Wirtschaft

Russland umgeht Öl-Sanktionen: “Putin Schattenflotte ist so nicht zu stoppen” | ABC-Z

Langfristig leidet die russische Wirtschaft wegen der Sanktionen. Um das neue Öl-Embargo der USA zu umgehen, werde der Kreml aber kurzfristig kreative Lösungen finden, sagt Alexandra Prokopenko. Sie war bis April 2022 als Beraterin der russischen Zentralbank tätig. Prokopenko kündigte aus Protest gegen Russlands Überfall der Ukraine. Heute arbeitet sie für den Thinktank Carnegie Russia Eurasia Center.

ntv.de: Der vor der Insel Rügen havarierte Öltanker “Eventin” wurde vor Sassnitz festgesetzt. Jetzt wird untersucht, ob die 100.000 Tonnen Öl an Bord aus Russland stammen und das Schiff Teil der russischen Schattenflotte ist. Wie wichtig ist der Öl-Export durch die Schattenflotte für die russische Wirtschaft?

Alexandra Prokopenko: Russland exportiert sein Rohöl auf zwei Wegen. Zum einen über Pipelines vor allem nach China, ein wesentlich kleinerer Teil geht nach Europa. Der Rest wird über Tanker verschifft. Die meisten dieser Tanker sind ein Teil der Schattenflotte, mit der Russland westliche Sanktionen umgehen will. Die gesamte Industrie rund um die Schattenflotte floriert erst, seit es westliche Sanktionen gibt. Davor war eine wesentlich kleinere Schattenflotte in einer wirtschaftlich marginalisierten Zone unterwegs, etwa für den Handel mit dem Iran oder Venezuela. Aber jetzt verschiffen die Tanker riesige Mengen an Öl kreuz und quer durch internationale Gewässer. Die wichtigsten Abnehmer sind Indien und China.

Prokopenko arbeitet für den Thinktank Carnegie Russia Eurasia Center.

Prokopenko arbeitet für den Thinktank Carnegie Russia Eurasia Center.

(Foto: Alexandra Prokopenko)

Westlichen Sanktionen verbieten unter anderem, russische Öllieferungen zu versichern. Durch neue US-Sanktionen werden die russischen Ölproduzenten Gazprom Neft und Surgutneftegaz sowie 183 Öl-Tanker mit Sanktionen belegt. Hafenbetreibern oder anderen Unternehmen, die mit sanktionierten Tankern Geschäfte machen, drohen Strafen. Wird die Schattenflotte dadurch zum Erliegen kommen?

Die neuen Sanktionen, die jetzt von den USA verhängt wurden, betreffen ein Drittel dieser Schattenflotte. Kurzfristig wird das Auswirkungen auf den russischen Haushalt und die Wirtschaft haben. Der Export von 1,3 Millionen Barrel Rohöl pro Tag wird dadurch unterbrochen. Das ist eine enorme Menge. Da die Sanktionen Russlands Öl-Export immer strenger regulieren, drücken sie langfristig Russlands Gewinnmarge. Moskau hat höhere Kosten. Zugleich haben China und Indien als größte Abnehmer Macht über Russland, um für sich besonders günstige Preise rauszuholen.

Was kann der Kreml jetzt tun?

Der Kreml hat zwei Optionen. Erstens kann er die durch die Schattenflotte transportierten Exportmengen an Rohöl reduzieren und sein Öl für die von den G7-Staaten festgelegte Preis-Obergrenze von 60 US-Dollar pro Barrel verkaufen. Das ist aber höchst unwahrscheinlich. Die zweite Option ist die Mobilisierung alternativer Schiffe für eine neue Schattenflotte. Die Industrie, die daran hängt, muss sich dann erstmal anpassen. Sie braucht etwa eigene Versicherer und Briefkastenfirmen, um ein neues System aufzubauen. Diese Investitionen werden kurzfristig dafür sorgen, dass Russland weniger Gewinn macht. Aber ich gehe davon aus, dass Präsident Wladimir Putins Schattenflotte so nicht zu stoppen ist, da sie sich an die neuen Sanktionen anpassen wird. Die Frage ist, wie schnell und in welchem Umfang Moskau dazu in der Lage ist. Es wird aber voraussichtlich nicht Jahre dauern.

