Rummenigge bestätigt Mega-Angebot für Ribéry: „Wir waren hin- und hergerissen“ | ABC-Z

AZ: Herr Rummenigge, in dieser Woche hat der FC Bayern seinen 125. Geburtstag gefeiert – und Sie haben mehr als 50 Jahre davon persönlich mitgestaltet, zunächst als Spieler, dann über lange Zeit in der Klubführung. Wäre es eine Übertreibung, von ihrer zweiten Familie zu sprechen?
KARL-HEINZ RUMMENIGGE: Nein, das ist nicht übertrieben, weil der FC Bayern ein wichtiger Bestandteil meines Lebens geworden ist. Ich bin hierher gekommen mit gerade einmal 18 Jahren und hatte mir eigentlich eine Überlebensdauer von maximal zwei Jahren ausgerechnet, weil ich gedacht habe, in dieser Mannschaft mit Müller, Beckenbauer, Maier, Hoeneß, Breitner und wie sie alle hießen – da spielst du alles, nur keine Hauptrolle.
© Sigi Müller
von Sigi Müller
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Es kam anders. . .
Ich hatte das Glück, schon in meiner ersten Saison zu einigen Einsätzen zu kommen. Und ich war von Anfang an Zimmergenosse von Uli Hoeneß: Da habe ich relativ viel mitbekommen, schon in jungen Jahren.
Sie haben 2021 nach 19 Jahren als Vorstandschef aufgehört, sind aber 2023 zurückgekehrt und in den Aufsichtsrat gerückt. Hat der FC Bayern Ihnen so sehr gefehlt in der Zwischenzeit?
Nein, eigentlich nicht. Ich habe zielbewusst aufgehört, schon sechs Monate bevor mein Vertrag auslief, weil ich gemerkt habe, dass es der richtige Moment ist. Und die knapp zweijährige Auszeit habe ich auch genossen. Ich bin direkt nach meinem Ende bei Bayern mit der ganzen Familie zweieinhalb Monate in unser Haus nach Sylt gefahren und habe richtig runtergeschaltet. Es herrschte Ruhe – bis mich irgendwann Uli Hoeneß und Herbert Hainer nach einem Gespräch gefragt haben. Sie haben mich gebeten, in den Aufsichtsrat zu rücken, um die Fußballkompetenz in diesem extrem honorig besetzten Gremium zu erhöhen. Und diese Rolle füllen Uli und ich seitdem aus, wir sind die beiden mit Fußballbenzin im Blut (lacht).
Rummenigge: So hat Guardiola die Bayern-Bosse von Kompany überzeugt
Sie gehörten im Sommer 2023 auch dem Transferausschuss an, der sich um den Kader gekümmert hat. Da gab es einige Probleme mit Thomas Tuchel. Wie geht der aktuelle Trainer Vincent Kompany bei Transferthemen vor?
Vincent ist ein ganz anderer Typ. Man muss ja korrekterweise sagen, dass er für uns alle am Anfang ein unbeschriebenes Blatt war. Irgendwann im vergangenen Sommer kamen Max und Christoph nach einigen Absagen zu uns und haben von guten Gesprächen mit Vincent berichtet. Sie waren überzeugt, den richtigen Trainer gefunden zu haben. Max hat mich dann gebeten, mit Pep Guardiola zu sprechen, weil er Vincent ja bei Manchester City trainiert hatte. Vincent war sein Kapitän. Und Pep hat mir in einem anderthalbstündigen Vortrag erklärt, warum er zu 100 Prozent sicher ist, dass Vincent der richtige Trainer für Bayern ist. Ich dachte mir: Wenn Pep diese hohen Weihen erteilt, dann wird schon alles passen.
Was heute für den Trainer-Neuling Kompany gilt, galt damals für Sie als Spieler des FC Bayern. Wie war das für Sie als 18-Jähriger, in dieses Starensemble um Beckenbauer zu kommen?
Ich habe parallel zum Fußball meine Lehre bei der Volksbank Lippstadt gemacht, als plötzlich Robert Schwan (Ex-Bayern-Manager, d.Red.) anrief. Die Rezeptionistin hat mich ans Telefon geholt, und ich muss zugeben, dass ich leicht gezittert habe. Bayerns Co-Trainer Werner Kern hatte mich eine Woche zuvor in einem Spiel beobachtet, da habe ich drei Tore geschossen. Und jetzt wollte der große FC Bayern den Jungen aus dem kleinen Lippstadt verpflichten. Ich war stolz – und auch leicht schockiert.
Rummenigge war vor dem ersten Training mit Beckenbauer und Co. „extrem nervös“
Wie war Ihr Start bei Bayern?
