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Tokio: Eine Rückkehr der öffentlichen Mülleimer ist geplant – Panorama | ABC-Z

Es ist noch zu früh, um an eine Wende in der japanischen Mülleimer-Politik zu glauben. Aber immerhin gibt es Anzeichen dafür, dass der öffentliche Abfallbehälter im Inselstaat bald ein Comeback geben könnte. Die Verwaltung von Shibuya, einem der populärsten Bezirke Tokios, teilt jedenfalls auf Anfrage der SZ mit: „Wir haben damit begonnen zu prüfen, ob es möglich ist, welche aufzustellen.“ Schon dieses Bekenntnis zu einer ersten Überlegung, den Anfang vom Ende der Mülleimerlosigkeit in Betracht zu ziehen, ist eine kleine Sensation. Denn Shibuyas Beamte wirkten immer sehr überzeugt von der Idee, keine Mülleimer anzubieten.

Verzicht ist es eine bewährte japanische Methode, Umstände und Kosten zu vermeiden. Was nicht geschieht oder nicht da ist, kann auch keinen Ärger verursachen. Deshalb soll man in der U-Bahn nicht telefonieren. Deshalb nimmt Japans Staat kaum Asylanträge an. Deshalb hat Shibuyas Verwaltung in den vergangenen zwei Jahren Halloween-Partys verboten.

Dass es kaum öffentliche Mülleimer gibt, gehört zu den faszinierenden Beispielen dieser Verzichtskultur. Es zeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen Disziplin und Mangel gibt, denn Japans Straßen sind auch ohne Abfallcontainer so sauber, als gäbe es gar keinen Müll. Die Wegwerfmentalität ändert sich offensichtlich, wenn die Wegwerfgelegenheit fehlt.

Die Leute nehmen ihren Abfall mit nach Hause

Abmontiert wurden Japans Papierkörbe vor 30 Jahren nach einem der schlimmsten Tage in Tokios Geschichte. Der Giftgasanschlag der Endzeitsekte Aum Shinrikyo auf die U-Bahn der Hauptstadt am Morgen des 20. März 1995 war ein Einschnitt. Er zeigte, dass auch Friedensgesellschaften in Gefahr sind. Die Mülleimer galten plötzlich als Risiko. Niemand sollte mehr etwas in sie hineinstecken können, das die allgemeine Sicherheit gefährdet.

Erst später stellte sich heraus, dass keine Mülleimer auch ein Mittel der Müllvermeidung sind. Müll sammelt sich eben nur dort, wo man ihn entsorgen kann. Andernorts quillt der Dreck aus den Tonnen. In Japan nehmen die Leute ihren Abfall nach Hause mit. Oder sie verhalten sich so, dass sie erst gar nichts wegschmeißen müssen.

Einheimische finden das okay. Die aktuelle Debatte haben die Touristen angestoßen, die seit dem Ende der Pandemie massenweise ins Land strömen. Eine Umfrage der Tourismus-Behörde JTA ergab zuletzt, dass die Besucher an Japan nichts so sehr nervt wie die fehlenden Mülleimer. Und das Rathaus von Shibuya erklärt: „Durch den plötzlichen Anstieg der Menschenzahl gab es in letzter Zeit mehr Müll als früher.“

Die Mülleimer haben sich verändert, seit Japan sich von ihnen abgewendet hat. Es gibt sie heute mit solarbetriebener Abfallpresse, Füllstandsanzeige oder Sprachmodul. In Shibuya macht man es sich trotzdem nicht zu leicht mit der Zukunft des Wegwerfens. „Es reicht nicht aus, einfach einen Mülleimer aufzustellen“, teilt das Rathaus mit, die möglichen Auswirkungen seien zu beachten. Man suche Orte, an denen Abfallbehälter nicht im Weg stehen. Begeistert klingt das nicht. Verständlich. Es ist ja gar nicht sicher, ob die Rückkehr der Mülleimer die Stadt wirklich sauberer macht.

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