PWHL – jeweils drei aus Kanada und der USA – keinen neuen Verein zu finden, war nicht unerheblich. Auch wenn Abstreiter beim vorjährigen Weltchampionat, wo Deutschland dank ihres Könnens Rang sechs belegte, als beste Torfrau des Turniers ausgezeichnet wurde.
„Ich wollte meinen Traum weiterleben und nicht auf unbestimmte Dauer feststecken. Deshalb suchte ich eine neue Herausforderung. Sicher war es ein Wagnis, doch ich glaubte fest daran, dass ich es in die Mannschaft schaffe“, sagt Abstreiter. Ihre Zeit in Ottawa sieht sie dabei keinesfalls als verloren an: „Ich sammelte wertvollste Erfahrungen in vielerlei Hinsicht. Selbst von der Bank aus konnte ich viel lernen. Jedes Training, jedes Spiel läuft auf einem Niveau ab, das ich sonst nur von der WM kenne.“
Billie Jean Kings neue Rolle im Eishockey
Dass die PWHL als einzige professionelle Eishockeyliga für Frauen existiert, ist vor allem dem Engagement von Billie Jean King, 81, zu verdanken, der feministischen Aktivistin aus Kalifornien. Die ehemalige Nummer eins der Tenniswelt animierte den sportbegeisterten Milliardär Mark Walter, 65, zum Mitmachen an diesem Projekt. Der Amerikaner gehört zu den Miteigentümern des Baseballteams der Los Angeles Dodgers, der Frauen-Basketballmannschaft der Los Angeles Sparks sowie des Premier-League-Fußballklubs FC Chelsea. Im August 2023 gründeten er und King die PWHL mit einem Tarifvertrag für die Spielerinnen.
Den zuvor ins Leben gerufenen Frauenligen fehlte es stets an finanzieller Stabilität. Deshalb streikte die Spielerinnen-Gewerkschaft PWHPA, wodurch der Spielbetrieb über vier Jahre zum Erliegen kam. Die Protagonistinnen monierten das Fehlen von Krankenversicherungen, schlechte Rahmenbedingungen und Gehälter, die weit unter dem deutschen Mindestlohn lagen. Jetzt werden Jahreslöhne zwischen 36.000 und 80.000 Dollar gezahlt. Hinzu kommen Boni für den Einzug in die Play-offs, die Teilnahme am All-Star-Game oder für die beste Spielerin auf jeder Position. Die Saläre liegen dennoch weit unter den Millionengagen in der NHL.
„Immerhin aber können wir von unserem Sport leben“, sagt Abstreiter und ist überzeugt davon, „dass sich alles rasch zum Positiven weiterentwickeln wird“. Dafür spricht die Begeisterung in den Arenen und die enorme Resonanz in den Medien. So sind Montreals Heimspiele stets mit über 10.000 Zuschauern ausverkauft. Die Anhänger hoffen, dass die Victoire nun auch ihrem Franchisenamen alle Ehre machen und die Meisterschaft gewinnen. Abstreiter schriebe damit ein weiteres Kapitel für die Ewigkeit. Und sicher würde sie beim Titelgewinn dann auch wieder zur Partylöwin werden.