Ich habe mir keine große Chance ausgerechnet, weil diese Mannschaft Meister geworden war und den Europapokal der Landesmeister geholt hatte. Acht Spieler waren gerade Weltmeister geworden. Beim ersten Training war ich viel zu früh da, mit Abstand der Erste. Und extrem nervös. Ich habe mich höflich vorgestellt und jeden Spieler gesiezt, auch den Franz. Ich habe ihm gesagt, dass ich mich sehr darüber freue, mit ihm trainieren zu dürfen. Wohlgemerkt: zu dürfen. Der Franz hat nur geschmunzelt, mir die Hand gegeben und gesagt: „Servus, ich bin der Franz“. Es war alles viel einfacher, als ich es mir ausgemalt hatte.
Sie haben sich nach einem Lehrjahr schnell ins Team gespielt, Dettmar Cramer kam als neuer Trainer und hat auf Sie gesetzt.
Dettmar Cramer war das, was ich heute noch als Fußballlehrer bezeichne. Er hat mich wirklich ausgebildet als Spieler. Unter Cramer gab es keine Freizeit, es wurde auch sonntags trainiert. Er hat zu verantworten, dass ich meine Karriere so gemacht habe, wie ich sie gemacht habe. Er hat mich getrieben. Nach einem halben Jahr hat er zu mir gesagt: „Wenn du nicht in einem Jahr Nationalspieler bist, trete ich dir in den Arsch.“ Und er hat mich wirklich Tag und Nacht in den Allerwertesten getreten, bis ich dann Nationalspieler war.
Rummenigge über Zusammenspiel mit Breitner: „Paul und ich haben einfach perfekt zusammengepasst“
1976 haben Sie als Stammspieler mit dem FC Bayern erneut den Landesmeister-Cup gewonnen, in Glasgow gab es ein 1:0 gegen St. Etienne. Und es gab eine Begegnung mit den Rolling Stones. . .
Daran erinnere ich mich noch genau. Wir waren im selben Hotel, die Stones kamen in vier weinroten Bentleys vorgefahren. Mick Jagger ist bei uns in den Mannschaftsraum reingetaumelt und hat immer nur nach Franz gefragt: „Where is Franz? Where is my friend?“ Da hat Dettmar Cramer Jagger in den Arm genommen und gesagt: „Mein Freund, ich muss jetzt unser Finale vorbereiten – und du dein Konzert.“ Da ist der Mick Jagger ohne zu Murren wieder aus dem Raum gegangen. Das war köstlich.
Auf das Finale 1976 folgten sportlich eher dürre Jahre, erst 1980 holte Bayern wieder die Meisterschaft. Sie und Paul Breitner, „Breitnigge“, führten die Mannschaft an. Wie war das Zusammenspiel mit Breitner?
Wir sind ja eigentlich total unterschiedliche Menschen, aber auf dem Platz waren wir wie eineiige Zwillinge. Paul hatte dieses wunderbare Auge und diesen langen Pass, der für alle Gegner die tödlichste Waffe war. Ich wusste, wann der Pass kam, und bin losgelaufen. Bei meiner Geschwindigkeit hat mich keiner mehr eingeholt. Paul und ich haben einfach perfekt zusammengepasst. Bei der Nationalmannschaft lagen wir auch zusammen auf einem Zimmer. Aber irgendwie habe ich mich immer schwer getan, mit ihm gemeinsame Themen zu finden. Er war beispielsweise Weinkenner, ich nicht. Heute könnte ich darüber besser mit ihm diskutieren (lacht).
Sie sind zweimal Europas Fußballer des Jahres geworden, 1984 zu Inter Mailand gewechselt, was den FC Bayern finanziell saniert hat, und 1991 als Vizepräsident zu Bayern zurückgekehrt. Woher kam Ihre Motivation, ins Management einzusteigen?
Ich wollte im Fußball etwas machen, ich wusste nur nicht genau, was. Trainer? Ins Management? Und dann kam in diesem vermaledeiten Jahr 1991 Bayern-Präsident Fritz Scherer zu mir und Franz und sagte, dass er gern die fußballerische Basis in der Führungsetage stärken würde. Er hat uns beiden vorgeschlagen, Vizepräsidenten zu werden. Franz hat mich angeschaut und gesagt: „Mach mas!“ Ich denke, es hat sich für alle Seiten gelohnt.
Rummenigge: Beckenbauer „konnte auch eine Wildsau sein“
Aber war es nicht manchmal schwierig, mit so vielen Führungspersonen zu einer Einigung zu kommen? Uli Hoeneß war ja auch noch da, Karl Hopfner. . .
Wir waren nicht immer alle einer Meinung, manchmal waren die Diskussionen schon auch konträr. Franz hatte die Gabe, die Turbulenzen wieder zu beruhigen. Er hat dann gesagt: „So, jetzt spielen wir Schafkopf.“ Dann wurde Schafkopf gespielt, Weißbier getrunken und Leberkas gegessen. Dann herrschte wieder Frieden. Wir haben die Dinge immer zusammen vorangetrieben. Es herrschte große Loyalität und Qualität in diesem Quartett.
