Ryanair streicht zahlreiche Verbindungen in Deutschland | ABC-Z
Die deutsche Luftfahrt hat sich noch immer nicht von den Corona-Beschränkungen erholt. Mehrere Airlines streichen Verbindungen – oder erhöhen die Preise. Auch Ryanair fährt sein Angebot an mittelgroßen Flughäfen zurück.
Es sind noch zehn Minuten bis zur Pressekonferenz, aber Eddie Wilson ist bereits nicht mehr zu bremsen. Vor dem Podium wedelt der Ryanair-Chef mit einem Plakat herum: “German Government must lower access costs” – “Deutschlands Regierung muss die Gebühren senken”.
Ein Mann im Anzug mit einem Plakat in der Hand: Die Optik erinnert ein bisschen an einen deplatzierten Klimaprotest. Doch auch Wilson protestiert – und zwar gegen die Politik der Bundesregierung und für mehr statt weniger Luftverkehr.
Auf der Palme: Ryanair-Chef Eddie Wilson findet für die Politik der Bundesregierung deutliche Worte.
Klare Worte zur klaren Regeln
Zwei Minuten vor Beginn der Pressekonferenz, ein paar Journalisten fehlen noch. Doch Wilson hält es nicht mehr, er legt einfach los. Empört erzählt er eine Anekdote vom Hauptstadtflughafen BER aus der Nacht vom vergangenen Sonntag zum Montag: Ein Ryanair-Flieger hatte die Landung wegen des Nachtflugverbots abbrechen müssen. Dieses gilt ab 0 Uhr. 30 Sekunden fehlten laut Wilson zur Landung. Stattdessen: Durchstarten gegen Mitternacht, Umleitung nach Hannover, stundenlanger Transfer der Passagiere mit Bussen. Erst am nächsten Morgen seien diese dann am BER angekommen.
Dann sei auch der Flieger – außerplanmäßig – nach Berlin überführt worden. Die Verantwortlichen kümmere das alles nicht, flucht Wilson: “They couldn‘t give a shit about passengers” – “Die Passagiere interessieren sie einen Scheiß”. Solche Worte hört man von deutschen Wirtschaftslenkern selten oder gar nicht. Selbst im angelsächsischen Raum ist dieser Ton unüblich. Aber Wilson ist offensichtlich nicht gekommen, um Nettigkeiten zu verteilen.
“The Stupid Germans”
“Stupid!”, ruft er – “Dumm!”. Und noch einmal: “Stupid!” – und meint die Vorschriften am BER, die keinerlei Spielraum ließen. Allein das Durchstarten der Maschine habe für mehr Lärmbelästigung gesorgt als die geplante Landung. “Here‘s what the Germans used to be good at: Common Sense!” Die Deutschen seien einmal sehr gut gewesen, wenn es um gesunden Menschenverstand geht. Das sei Vergangenheit, meint Wilson.
Dann kommt er zum offiziellen Teil der Veranstaltung, präsentiert die Geschäftszahlen. Eine Erfolgsbilanz: Ryanair sei mittlerweile die größte Airline in Europa, die Flotte werde in den kommenden Jahren aufgestockt, man wachse fast überall – nur eben nicht in Deutschland.
Aus für Dortmund, Leipzig, Dresden
An einigen kleineren Regionalflughäfen hierzulande werde Ryanair sein Angebot ausbauen. An den mittelgroßen Flughäfen Dortmund, Leipzig/Halle und Dresden hingegen werden alle Verbindungen gestrichen. Hinzu werden deutlich weniger Verbindungen aus Hamburg, Berlin und Nürnberg angeboten.
Der Grund: Die Flughäfen seien zu teuer. Mancherorts rechne es sich eben nicht mehr. Und das habe Folgen: Weniger Verbindungen hießen auch höhere Ticketpreise für die einzelnen Reisenden.
Weniger Flüge als vor Corona
In kaum einem europäischen Land hat sich der Flugverkehr nach dem Ende der Corona-Reisebeschränkungen so schlecht erholt wie in Deutschland. Laut Rechnungen des Branchenverbands BDL liegt das Luftverkehrsaufkommen heute rund 15 Prozent niedriger als 2019.
