Rubel-Rutsch und Zins-Schock: Putins Kriegswirtschaft erreicht neuen Tiefpunkt | ABC-Z
Während Moskaus Armee im Donbass kontinuierlich vorrückt, bröckelt in der Heimat die Grundlage von Putins Kriegsmaschine immer mehr weg: Der Rubel schmiert ab, die Zinsen explodieren und die Inflation galoppiert. Und schon bald könnte sich eine neue Front im Wirtschaftskrieg auftun.
Militärisch könnte es für Wladimir Putin momentan kaum besser laufen. Nach mehr als zweieinhalb Jahren Krieg sind die ukrainischen Verteidigungsstellungen im Donbass ausgedünnt und zermürbt. Moskaus Armee rückt kontinuierlich vor. Doch während der Kreml-Kriegsherr auf dem Schlachtfeld Erfolge feiert, deuten sich an der Heimatfront immer größere Probleme an.
Denn der desolate Zustand von Putins Kriegswirtschaft hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Der Rubel-Kurs ist inzwischen erstmals wieder auf den Stand seit den ersten Wochen des Angriffskriegs im März 2022 gefallen. Mit über 110 Rubel pro Dollar ist die russische Währung damit so günstig wie seit mehr als zweieinhalb Jahren nicht. Allein seit Anfang August hat sie gut ein Viertel ihres Wertes verloren. Die Notenbank hat mittlerweile eingegriffen. Mehr als stabilisieren konnte sie die Währung aber nicht.
Grund für den Rubel-Verfall ist ein weiteres Abschiedsgeschenk der Biden-Regierung in Washington an die Ukraine. Die hat nach langem Zögern nicht nur den Einsatz weitreichender US-Raketen auf russischem Territorium erlaubt, bevor Donald Trump am 20. Januar ins Weiße Haus einzieht. Sondern vor einigen Tagen auch die Gazprombank, Russlands drittgrößtes Finanzinstitut, auf ihre Sanktionsliste gesetzt. Weil die Bank eine Schlüsselrolle bei der Abwicklung von russischen Gasexporten in die EU spielt, hat die US-Regierung bislang davor zurückgeschreckt, sie gänzlich von den Finanzmärkten abzuschneiden. Doch damit ist es nun vorbei.
Russlands Kriegswirtschaft ächzt an allen Enden
Der Rubel-Rutsch ist ein Alarmsignal, das auf die sich zuspitzenden Probleme der russischen Kriegswirtschaft hindeutet. Sie hat den westlichen Sanktionen länger standgehalten als anfänglich erwartet. Doch inzwischen knirscht es unüberhörbar im Gebälk.
Die Schwäche der Währung dürfte die ohnehin schon galoppierende Inflation in Russland weiter anheizen. Bereits jetzt liegt sie offiziell bei jährlich 8 Prozent – zweimal so hoch wie von der russischen Zentralbank angepeilt. Bis Ende des Jahres dürfte sie noch weiter klettern. Denn Putins Währungshüter gehen selbst davon aus, dass eine Rubel-Abwertung von 10 Prozent weitere 0,5 Prozent Inflation bedeutet, weil sich die Einfuhren nach Russland entsprechend verteuern.
Putins Zentralbankchefin Elvira Nabiullina schritt denn auch gestern sofort offiziell ein, um einen weiteren Rubel-Verfall aufzuhalten. Von heute an wird es bis Ende des Jahres keine weiteren Ankäufe von Devisen auf dem russischen Finanzmarkt geben. So soll der Rubel-Kurs gestützt werden.
“Es gibt keine Männer mehr”
Um den Preisauftrieb zu dämpfen, hatte Nabiullina auch die Leitzinsen erst im Oktober auf sagenhafte 21 Prozent erhöht. Sie liegen damit auf dem höchsten Stand seit 20 Jahren – und würgen jegliches privates Investment in die Wirtschaft ab. Für Dezember hat die Zentralbank die Märkte bereits auf eine weitere Erhöhung eingestimmt. Angesichts des lähmenden Zins-Schocks versucht Nabiullina Zweckoptimismus zu verbreiten: Die russische Wirtschaft befände sich nun an einem “Wendepunkt”. “Wenn es keine weiteren externen Schocks gibt” sollen die Zinsen laut Nabiullina im kommenden Jahr endlich wieder sinken.