Gemeinsam haben Sie 1992 auch beschlossen, Lothar Matthäus von Inter Mailand zurückzuholen.
Oh ja, das war eine lustige Geschichte. Da habe ich den Franz so richtig kennengelernt, er konnte auch eine Wildsau sein (lacht).
Inwiefern?
Wir sind damals ohne Uli nach Mailand gereist, er hatte die Grippe. Ich kam direkt aus meinem Urlaub in Sardinien eingeflogen, weil wir erfahren hatten, dass es eine Chance gab, Lothar zu verpflichten. Er erholte sich gerade von einem Kreuzbandriss. Wir trafen uns also im Haus von Inter-Präsident Ernesto Pellegrini, den ich aus meiner aktiven Zeit bei Inter gut kannte. Ich habe dann hin und her gedolmetscht. Das Problem war die Ablöse: Inter hat umgerechnet fünf Millionen Mark für Lothar aufgerufen, was unserem Präsidenten Fritz Scherer und unserem Schatzmeister Kurt Hegerich zu viel war. Hegerich meinte, dass wir so viel Geld nicht auf dem Konto hätten. Und dann kam Franz. Er sagte zu den beiden: „Wisst ihr was, da draußen stehen 50 Journalisten, auch deutsche. Dann geht ihr zwei jetzt raus und erklärt ihnen, warum wir Lothar nicht verpflichten!“ Scherer und Hegerich wurden fast panisch und kamen letztlich doch zu dem Ergebnis: Wir machen es. Und das lohnte sich für uns. Denn als Lothar wieder fit war, hat er uns mit seiner großen Qualität und Persönlichkeit auf dem Platz extrem geholfen.
Hoeneß „hat immer geackert ohne Ende“
Beim Mailand-Trip war Hoeneß nicht dabei, danach aber hat er mit Ihnen zusammen den FC Bayern über Jahrzehnte gelenkt. War es Ihr Erfolgsgeheimnis, dass Sie und Hoeneß so verschieden waren?
Wir sind gar nicht so unterschiedlich, wie man glaubt. Sicher: Wir haben uns manchmal an gewissen Dingen verhakt. Und das ist dann auch mal in Reibereien ausgeartet, was ich heute ein Stück weit bedauere, weil ich glaube, ihn jetzt besser zu verstehen als früher. Eine Freundschaft muss auch mal Krach aushalten. Im Prinzip will Uli nur Spaß am Fußball haben und einen funktionellen, seriösen und erfolgreichen FC Bayern. Und ich muss sagen: Ohne Uli Hoeneß wäre dieser Klub heute nicht das, was er ist. Er hat immer geackert ohne Ende. Egal welches Problem irgendein Spieler hatte, Uli hat es gelöst. Und er hat versucht, überall Geld aufzutreiben, um die Mannschaft qualitativ zu verstärken. Uli war der ,Spiritus Rector‘ von allem beim FC Bayern.
Sie haben den FC Bayern quasi als „Außenminister“ vertreten, waren Gründer und von 2008 bis 2017 Vorsitzender er Europäischen Klubvereinigung (ECA). War diese Rolle immer Ihr Wunsch?
Ich habe von 1991 an viel von Uli und Franz gelernt und mich auf diese Rolle als internationaler Botschafter konzentriert. Das war für mich wie ein Sechser im Lotto – und auch für den Klub. Denn im Laufe der Jahre konnte ich ein riesiges internationales Netzwerk aufbauen, von dem der FC Bayern bis heute profitiert. Wir haben in der ECA viele wichtige Themen vorangetrieben, wie etwa das Financial Fairplay. So ist es gelungen, den FC Bayern auch ohne Investor in der europäischen Spitze zu etablieren.
Doch es gab auch schwierige Phasen. Wie knifflig war die Situation nach der Saison 2006/2007, als Bayern die Champions League verpasst hatte?
Ich kann mich noch erinnern, wie Uli und ich damals zum Franz nach Kitzbühel gefahren sind und unser Projekt vorgestellt haben. Es hat sich genannt: „Do the unexpected“. Wir wollten in Krisenzeiten investieren – und der Aufsichtsrat hat auf Drängen von Franz letztendlich zugestimmt, dass wir mehrere Topspieler wie Franck Ribéry, Luca Toni oder Miroslav Klose verpflichten. Für viel Geld. Da war Uli, Karl Hopfner und mir klar, dass wir ein Jahr lang richtig ackern müssen, um eine ausgeglichene Bilanz zu erreichen. Im Uefa-Cup gab es ja deutlich geringere Einnahmen als in der Champions League. Und wir haben geackert, alle möglichen Finanzquellen angezapft, Sponsoren rangeholt. Am Ende der Saison haben wir unter Ottmar Hitzfeld das Double gewonnen und das Halbfinale im Uefa-Cup erreicht. Und es ist uns gelungen, bei den Finanzen break even zu erreichen. Dafür wurden wir von unseren Aufsichtsräten Herbert Hainer und Herbert Henzler, den Finanzexperten, ins Käfer-Restaurant zum Brunch eingeladen. Sie hatten für uns Skulpturen aus Eis anfertigen lassen mit unseren Köpfen als Motiv. So dankbar waren sie. Am Saisonende hätten wir dann den großen Reibach machen können.
