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Romane werden inzwischen von Verlagen bei Autoren bestellt | ABC-Z

Bücher haben eine notorisch gute Presse, zumal literarische Bücher, und das ist gut so. Doch mit der Wirklichkeit der Buchbranche hat die bildungsbürgerliche Romantisierung ihrer Produkte wenig, manchmal sehr wenig zu tun. Zu den idealisierten Vorstellungen eines Buchs gehört zentral der Köhlerglaube an den Autor. Ihm zufolge sind Autoren eine Art Genies, die den seltenen Sinn pflegen. Verlagen bleibt ihnen gegenüber die Rolle eines Geburtshelfers, der am Ende dem Leser gedruckt zum Beispiel die Schönheiten eines Romans anträgt. Der Verlag tritt also hinter den Autor zurück, ist nur Diener dieses Herrn. In der genie­ästhetischen Vorstellung der Arbeitsbeziehung zwischen Autor und Verlag sind die Rollen klar verteilt. Und keine Marketingabteilung eines Verlags und keine Buchpreisverleihung wird auf die Romantisierung des Autors gerne verzichten wollen. In der Literaturbranche ist es von Belang, wer spricht – oder schreibt.

Doch die Reduktion der Verlage auf eine mäeutische Funktion verkennt nicht nur die Funktion, die Verleger wie Siegfried Unseld für Autoren wie Wolfgang Koeppen oder Lektoren für Autoren wie Elias Canetti gespielt haben, oder solche Rollenwechsel wie die vom Lektor Jörg Bong zum Krimiautor Jean-Luc Bannalec. Vielmehr unterschätzt die romantische Sicht auf die Autor-Verleger-Beziehung, wie weit die Industrialisierung auch dieser Kooperation schon vorangeschritten ist. Denn es gehört zu einem schwierig gewordenen Geschäft, Verlagsprofile und thematische Linien von Buchreihen sorgfältig – und das heißt: vorausschauend – zu planen, damit die Titel in der Vielzahl der Neuerscheinungen noch wahrgenommen werden. Kein Programmverantwortlicher würde daher nur darauf warten, dass sich Autoren mit ihren jeweiligen Manuskripten melden, um dann das Buch zu „machen“. Auch Literatur wird geplant.

Letztlich auch nur eine Kulturindustrie

Im Bereich des Sach- und Kinderbuchs ist Autorschaft auf Bestellung schon lange gängige Praxis. Aber auch im Feld der schönen und hohen Literatur werden Autoren nun von Verlagen verstärkt Aufträge erteilt. Größere Verlagsgruppen haben meist genügend Autoren in ihrem Netzwerk, sodass sie erst einmal dort nachfragen, wer ein Buch, das zu einem angesagten Thema passt, schreiben könnte – und das möglichst entlang des neuesten Bestsellers im eigenen Programm. So passen dann Autorschaft, Zeitgeist und Umsatz überhaupt zusammen. Im glücklichen Fall werden dann Voraushonorare von 20.000 bis 30.000 Euro fällig. Autoren mit hoffentlich einem alten Mietvertrag in Berlin können damit ihre kleine Wohnung für ein Jahr bezahlen. Meist ist das alles kein großes Geschäft, aber es hält den Betrieb am Laufen.

Zur strategischen Programmplanung gehört das Scouten durch Literaturagenten ebenso wie KI-gestützte Trend­radare. Erfolgreiche Agenturen wie Graf + Graf oder Librinova suchen die erfolgreichen Literaturevents, Blogs und Selfpublishing-Plattformen nach aussichtsreichen Werken und Autorennamen ab. Regelmäßig junge und natürlich vielversprechende Debütantinnen im Programm zu präsentieren, gehört dann zum Klappern mit dem Verlags­besteck. Aber auch Verlagswechsel sind für Autoren heute üblicher geworden. Man wirbt einander ab. Das flexibilisiert die Rollen aller und verstärkt die Suchbewegungen von Verlags- wie von Autorenseite.

