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S-Bahn München: Streckensperrung auf der Linie S3 überrascht die Pendler – Landkreis München | ABC-Z

Zwanzig vor acht zeigt die Bahnsteiguhr in Deisenhofen. Der Fahrgast, der an diesen Montagmorgen die Treppe aus der Unterführung hinauf hastet, bleibt irritiert auf dem nahezu leeren Bahnsteig stehen. Er schaut abwechselnd ungläubig auf sein Smartphone und auf die Anzeigentafel auf Gleis 1. „S3 Maisach fällt aus, S3 Mammendorf fällt aus, S3 Holzkirchen fällt aus, S3 Pasing fällt aus.“  Die Nahverkehrs-App auf seinem Handy hat etwas anderes versprochen, demnach sollte die S-Bahn ganz normal fahren. Eine Fehlinformation der Fahrplanauskunft. Fest steht: Mit der S-Bahn kommt der Mann heute nicht zur Arbeit in München. Und voraussichtlich auch den gesamten Juli nicht.

Am Freitagabend hat die Bahn überraschend angekündigt, die Strecke zwischen Holzkirchen und Giesing „über einen längeren Zeitraum“ zu sperren. Mehrere Weichen – ja es betrifft nicht nur eine – im Bereich Deisenhofen und Unterhaching sind defekt. Das hat eine sogenannte Regelinspektion ergeben. Daher herrscht jetzt erst einmal Stillstand auf ganzer Linie. Das Rückgrat des ÖPNV im Hachinger Tal wurde lahmgelegt, unerwartet und mit ungewisser Dauer. Die Fahrgäste an neun Stationen sind betroffen. Unter anderem in Sauerlach, Taufkirchen, Furth und am Fasanenpark müssen sie sich auf eine längere Auszeit einstellen und auf Busse und Taxis umsteigen. Am Wochenende traf es die Ausflügler, jetzt müssen Berufspendler und Schüler zusehen, wie sie ohne die S3 pünktlich an ihr Ziel kommen.

Ein junger Mann mit einem zusammengeklappten E-Scooter steigt schließlich auf der Ostseite des Bahnhofs in Deisenhofen in einen Bus, der ihn nach Holzkirchen bringen soll. Er vergewissert sich noch einmal, ob er ausnahmsweise den Roller mit an Bord nehmen darf. Auch er muss zu seinem Arbeitsplatz, nach Gmund am Tegernsee. Auch er hat sich auf seine App verlassen, die ihn offenbar falsch informiert hat. Von Zugausfällen wusste die digitale Auskunft jedenfalls nichts. Nun also Schienenersatzverkehr, wie sich diese Art der Beförderung nennt. In der Rushhour zu Wochenbeginn rollt hier tatsächlich ein Bus nach dem anderen an und hält vor dem alten Backsteinbau des Deisenhofener Bahnhofs. Manche, so verraten die Aufschriften, sind sonst in Nesselwang unterwegs oder transportieren die Menschen in Nördlingen.

(Foto: SZ-Grafik)

Die Bahn hat offenbar übers Wochenende Busunternehmen aus dem gesamten südbayerischen Raum angeheuert, um die Menschen im südlichen Landkreis München und im nördlichen Landkreis Miesbach von A nach B sowie von B nach A zu transportieren. Dazwischen halten immer wieder Großraumtaxis an den S-Bahnstationen. Auf den ersten Blick scheint das zu funktionieren, denn große Menschentrauben sieht man nicht. Und doch wartet eine Familie mit Koffern schon seit vierzig Minuten auf eine Fahrt von Oberhaching nach München. „Der nächste fährt jetzt in Giesing los“, sagt ein Koordinator mit orangefarbener Weste.  Richtung Süden geht es am ersten Werktag der Streckensperrung offenbar flotter.

Bahnmitarbeiter helfen in Deisenhofen beim Umsteigen in Taxis und Busse.
Bahnmitarbeiter helfen in Deisenhofen beim Umsteigen in Taxis und Busse. (Foto: Sebastian Gabriel)

Zu dritt sind Bahnmitarbeiter in Deisenhofen, einer Verkehrsdrehscheibe mit S-Bahn, Regionalbahn und zahlreichen Buslinien. Das Hilfsangebot beim Umsteigen in den Schienenersatzverkehr soll es aber laut einem der Mitarbeiter nur die ersten Tage geben, vielleicht noch an Wochenenden, wenn viele Ausflügler erwartet werden. Gemeckert habe kaum jemand. Viele sind es offenbar gewohnt, dass die S-Bahn immer wieder einmal ausfällt. Die wenigsten ahnen bereits, dass das jetzt wochenlang so gehen wird.

Am Freitag, als die Streckensperrung über den Münchner Süden hereinbrach wie ein plötzlicher Stromausfall, war der Unmut größer. Gerade einmal zwei Großraumtaxis standen am Abend in Deisenhofen bereit, „und allen haben auf den Bus gewartet“, erzählt Bettina Grahl, die in München wohnt und in Oberhaching arbeitet. Dann kam endlich einer auf der gegenüberliegenden Seite an und der Busfahrer habe nicht sagen können, wohin er fährt.  Am Montag hat Grahl das Auto genommen. Das mache sie sonst fast nie, sagt die Münchnerin.