Bayern lag Mega-Angebot für Ribéry vor: „Wir waren hin- und hergerissen“
Womit?
Wir haben ein Angebot für Franck Ribery aus England erhalten, 85 Millionen Euro Ablöse, plus ein Spieler. Uli, Karl und ich haben stundenlang darüber diskutiert, wir waren alle drei hin- und hergerissen. Denn mit 85 Millionen Euro wären wir erstmal sorgenfrei gewesen in der Zukunft. Aber es war letztlich Karl Hopfer, der den entscheidenden Satz formuliert hat, der bis heute gilt: „Wir wollen kein Verkäuferklub sein, sondern nur ein Käuferklub.“ Das war ein ganz wichtiger Moment für die Zukunft des FC Bayern. Wir haben Ribéry gehalten, mit ihm verlängert und auch danach keinen unserer besten Spieler verkauft.
Zwischen 2010 und 2013 hat die Mannschaft um Ribéry und Arjen Robben drei Champions-League-Finals in vier Jahren erreicht, 2012 gab es die bittere Niederlage im Finale dahoam gegen Chelsea. Ist diese Wunde inzwischen bei Ihnen persönlich verheilt?
Wir alle waren 2012 geschockt, weil wir dieses Finale so unverdient verloren haben. Unser Horrorjahr war perfekt – dreimal nur Zweiter. Jupp Heynckes war fix und fertig. Dann sind wir alle zwei Wochen in den Urlaub gefahren und haben es irgendwie geschafft, wieder aufzustehen. Es ging damit los, dass wir täglich telefoniert und in dieser Zeit schnell verschiedene Transfers getätigt haben: Mandzukic, Shaqiri, Dante. Gar nicht so spektakulär, aber im Rückblick sehr wichtig.
Und Sie haben Javi Martínez für 40 Millionen Euro aus Bilbao geholt.
Martínez war eine spezielle Geschichte. Zwei Monate lang haben wir über ihn diskutiert, zwei Tage vor Transferschluss noch mal intensiv. Ich habe Jupp die Frage gestellt: „Bringt uns dieser Spieler diesen Schuss Qualität mehr, damit wir das, was wir im letzten Jahr erlebt haben, dieses Jahr nicht mehr erleben?“ Und Jupp hat sofort geantwortet: „Ja!“. Er war total überzeugt. Dann haben wir unseren Justiziar Michael Gerlinger nach Madrid geschickt, damit er einen Scheck über 40 Millionen Euro bei der spanischen Liga einreicht. Anschließend ist Gerlinger nach Bilbao geflogen und hat Martínez mit nach München gebracht.
Martínez brauchte Zeit, um auf Top-Niveau zu kommen
War Ihnen sofort klar, dass Martínez den Unterschied ausmacht?
Die ersten vier Wochen nicht, da kam er ja immer nur so 15 Minuten rein. Einmal bin ich nach einem Spiel runter in die Kabine und habe Jupp gefragt, ob irgendwas mit Javi Martinez sei, das man wissen sollte. Jupp meinte nur: „Er ist noch nicht topfit. Ihr müsst mir schon vertrauen, den kriege ich auf das Niveau, auf dem wir ihn haben wollen.“ Und dann war Martínez letztlich einer der wichtigsten Spieler auf dem Weg zum Triple.
Wie haben Sie das Finale 2013 in Wembley gegen Dortmund erlebt?
2013 ist bei mir persönlich die Wunde von 2012 verheilt, weil wir erstmals in der Bayern-Historie das Triple gewonnen haben. Unsere Mannschaft um Thomas Müller, Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Manuel Neuer, Ribéry und Robben war verschworen, sie hatte sich das verdient. Doch die Fahrt ins Wembleystadion war schrecklich. Wir waren anderthalb Stunden unterwegs, es herrschte ein Irrsinnsverkehr in London, Uli und ich haben kein Wort gesagt. Wir waren so unter Strom, weil wir wussten: Wir haben zwar die Meisterschaft gewonnen, aber dieses Spiel entscheidet darüber, wer die Macht in Deutschland hat: Wir oder Dortmund?