Weil so gut wie jeder heute Romane zu schreiben scheint, wie Bodo Kirchhoff schon 2009 sarkastisch in seinem Roman „Erinnerungen an meinen Porsche“ bemerkt hat, braucht es verstärkt Intermediäre, und seien sie auch KI-gestützt, die das Meer der ­Autoren nach dem nächsten erfolgreichen Namen absuchen und diesen an den Verlag binden. Der Boom der New-Adult- und Romantasy-Romane hat diesen Trend noch einmal verstärkt, den Autor passend zum Text zu suchen und aufzubauen. Digitale Plattformen wie „FanFiktion.de“ oder „Wattpad“ – hier veröffentlicht nach Selbstauskunft des Marktführers aus Amerika eine Zahl von Autoren im achtstelligen Bereich, hauptsächlich schreiben junge Frauen – werden mit KI nach Erfolgen durchkämmt und Stars wie Anna Todd oder Sarah Sprinz geboren. Die Buchindustrie ist letztlich auch nur eine Kulturindustrie.

Oligopole sind keine Ausnahme

Der Grund für die schnell wachsende Bedeutung der strategischen Autorenplanung ist die Entwicklung hin zu „Big Fiction“. Mit dieser Formel hat der amerikanische Literaturwissenschaftler Dan Sinykin aus nicht ganz unsentimentaler Perspektive die Professionalisierung und Kommerzialisierung der Branche hin zur Buch­industrie seit den Siebzigerjahren bezeichnet. Diese Entwicklung lässt im globalen, aber auch im nationalen Maßstab nur noch wenig Platz für unabhängige Verlage und damit für die Verleger-Autoren-Beziehung, wie sie sich im neunzehnten Jahrhundert – etwa in der Beziehung zwischen dem Verleger Julius Campe und dem Autor Heinrich Heine – herausgebildet hat.

Eine besondere Beziehung: „Sein erstes Drama“ zeigt einen jungen Autor bei seinem Verleger oder einem Theaterdirektor. Holzstich, um 1890, nach dem Gemaelde von Ferdinand Bruettpicture-alliance / akg-images

Bei allen Unterschieden zwischen dem amerikanischen und dem hiesigen Literaturmarkt lässt sich die Gesamttendenz hin zu Big Fiction auch im deutschsprachigen Raum feststellen. Der Wandel eines Unternehmens wie Bertelsmann von einem lokalen und frommen Verlag des neunzehnten Jahrhunderts hin zu einem der aktuell größten Medienkonzerne der Welt mit einem eigenen, global agierenden Venture-Capital-Arm illustriert den Wandel auch in Deutschland. Zum Konzern gehört der größte Publikumsverlag der Welt, Penguin Random House. Oligopole sind längst weder in der Verlags- noch in der Buchhandelsbranche die Ausnahme, im Gegenteil.

Eine Beziehung in Auflösung

Denn das Geschäft ist härter geworden. Mit wenigen Spitzenautoren wie Michelle Obama, Prince Harry oder Britney Spears muss mehr als die Hälfte des Umsatzes gemacht werden. Und selbst diese Bücher sind oft genug Saisonartikel, die sich innerhalb eines halben Jahres durchgesetzt haben müssen. Entsprechend kapitalstark müssen die Medienunternehmen sein, um die Volatilität der Märkte notfalls ausgleichen zu können. Hinzu kommt, dass geschichtenhungrige Medienunternehmen wie Netflix auf den steten Zustrom immer neuer Stoffe und Geschichten angewiesen sind. Verlage handeln daher mit ­sogenannten Filmstofflisten, also Verzeichnissen von Neuerscheinungen, die sich für Verfilmungen eignen. Bei manchen Lizenzverhandlungen werden bereits Erwartungen der Film- mit denen der Verlagsbranche abgeglichen. Anschließend sucht man die passenden Autoren.

Es ist eine Dekade her, dass sich der Verleger des Hanser-Verlags, Jo Lendle, einigen Widerspruch für seine These eingehandelt hat, die gepflegt-bürgerliche Autor-Verleger-Beziehung löse sich auf. Autoren sind nicht mehr auf Verlage angewiesen und Verlage nicht mehr auf Autoren. Die Beziehungen haben sich in den letzten Jahren mehr denn je gelockert. Die Diagnose Lendles müsste man heute noch schärfer formulieren. Aber vielleicht wollen wir das mit der Buchindustrie so genau dann doch nicht wissen und wenden uns lieber dem schönen Kitsch der ­guten Kultur zu und glauben weiter ausnahmslos an den genialen Autor und das Kulturgut Buch – wohl zu unser aller Glück.

Gerhard Lauer lehrt Buchwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität zu Mainz.

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