Kultur

Ruhrpott-Thriller „Frisch“ im Kino: Stadien kaputter Männlichkeit | ABC-Z

So richtig hell ist es selten in Damian John Harpers Thriller „Frisch“, im buchstäblichen und übertragenen Sinne. Autos schieben sich durch die Nacht, die von Neonlichtern durchzogen wird, es regnet gern, wenn in dialektgeschwängerten Gesprächen kleinere bis mittelgroße Gaunereien besprochen werden.

Notwendige Gaunereien, weil die „Blagen“ ja teuer sind und die „Maloche“ nicht genug abwirft. Die raue Mundart ist in dem Film, der ein bisschen zu hemdsärmelig als Ruhrpott­western vermarktet wird, zentral. Quasi das Ausrufezeichen dazu ist Ralf Richters aus dem Off brummende Erzählerstimme.

Harper, gebürtiger US-Amerikaner und ausgebildet an der Münchner Filmhochschule, adaptiert in seinem dritten Spielfilm nach „Los Ángeles“ und „In the Middle of the River“ den Roman „Fresh“ von Mark McNay – und verlegt dessen nahe London gelegene Vorstadtszenerie ins industrielle Herz Deutschlands. Die Maloche, der sein Protagonist Kai (Louis Hofmann) nachgeht, passt in das von Gewalt durchzogene Milieu.

Der junge Mann verdingt sich in einer Fleischverarbeitung, immer wieder arbeiten sich Sägen und Messer vor weiß gefliesten Wänden durch Tierhälften, einmal platscht das Blut aus den Hälsen aufgehängter Schweine auf den Boden, ein anderes Mal pult Kai mit seinem Messer die Augäpfel aus Rinderköpfen.

Der Film

„Frisch“. Regie: Damian John Harper. Mit Louis Hofmann, Franz Pätzold u. a. Deutschland 2024, 98 Min.

Kai lebt mit seiner Frau Ayşe (Canan Kir) und Tochter Jenny in einer abgerockten Wohnung. Das bescheidene Dasein zwischen Arbeit, Familie und Bieren mit dem Onkel Andy (Sascha Geršak), der auch in der Fabrik arbeitet, nimmt ein jähes Ende, als Kais Bruder Mirko (Franz Pätzold) aus dem Knast kommt. Letzterer ist eine wandelnde Atombombe, nervlich immer am Anschlag, schlagfreudig und alles andere als begeistert, dass Kai von seinen 10.000 Euro, die er aufbewahren sollte, einiges für die Familie ausgegeben hat.

Mirko will sein Geld zurück und zwingt seinen Bruder wieder in die Kriminalität. Widerstand erscheint zwecklos gegen den von Pätzold mit kurzer Zündschnur gespielten aggressiven Freak.

Zum Glück nicht totzukriegen

Allein durch die lokale Verortung lässt „Frisch“ ganz unweigerlich an Filme wie „Bang Boom Bang – Ein todsicheres Ding“ (1999) denken. Doch wo Peter Thorwarths Film mit klamaukigem Charme punktete, bleibt Harpers Film düster, hart und beinahe humorlos.

Vor allem jüngere Regiestimmen halten das deutsche Genrekino lebendig, nicht selten mit sehr begrenzten Mitteln

Genrekino hat es in Deutschland ja bekanntermaßen alles andere als leicht beim Publikum – doch totzukriegen ist es glücklicherweise nicht. Das zeigen nicht zuletzt renommierte Regisseure wie Christoph Hochhäusler und Thomas Arslan seit Jahren. Hochhäusler überführte 2023 mit seinem Großstadtthriller „Bis ans Ende der Nacht“ um eine Transfrau und einen schwulen verdeckten Ermittler das deutsche Genrekino auch in Sachen Sexualität und Genderfragen ins 21. Jahrhundert.

Sein jüngstes Werk, „La Mort viendra“, ein kühler Thriller über eine Auftragsmörderin, feierte Premiere in Locarno. Es ist Hochhäuslers erster französischsprachiger Film und seine Interpretation des Polar, des französischen Kriminalfilms zwischen Genre- und Autorenkino. Arslan wiederum brachte 2024 mit „Verbrannte Erde“ die späte Fortsetzung seines Berliner Film noir „Im Schatten“ (2010) ins Kino.

