Rot-Grün macht Wahlkampf mit Gesetzentwürfen | ABC-Z
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Verbraucher, Industrie, Mieter: Rot-Grün will alle entlasten. Dafür bringt die Minderheitsregierung Konzepte auf den Weg. Deren Chancen sind aber oft gleich Null. Ist das noch Regieren oder schon Wahlkampf?
Selbst die eigene Partei SPD staunt, als Olaf Scholz damit um die Ecke kommt: Der Bundeskanzler will die Mehrwertsteuer für Lebensmittel von zur Zeit sieben auf fünf Prozent senken. Zur Entlastung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Die haben nämlich schon seit langem mit den hohen Kosten fürs Essen zu kämpfen. Und den Bundeshaushalt, sagt Scholz, belaste das ganze nicht übermäßig.
Das klingt also erstmal gut. Aber ist das ein realistischer Vorschlag des amtierenden Bundeskanzlers – oder nur ein Wahlkampfgeschenk des SPD-Kanzlerkandidaten?
Union macht bei Mehrwertsteuersenkung nicht mit
Seit aus der Ampel nur noch Rot-Grün geworden ist, fehlt der Regierung die Mehrheit im Bundestag. Von den Verhältnissen im Bundesrat mal ganz zu schweigen. Für Gesetzesvorhaben, die SPD und Grüne noch vor der Neuwahl durchbringen wollen, brauchen sie Stimmen aus der Opposition. Und die hat wenig Lust, die nächsten Wochen noch rot-grüne Projekte durchzuwinken.
Jens Spahn, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, bügelt die Mehrwertsteuersenkung ab: “Rot-Grün hatte drei Jahre Zeit, dieses Land gut zu regieren. Jetzt versuchen sie hektisch in zwei, drei Sitzungswochen alles zu reparieren. Das wird nicht funktionieren.”
Ladebonus, Mietpreisbremse, Steuerentlastung
Ähnlich sieht es bei anderen rot-grünen Entlastungsideen aus. Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck möchte die E-Auto-Industrie unterstützen. Dafür soll es unter anderem steuerliche Entlastungen für Gering- und Mittelverdiener geben. Und 1.000 Euro Ladebonus für E-Auto-Käufer.
Das Ganze ist verpackt als Konzept des Bundeswirtschaftsministeriums. Nur umsetzen wird es sich nicht lassen – Ministeriumsstempel hin oder her. Denn auch bei dieser Idee spielt die Union nicht mit.
Genauso sieht es bei der Mietpreisbremse aus. Die haben der inzwischen parteilose Interims-Justizminister Volker Wissing und SPD-Bauministerin Clara Geywitz diese Woche zwar beschlossen. Auch hier machen allerdings weder Union noch FDP mit. Ein weiterer Regierungsbeschluss ohne Folgen. Stellt sich die Frage, ob überall, wo Regierung draufsteht, auch wirklich Regierung drin ist?
“Wahlkampf per Gesetzentwurf”
Für den CDU-Politiker Spahn ist die Sache klar: “Olaf Scholz ist voll im Wahlkampf. Jeden Tag gibt es eine neue Idee. Für mehr als das nehmen wir auch die Vorschläge nicht, die da gerade im Stundentakt produziert wurden.”
Die Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp von der Freien Universität Berlin stimmt Spahn zu, schränkt aber auch ein: “Es ist auf der einen Seite Wahlkampf per Gesetzentwurf.” Andererseits habe die Regierung die Vorbereitungen dafür auch auf den Weg gebracht. “Da liegt es auch nahe, diese Gesetzentwürfe noch zur Abstimmung zu stellen”, sagt Kropp.
Zusammenarbeit bei wichtigen Themen
Und es gibt ja auch Projekte, die Rot-Grün wohl mit Hilfe von Union oder FDP durchbekommen kann. Eines der wichtigsten ist die Absicherung des Bundesverfassungsgerichts. Dabei soll das höchste deutsche Gericht vor dem Zugriff radikaler Kräfte geschützt werden. Im Sommer hatten sich SPD, Grüne, FDP und die Union darauf geeinigt, das Grundgesetz dafür zu ändern.
Nötig ist das breite Bündnis, weil für eine Verfassungsänderung eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig ist. Und weil das nach der kommenden Wahl vielleicht knapp werden könnte, soll das Vorhaben noch in dieser Legislaturperiode durch den Bundestag. Darüber hinaus will die Union auch bei der Verlängerung des Deutschlandtickets und der Auslandseinsätze der Bundeswehr mit Rot-Grün zusammenarbeiten.
Außerdem haben sich die Ex-Ampel-Partner SPD, Grüne und FDP darauf verständigt, noch vor der Neuwahl ein Gesetz zur Erhöhung des Kindergeldes und zur Steuerentlastung zu beschließen.
Rückkehr der Wahlkampfgeschenke?
Und auch die rot-grünen Wahlkampf-Geschenkideen sind nicht zwangsweise aus der Welt, nur weil sie in dieser Wahlperiode nicht durchkommen. Politologin Kropp gibt zu bedenken, dass SPD oder Grüne ja auch an der kommenden Regierung beteiligt werden könnten: “Dann kann man zumindest auf die Vorarbeit, die man geleistet hat, wieder zurückgreifen, auch wenn sie dann mit einem anderen Koalitionspartner abgestimmt werden muss.”
Formal fallen mit der Auflösung des Bundestages alle noch nicht verabschiedeten Gesetze unter den Tisch – sie müssen also von der kommenden Regierung aufs Neue eingebracht werden. Wie gut die Abstimmung zwischen SPD, Grünen und Union aber nach den aktuellen Auseinandersetzungen noch klappt, bleibt abzuwarten.