Ein Zug steht am Montag in Deisenhofen tatsächlich doch auf dem Gleis. Die blaue Regionalbahn pendelt etwa stündlich zwischen Deisenhofen, Solln und dem Münchner Hauptbahnhof, quert also die Isar über die Großhesseloher Brücke. Zwar lässt sich eine defekte Weiche nicht mehr verstellen, sie kann aber noch passiert werden, wie einer der Bahnmitarbeiter vor der Station in Deisenhofen erläutert. Den Leuten an den anderen Haltestellen der S3 nutzt das natürlich nichts. Sie warten geduldig an den Bushaltestellen, etwa in Unterhaching vor dem Bahnhof, und quetschen sich dann in den vollen Bus.

Viele Menschen steigen am Montag in Busse am Bahnhof in Unterhaching.
Viele Menschen steigen am Montag in Busse am Bahnhof in Unterhaching. (Foto: Sebastian Gabriel)

Falls sie die Durchsage oder den Text auf der Anzeigentafel verstanden haben. „Reparatur an einer Weiche“, heißt es dort, was etwas untertrieben ist und zugleich für manchen internationalen Fahrgast die Frage aufwirft: Was heißt „Weiche“ oder „Ersatzverkehr“ auf Englisch und wie und mit welchem Ticket komme ich jetzt nach München?  Auch die ältere Dame mit dem großen Koffer wurde von dem „Ersatzverkehr“ überrascht. Sie fragt, als sie ihr Gepäck in den Bus nach Giesing wuchtet: „Bekomme ich jetzt noch meinen Zug am Hauptbahnhof?“

Hier fährt in den kommenden Wochen nichts. Zur Rushhour am Montagmorgen sind die Bahnsteige in Unterhaching nahezu leer.
Hier fährt in den kommenden Wochen nichts. Zur Rushhour am Montagmorgen sind die Bahnsteige in Unterhaching nahezu leer. (Foto: Sebastian Gabriel)

Wer pünktlich ankommen will, nimmt – wenn er kann – das Auto. Oder lässt sich wie einige Jugendliche von den Eltern fahren. An der Taufkirchner Realschule stehen an diesem Montag Prüfungen an. „Außer ein paar Nachzüglern sind alle mit Bussen und Auto rechtzeitig angekommen. Zur Prüfung kam keiner zu spät“, heißt es hinterher aus dem Sekretariat. Auf den Hinweis der Bahn können sich die Schüler natürlich nicht berufen. Die schreibt: „Der Ersatzverkehr kann die Kapazität des Zugverkehrs nicht vollständig ausgleichen, die Fahrtzeiten verlängern sich deutlich. Daher wird den Reisenden empfohlen, von nicht zwingend notwendigen Fahrten auf diesen Strecken abzusehen.“

Die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden sind sauer

Im Oberland stößt die Sperrung der Bahnstrecke naturgemäß auf wenig Begeisterung – ebenso wenig der Zeitpunkt der Bekanntgabe durch die Deutsche Bahn. Um 22.53 Uhr am Freitagabend sei die E-Mail der Bahn bei ihm eingegangen, sagt Holzkirchens Bürgermeister Christoph Schmid (CSU). Seine Marktgemeinde sei eine enorm wichtige Drehscheibe zwischen der Landeshauptstadt und dem Oberland. „Wir tun auch wahnsinnig viel dafür, dass wir die Leute in die Bahn reinbringen. So was schmeißt uns dann immer wieder ein Stück zurück“, sagt Schmid. Dass ausgerechnet marode Weichentechnik den Zugverkehr komplett ausbremst, sei ein Zeichen für die Schwächen der gesamten Infrastruktur. „Das Münchner S-Bahnnetz wurde Anfang der Siebzigerjahre für 270 000 Pendler konzipiert. Jetzt haben wir eine Million Menschen am Tag“, so Schmid. „Wir haben das Netz immer voller gemacht, aber es hat immer das Geld gefehlt. Wir ernten jetzt das Ergebnis mangelhafter Revitalisierung.“

Seine Sauerlacher Amtskollegin Barbara Bogner (Unabhängige Bürgervereinigung) zeigt sich verwundert, dass die Deutsche Bahn offensichtlich keine Ersatzteile für derartige Instandsetzungen vorhält. „Wenn man für eine Weiche einen Monat braucht, dann spricht das schon Bände“, sagt Bogner. Und das in einer Zeit, in der vor allem Schülerinnen und Schüler auf einen zuverlässigen ÖPNV angewiesen seien. „Wir haben zurzeit Abschlussprüfungen“, so die Bürgermeisterin und ehemalige Oberstudienrätin – gerade aus Sauerlach würden viele Kinder und Jugendliche in die umliegenden Schulen nach Holzkirchen, Oberhaching und Taufkirchen pendeln.

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