Die Welt ist krank, Heilungsversuche zwecklos

Vor allem auch jüngere Regiestimmen halten das deutsche Genrekino lebendig – nicht selten mit sehr begrenzten Mitteln. Autodidakt Max Gleschinski etwa drehte sein Debüt „Kahlschlag“ (2020) völlig ohne Unterstützung aus den klassischen Filmfördertöpfen mit einem Zuschuss von 10.000 Euro des Kulturfonds des Landes Mecklenburg-Vorpommern: ein Hybrid aus Heimatfilm und Thriller um zwei alte Freunde und eine Frau, der über die Geister der Vergangenheit reflektierte.

Auch Denis Moschitto und Daniel Rakete Siegel haben laut eigenen Aussagen mit kleinem Budget „unter dem Radar“ gefilmt und mit „Schock“ im vergangenen Jahr einen neonlichtgetränkten, visuell und auditiv an den frühen Nicolas Winding Refn erinnernden Thriller in die Kinos gebracht. Zwischen Ruhe und Gewalt erzählt der Film von einem Arzt, der seine Approbation wegen Drogenkonsums verloren hat und sich gegen Cash um die Nöte der Gesetzlosen kümmert. „Schock“ ist konsequent, auch in seinem Pessimismus: Die Welt ist hier krank, Heilungsversuche zwecklos.

Auch abseits der Crimegeschichten wagen sich junge Regisseure ans genreaffizierte Kino. Tilman Singer zeigte sich bereits in „Luz“ (2018), seinem Abschlussfilm an der KHM Köln, als stilbewusster Horrorfilmer mit einer Portion Dario-Argento-Vibes. In seinem letzten, auf der Berlinale uraufgeführten Film „Cuckoo“ (2024), einer deutsch-amerikanischen Produktion, erzählt er handwerklich versiert und äußerst effektiv eine irre alpine Frankenstein-Variante, die am Ende mit einem monströsen Augenzwinkern freidreht.

Freiheit und Schrecken berühren sich

Benjamin Pohl wiederum folgte in seinem Anfang dieses Jahr ins Kino gekommenen Langfilmdebüt „Jupiter“ einem Mädchen, das mit seinem Bruder und den Eltern in einer Sekte lebt, die sich gen Jupiter aufmachen will – kein Science-Fiction im klassischen Sinne, aber ein intensiver Mix aus Sektenthriller und Coming-of-Age-Geschichte, der geschickt mit Genremotiven spielt. Die Ambivalenz seines Finales bleibt haften: Freiheit und Schrecken berühren sich.

Auch in „Frisch“ ist der Schrecken allgegenwärtig. Harper nutzt das mileugetränkte Genre, um im Kern von einer toxischen Brüderbeziehung zu erzählen. „Das Einzige, was wir jetzt noch haben, sind wir. Wir Apachen halten zusammen“, sagt Mirko in einer der vielen Rückblenden zu seinem Bruder Kai, nachdem sie als Kinder ihre Mutter verloren haben und klar ist, dass sie bei Onkel Andy unterkommen werden. Doch diese Westernmetapher wird im Film derart penetrant bemüht, dass sie schnell zur Pose gerinnt.

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Dabei gelingt Harper stilistisch vieles: Er zeichnet sein Milieu, auch wenn die meisten Nebenfiguren Stereotype bleiben, präzise und hat ein sicheres Gespür für düstere Atmosphären. Warum er seinen Film dennoch in eine so (über-)ambitionierte wie verkopft-überfrachtete Rückblendenstruktur zwingt, bleibt ein Rätsel.

Die Kindheit, Mirko krakeelend in einer Disco oder als er mit dem Onkel anein­andergerät; Kais erste Begegnungen mit Ayşe und, und, und: Harper scheint so sehr darauf erpicht, Ursache und Wirkung miteinander zu verschränken, dass er seinem Film vor allem in der ersten Hälfte durch die permanent changierende Erzählweise zwischen Vergangenheit und Gegenwart jeglichen Erzählfluss raubt. Auch Richters Off-Erzählstimme kann daran wenig ändern.

Mit dem Moment allerdings, in dem Kai seinem außer Rand und Band geratenen Bruder bei der völligen Eskalation beiwohnt und versucht, in ein Waschbecken zu kotzen, fängt der Film sich wieder ein wenig. Allerspätestens hier wird klar, dass „Frisch“ auch ein Genrestück über verschiedene Stadien kaputter Männlichkeit ist und dass es im Fall von Kai eine Explosion braucht, um aus dem gewaltvoll-toxischen Hamsterrad auszubrechen.

Die Explosion am Ende dieses Films, der mehr hätte sein können, diese heftige Gewalteruption, die einem Winding Refn in nichts nachsteht, ist in jeglicher Hinsicht verstörend und erschreckend konsequent. Autsch!

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