Die meisten Russen trauen sich nur hinter vorgehaltener Hand über die Probleme zu schimpfen. Dabei sind sie inzwischen unübersehbar: In einer Reihe von Sektoren würden sich “nachlassende wirtschaftliche Aktivität und eine Verschlechterung finanzieller Indikatoren” deutlich bemerkbar machen, warnten Ökonomen der Russischen Akademie der Wissenschaften kürzlich in einem Bericht. Nur die Bereiche der russischen Wirtschaft, die mit dem Militär zu tun haben, wachsen überhaupt noch. Überall sonst herrscht faktisch Flaute.
Das liegt vor allem daran, dass Russland inzwischen unter einem dramatischen Arbeitskräftemangel leidet. Weil immer mehr Menschen an die Front in der Ukraine abkommandiert werden, fehlt im ganzen Land Personal – auf den Baustellen, in den Büros, den Fabriken und sogar den Bussen im Uralgebirge. Selbst an Polizisten mangelt es inzwischen. “Früher hatte ich 100 Leute, aber jetzt gibt es keine Männer mehr”, zitiert Reuters den Vertreter einer örtlichen Vermittlungsagentur. Behördenangaben zufolge benötigt Putins Wirtschaft bis 2030 zusätzlich 2,4 Millionen Menschen in den Bereichen Fertigung, Transport, Gesundheitswesen, soziale Dienste, wissenschaftliche Forschung und IT.
Saudi-Arabien droht mit neuem Ölkrieg
Und dann droht auch noch Putins Kriegskasse empfindlich getroffen zu werden. Seit Beginn des Krieges deckt der Kreml den Großteil seiner gigantischen Rüstungsausgaben mit den Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft. Für die Kreml-Kriegsfinanzierung ist es daher sogar von Vorteil, wenn der Rubel abschmiert: So kann er noch mehr Billigöl nach China und Indien verkaufen.
Doch die Strategie stetig wachsender Energieexporte scheint nun bald an ihre Grenzen zu stoßen. Denn eigentlich hat sich Russland mit den Mitgliedern des Ölkartells Opec auf strikte Förderlimits geeinigt, um den Ölpreis bei über 100 Dollar stabil zu halten. Um seine Kriegsmaschine weiter zu füttern, ignoriert der Kreml die Quoten aber schon lange geflissentlich und fördert einfach heimlich viel mehr Öl als vereinbart.
Saudi-Arabien hat nun offenbar genug davon. Schon im Oktober warnte der saudische Ölminister die “Schummler” in der Opec vor einem Preisrückgang. Der Ölpreis könne auf bis zu 50 Dollar pro Barrel fallen, wenn sich die Mitglieder des Kartells nicht an die vereinbarten Fördermengen hielten. Das war eine unverhohlene Drohung in Richtung Russland. Denn auch Saudi-Arabien braucht wie Russland hohe Ölpreise, um seinen Staatshaushalt und gigantische Infrastrukturinvestments zu finanzieren.
Doch die Ölreserven des Landes sind viel größer als die des Kremls. Riad könnte einen Förderkrieg daher viel länger durchhalten und Moskau einfach “totpumpen”. Inzwischen ist der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman laut Medienberichten offenbar bereit, den Ölhahn aufzudrehen, um seinen Marktanteil zu verteidigen. Schon 2020 lieferten sich beide Seiten einen Preiskrieg. Eine Wiederholung wäre mitten im Ukraine-Krieg für den Kreml verheerend. Wie für Kiew stellt sich also auch für Moskau immer mehr die Frage: Wie lange lässt sich das alles noch durchhalten?