Der Einbruch kommt vor allem durch Inlandsflüge zustande. Bis auf die großen Drehkreuze Frankfurt und München hätten alle Flughäfen dramatische Rückgänge zu verzeichnen. Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des BDL, sagt: “Dort sind wir bei 20 Prozent des Binnenluftverkehrs von 2019.” Vor allem in Stuttgart, Düsseldorf, Hamburg und Berlin seien reihenweise Verbindungen gestrichen worden. Der Rest Europas bewege sich großteils wieder auf Vor-Corona-Niveau oder sogar darüber.
Kostentreiber Staat
Lang sagt, sein Verband habe alle möglichen wirtschaftlichen Parameter analysiert um herauszufinden, warum Deutschland derartig hinterherhinke: “Der Grund, der übrig bleibt: die hohen staatlichen Standortkosten.” In Deutschland koste es rund 4.700 Euro, einen Passagierjet starten zu lassen. “Der Rest Europas liegt bei 2.200 bis 2.300 im Durchschnitt. Prag liegt bei 600 Euro.”
Abgaben für die Sicherheit an den Flughäfen lägen fast doppelt so hoch wie vor fünf Jahren, die Kosten für die Flugsicherung mehr als dreimal so hoch. Besonders stark ins Gewicht falle aber die Luftverkehrssteuer. Europaweit einmalig sei diese seit 2019 um 110 Prozent gestiegen. Nur Schweden könne da noch mithalten. Doch anders als in Deutschland habe die Regierung dort reagiert. Am 1. Juli wird die Steuer dort wieder abgeschafft.
Deutscher Sonderweg: Luftverkehrssteuer
Lang fordert Gleiches auch für Deutschland. Der deutsche Sonderweg, Fliegen möglichst teuer zu machen, schade nicht nur der Branche, sondern auch der Wirtschaft. Geschäftsreisen würden massiv behindert, gerade die der “heimlichen Weltmarktführer”, die oft jenseits der großen Metropolen beheimatet sind.
Lang sagt, der Niedergang der deutschen Luftfahrt sei politisch befördert worden: “Das ist das New Normal. Ausdruck unserer gesellschaftspolitischen Entscheidung, der allerdings niemand in Europa folgt.” Wenn es die Luftverkehrssteuer in jedem Land gäbe, “würden wir uns nicht beschweren”, so Lang.
Strafen auf fehlenden Phantasiekraftstoff
Ein weiterer Vorgang, der nur in Deutschland stattfindet, bringt Lang auf die Palme. Europaweit einheitlich müssen seit diesem Jahr zwei Prozent des Flugkraftstoffes “nachhaltig” sein, also etwa aus Pflanzen oder biologischen Fetten gewonnen werden. Ab 2030 dann soll “E-Kerosin” hinzukommen: Kraftstoff, der mittels des PtL-Verfahrens (“Power-to-Liquid”) gewonnen wird. Hierbei wird in einem aufwändigen Prozess Strom genutzt, um – möglichst CO2-neutral – Kerosin zu erzeugen. Deutschland aber hat abweichend von der EU-Regelung beschlossen, dass bereits ab 2026 PtL-basiertes Kerosin beigemischt werden muss.
Das Problem dieses Kraftstoffes laut Lang: “Den kann man nicht kaufen.” Es gebe schlicht keine Produktionsanlagen, die die benötigten Mengen liefern könnten. Die Folge: die Airlines müssen – nur in Deutschland – ab dem kommenden Jahr Strafen dafür zahlen, dass sie einen Kraftstoff nicht verwenden, den es im industriellen Maßstab nur in der Phantasie gibt. Dies sei nur ein weiteres Beispiel dafür, wie die deutsche Politik Fliegen immer teurer mache.
Auf der Pressekonferenz von Ryanair appelliert Eddie Wilson immer wieder an die deutsche Regierung. Bis 2030 werde Ryanair seine Flotte deutlich ausbauen. Wenn die Flugzeuge nicht in Deutschland eingesetzt würden, dann halt auf anderen Strecken in Europa, die Nachfrage übersteige das Angebot.
Kein Klimaschutzeffekt?
Daher bringe Deutschlands Reglementierung über Steuern und Abgaben unter dem Strich auch nichts für den Klimaschutz. Die Flugzeuge würden schließlich einfach anderswo abheben. Wenn Deutschland aber umsteuere, würde auch Ryanair wieder mehr Verbindungen anbieten.
“We‘ll do it. Just lower your stupid taxes.” Man werde es tun. Deutschland solle nur seine “dummen Steuern” senken. Dass die Standortbedingungen in Deutschland genau so politisch gewollt sind, ist ihm anscheinend unbegreiflich.