Rumänien-Wahl: Der Verdacht, dass Russlands Einmischung nur ein Vorwand ist | ABC-Z
In Rumänien wurden die Präsidentschaftswahlen annulliert – wegen angeblicher russischer Einmischung. Rund sechs Wochen später liegen dafür noch immer keine stichhaltigen Beweise vor. Mit dramatischen Folgen für das Demokratieverständnis der Menschen in dem so wichtigen Nato-Land.
In Rumänien, einem Mitglied der Europäischen Union, regiert derzeit ein nicht gewählter Präsident. Klaus Iohannis‘ Mandat endete am 21. Dezember. Doch der langjährige rumänische Präsident wird seine Amtszeit um fünf Monate ausdehnen. Erst im Mai wählen die Menschen ein neues Staatsoberhaupt – weil die ursprüngliche Wahl annulliert wurde.
Ende November, bei der ersten Wahlrunde, war wie aus dem Nichts Calin Georgescu auf Platz eins gelandet. Ein Politiker, der zwischen Verschwörungstheorie, Rechtsextremismus und Geschichtsrevisionismus anzusiedeln ist. Zwei Tage vor der geplanten Stichwahl annullierte das rumänische Verfassungsgericht das Ergebnis. Der Wahlprozess sei durch zahlreiche Verstöße gegen das Wahlgesetz manipuliert worden. Georgescu sprach von einem „Staatsstreich“.
Zwei Tage zuvor waren Geheimdienstinformationen deklassifiziert worden, die Manipulationsversuche sowie Desinformationskampagnen in den sozialen Medien durch russische Netzwerke sowie illegale Wahlkampffinanzierung belegten. Auch ist die Rede von einem Cyberangriff durch einen staatlichen Akteur.
Nur: Reicht das, um eine Wahl zu annullieren? Viele Experten sagen: nein. Es fehlen handfeste Belege, dass Russland hinter dem vermuteten Angriff steckt und die Manipulationen maßgeblich für das Wahlergebnis waren. Die Dokumente „enthalten keine ernst zu nehmenden Beweise“, sagt der Politikwissenschaftler Armand Gosu von der Universität Bukarest. Die meisten Informationen würden aus der rumänischen Presse stammen. Er habe erwartet, dass die Geheimdienste „über die Existenz solider Hinweise auf russische Einmischung informieren und diesbezüglich Beweise vorlegen würden“.
Doch das passierte nicht. Den Vorwürfen eines „Staatsstreichs“ hat die rumänische Regierung deshalb kaum etwas entgegenzusetzen. Am Wochenende protestierten Zehntausende in Bukarest für Georgescu und forderten Iohannis’ Rücktritt. Zu der Kundgebung aufgerufen hatte die rechtsextreme Partei AUR.
Auch tauchten Hinweise auf, die auf eine Involvierung aus anderer Richtung deuten. Das investigative Portal Snoop.ro berichtete unter Berufung auf Quellen in der Steuerbehörde, dass die Mitte-rechts-Partei PNL Geld in Georgescus Tiktok-Kampagne gepumpt habe. Zudem kam ans Licht, dass die sozialdemokratische PSD ihre eigenen Leute zur Wahl des Rechtsaußen-Politikers George Simion aufgerufen hatte.
Gosu meint darin eine Strategie des PSD-Präsidentschaftskandidaten (und aktuellen Premierministers) Marcel Ciolacu zu erkennen. Dieser habe geglaubt, nur gewinnen zu können, „indem er Wähler hinter sich vereinte, die sonst nicht für ihn gestimmt hätten – unter dem Vorwand, das Land vor Russland und Extremismus zu schützen“.
„Die Menschen haben jegliches Vertrauen in Institutionen und Politiker verloren“
Die Argumente jener, die eine große Verschwörung wittern, werden durch das Verhalten der politischen Elite mindestens befeuert. Dabei ist es laut Gosu nicht mal unwahrscheinlich, dass Russland seine Hände im Spiel hat: „Es wäre seltsam gewesen, wenn der hybride Krieg Russlands an Rumänien vorbeigegangen wäre. Es ist nur so, dass diese Dinge bewiesen werden müssen, wenn man glaubwürdig sein will.“
Dass dies nicht geschehen sei, habe dramatische Auswirkungen auf die rumänische Demokratie. „Die Menschen haben jegliches Vertrauen in Institutionen und Politiker verloren“, sagt er. „Im Laufe des letzten Monats hat sich die Meinung herauskristallisiert, dass Russlands Einmischung nur ein Vorwand ist, den die beiden wichtigsten Parteien, die Nationalliberalen und die Sozialdemokraten, nutzen, um an der Macht zu bleiben.“ Auch das Verfassungsgericht habe jegliche Glaubwürdigkeit verloren.
Viele Fragen sind offen. Warum bestätigte das Verfassungsgericht zunächst die Wahlergebnisse, wenn es damals bereits Hinweise auf Manipulationen gab? Warum gab Iohannis nach Runde eins an, nichts über eine mögliche Wahlbeeinflussung zu wissen, wenn seine Dienste einige Tage später das Gegenteil zu belegen behaupteten? Wenn bei der Präsidentschaftswahl manipuliert wurde, warum besteht der Verdacht nicht auch bei der Parlamentswahl, die nur eine Woche später stattfand? Wird Georgescu erneut als Kandidat zur Wahl zugelassen?
Zu Georgescus Erfolg trug wohl auch die Politikverdrossenheit bei. Das, was gerade passiert, verstärkt dieses Gefühl. Gosu drückt es so aus: „Unter diesen Umständen haben viele meiner Freunde erklärt, dass sie in Rumänien nie wieder zur Wahl gehen werden.“
Carolina Drüten ist Türkei-Korrespondentin mit Sitz in Istanbul. Sie berichtet außerdem über Griechenland, die Länder des westlichen Balkans, Rumänien und die Republik Moldau. Im Auftrag von WELT ist sie als Autorin und Live-Berichterstatterin für den Fernsehsender unterwegs.