Warum ist es unwahrscheinlich, dass Russland beim Öl-Export die von den G7-Staaten festgelegte Preis-Obergrenze einhält?

Das wäre für Putin politisch inakzeptabel, da er damit ausdrücken würde, dass Sanktionen funktionieren und Russland sich ihnen unterwirft. Das widerspricht dem Narrativ des Kremls, dass die Sanktionen der russischen Wirtschaft nicht schaden. Außerdem wäre der Gewinnverlust für Russland geringer, wenn Moskau einfach alternative Schiffe für eine neue Schattenflotte findet. Moskau würde dadurch auch mehr Zeit gewinnen, weil die westlichen Länder erst wieder herausfinden müssen, welche Tanker dazu gehören. In dieser Zeit kann Russland wieder Profit machen.

Das Narrativ des Kremls, die Sanktionen seien wirkungslos, übernehmen auch Rechtspopulisten in Deutschland und anderen westlichen Ländern. Was sagen Sie dazu?

Dieses Narrativ ist falsch. Sowohl die russische Wirtschaft als auch die Art und Weise, wie der Kreml Wirtschaftspolitik betreibt, wurden durch die Sanktionen beeinflusst. Sogar im täglichen Leben spüren die Russen die Auswirkungen. Sie leiden unter hoher Inflation, die derzeit knapp zehn Prozent beträgt. Auch die Fülle der Produkte in den Supermarktregalen verändert sich – ungewöhnliche oder neue Marken mit uneinheitlicher Qualität erscheinen. Das Problem in Bezug auf Rechtspopulisten waren auch die falschen Erwartungen. Die Annahme, Sanktionen würden die russische Wirtschaft sofort in die Knie zwingen, ist falsch. Russlands Wirtschaft ist ein großes Tier. Es ist schwer, es mit einem Schuss zu töten.

Tun die Sanktionen Russland langfristig also weh?

Ja. Die russische Wirtschaft wächst zwar. Es ist aber kein gesundes Wachstum. Die beiden wichtigsten Indikatoren dafür sind die Inflation und der enorm gestiegene Leitzins, der bei 21 Prozent steht. Kein Politiker in Deutschland, ob populistisch oder nicht, möchte sich vorstellen, wie sein Land mit einem solchen Leitzins wirtschaften muss. Außerdem ist bereits deutlich, dass Russland den Wettbewerb mit anderen Ländern beim technologischen Fortschritt aufgegeben hat, weil die Sanktionen gegen den Sektor der Hochleistungstechnologie wirken. Das angebliche russische Wirtschaftswunder, von dem Populisten sprechen, basiert ausschließlich auf massiven Staatsausgaben in bestimmten Bereichen. Zugleich muss der Kreml in diesem Jahr staatliche Leistungen in anderen Bereichen kürzen, um seine Militärausgaben zu finanzieren. Es wird weniger Geld geben für Sozialpolitik, Infrastruktur, Bildung, das Gesundheitswesen und die innere Sicherheit. Die Sanktionen haben also ein wichtiges Ziel erfüllt: Russlands wirtschaftliches Potenzial in Zukunft zu untergraben.

Wird die russische Wirtschaft deshalb irgendwann kollabieren?

Ich sehe keine Anzeichen für einen bevorstehenden Zusammenbruch der russischen Wirtschaft, aber sie befindet sich in einer tiefen Krise. Der militärische Teil der russischen Wirtschaft wird die Ressourcen aus dem zivilen Teil saugen. Zudem leidet Russland unter einem Arbeitskräftemangel, aus dem es keinen Ausweg gibt. Das alles bedeutet eine mäßige, allmähliche, aber absolut unvermeidliche Verschlechterung der gesamten Wirtschaft. Sogar falls Putin und der künftige US-Präsident Donald Trump durch einen Deal einen Waffenstillstand in der Ukraine herstellen, bedeutet das nicht, dass Russlands Militärausgaben sinken werden. Sie könnten sogar steigen, weil Russland seine Arsenale auffüllen muss, um sein militärisches Potenzial wieder aufzubauen. Da die NATO-Länder ihre Wehretats nicht kürzen werden, gibt es keinen Grund für Putin, Russlands Militärausgaben herunterzufahren. Putin wird 2025 trotz der Sanktionen genug Geld für seinen Krieg haben.

Mit Alexandra Prokopenko sprach Lea Verstl

Back to top button