Sanae Takaichi: Gesetzt als erste Premierministerin Japans – Politik | ABC-Z

Als ihr Sieg feststand, wirkte Sanae Takaichi für ein paar Augenblicke wie erdrückt von dieser historischen Chance, die sie nun bekommt. Japans rechtskonservative Regierungspartei LDP hatte sie gerade zu ihrer neuen Präsidentin gewählt nach dem Rücktritt des bisherigen Chefs Shigeru Ishiba. Mit 185 zu 156 Stimmen hatte sie die Stichwahl gegen den jungen Agrarminister Shinjiro Koizumi gewonnen. Sanae Takaichi, 64, ist die erste Frau, die an die Spitze der von Männern dominierten Partei rückt. Sie wird damit höchstwahrscheinlich auch Japans erste Premierministerin. Sanae Takaichi verbeugte sich tief vor dem Plenum. Sie schien gegen die Rührung anzukämpfen. Sie sagte: „Im Moment empfinde ich weniger Freude als vielmehr ein starkes Bewusstsein für die immensen Herausforderungen, die vor uns liegen.“
Dann lächelte sie doch wieder wie bei ihren Auftritten vor der Wahl, als sie gegen die vier anderen Kandidaten um die Gunst der Partei geworben hatte. „Ihr werdet wie Kutschpferde arbeiten. Ich selbst werde den Gedanken der Work-Life-Balance aufgeben“, sagte sie. Die Zuhörer lachten. Aber Sanae Takaichi meinte es ernst. Sie rief: „Ich werde arbeiten, arbeiten, arbeiten, arbeiten, arbeiten.“
Sanae Takaichi aus Nara ist für ihren Fleiß bekannt. Sie hat selbst mal erzählt, dass sie einst die parteiinterne Anhänger-Gruppe des früheren Premierministers Shinzo Abe verließ, weil sie ihre Nächte lieber am Schreibtisch verbringe als mit Gleichgesinnten bei feuchtfröhlichen Abendessen. „Mir sind meine Fehler bewusst inklusive des Umstandes, dass ich nicht gerne mit Kollegen zum Trinken gehe“, hat die Japan Times sie mal zitiert. Allerdings ist Takaichi auch dafür bekannt, dass sie sich ansonsten sehr gut identifizieren kann mit den Freunden von Abe, dem Idol der LDP-Rechten. Ihre rechte Gesinnung ist sogar so etwas wie ihr Markenzeichen geworden.
In der LDP, dieser Ansammlung verschiedener konservativer Strömungen, hat sich Sanae Takaichi mit Beharrlichkeit hochgearbeitet zur stärksten Vertreterin des nationalistischen Flügels. Ihr Aufstieg zur Chefin wirkt wie die direkte Antwort der LDP auf die jüngsten Wahlerfolge rechtsextremer Protest-Parteien, die besonders über Japans zaghaft geförderte Zuwanderung schimpfen. Viele in der LDP scheinen zu hoffen, dass Sanae Takaichi mit ihrem weiblichen Charme die Phase zwischen 2012 und 2020 wiederbeleben kann. Damals regierte Shinzo Abe, überspielte seinen autoritären Führungsstil mit guter Laune und versuchte, Japan mit einer trickreichen Wirtschaftspolitik wieder großartig zu machen.
Gepunktet hat sie auch mit ihrer radikalen Haltung gegenüber Ausländern
Takaichi ist jedenfalls eine Verfechterin der sogenannten Abenomics-Strategie, die auf einer ultralockeren Geldpolitik fußte und bei guter Konjunktur sachtes Wachstum brachte. Sie hatte in der Vergangenheit auch kein Problem damit, als Regierungsvertreterin zum Yasukuni-Schrein in Tokio zu pilgern. Dort halten die Japaner unter anderem verschiedene Klasse-A-Kriegsverbrecher in Ehren. Solche Besuche sind ein Affront für die Nachbarn Südkorea und China, die einst unter Japans Kaiserreich litten.
Und Takaichis Haltung zu Ausländern machte sie zuletzt deutlich, als sie mit einem Beispiel aus dem Tempelpark ihrer Heimatstadt Nara den schlechten Einfluss von Fremden aufzeigen wollte. Ausländische Touristen hätten dort „Hirsche gekickt und mit Schlägen versucht, sie zu erschrecken“. Laut der Zeitung Asahi bestätigten lokale Behörden die Vorwürfe nicht. Takaichi sagte, sie habe die Bestätigung dafür „auf meine Weise“ eingeholt.
Shinzo Abe wurde 2022 ermordet. Seine Abenomics-Politik passt nicht mehr in die Zeit. Geregelte Zuwanderung sehen viele Ökonomen als wichtiges Mittel gegen Japans Überalterung. Und ein gutes Verhältnis zu einem Land wie Südkorea fanden gemäßigte LDP-Leute wie der scheidende Premierminister Shigeru Ishiba oder dessen Vorgänger Fumio Kishida wichtig für die nationale Sicherheitspolitik in geopolitisch schwierigen Zeiten.
Takaichi blickt auf eine wilde Jugend zurück
Aber die Rechten sind offensichtlich immer noch stark in der LDP. Skandale um schwarze Kassen und ihre Nähe zur Sekte Vereinigungskirche haben sie erschüttert. Grummelnd verschwanden sie in den vergangenen vier Jahren hinter den Kulissen. Ein interner Unruheherd blieben sie trotzdem. Vor allem der frühere Abe-Gegenspieler Ishiba konnte sich nicht auf seine Linie bringen. Das lag auch an Sanae Takaichi. Bei der LDP-Wahl nach Kishidas Rücktritt im vergangenen Jahr verlor sie noch gegen Ishiba. Danach lehnte sie es demonstrativ ab, einen Posten in seiner Mannschaft zu übernehmen. Nach ihrem Wahlerfolg am Samstag sprach sie Ishiba ihren Respekt aus. Aber das war wohl nur für die Galerie. Die Einheit der Partei, die sie jetzt beschwört, hat sie während der Ishiba-Amtszeit selbst unterwandert.
Sanae Takaichi blickt auf eine sogenannte wilde Jugend zurück. Sie war mal Schlagzeugerin einer Heavy-Metal-Band und fiel während des Wirtschaftsstudiums in Kobe als pinkhaarige Motorradfahrerin auf. Ins Unterhaus wurde sie 1993 zum ersten Mal als parteilose Kandidatin gewählt. Zum zweiten 1996 für eine kurzlebige Partei-Neugründung, von der sie dann die LDP abwarb. Seither hatte Takaichi verschiedene Regierungsämter, von 2022 bis 2024 war sie zum Beispiel Ministerin für wirtschaftliche Sicherheit. Für die LDP-Präsidentschaft kandidierte sie am Samstag zum dritten Mal.
Die LDP hat seit ihrer Gründung 1955 fast immer die japanische Regierung gestellt. Wer sie führt, führt auch die Regierung – das war meistens klar. Derzeit ist das nicht ganz so klar. Die LDP und ihre Dauer-Koalitionspartnerin Komeito haben bei den jüngsten Parlamentswahlen ihre Mehrheit im Unter- und Oberhaus verloren. Um dort zur Premierministerin gewählt zu werden, braucht Sanae Takaichi ein paar Stimmen der Opposition. Die Abstimmung ist für 15. Oktober anberaumt. Große Sorgen muss sich Sanae Takaichi wahrscheinlich nicht machen. Viele Oppositionsparteien haben ähnlich rechtskonservative Haltungen wie sie.





















