Rohstoffabhängigkeit: „Es ist definitiv möglich, Seltene Erden zu ersetzen“ | ABC-Z

Eine Künstliche Intelligenz (KI), ein autonomes Labor und das Versprechen, Materialien in Rekordzeit zur Marktreife zu bringen: Das französische Start-up „Altrove“ will die Regeln der Materialforschung neu schreiben. Das Team aus Chemikern behauptet, neuartige Wertstoffe in großer Menge künstlich herstellen zu können. Dazu werden in einem autonomen Labor Materialproben getestet und deren Eigenschaften von einer KI ausgewertet. Auf diese Weise ließen sich Materialien in nur zwei Jahren für die industrielle Verwendung skalieren, heißt es auf der Unternehmenswebsite – als üblich gelten in der industriellen Materialforschung Zeiträume von zehn bis 15 Jahren.
Altrove will in der Industrie Rohstoffe ersetzen, die sonst nur in der Natur vorkommen. „Unsere Kunden sind große Industrieunternehmen, die kritische Rohstoffe für ihre Produktion verwenden. Mit Blick auf die Lieferketten ist das allerdings gefährlich“, sagt Thibaud Martin, Vorstandsvorsitzender und Mitgründer von Altrove. Besonders gefährdet seien Materialien, die Seltene Erden enthalten, da diese Lieferketten stark auf China konzentriert seien.
Es wird nach neuen Beschaffungswegen gesucht
China kontrolliere derzeit etwa 90 Prozent der globalen Verarbeitung von Seltenen Erden, erzählt Martin. Laut einer Studie von IW-Consult stammten im März vergangenen Jahres zwischen 48 und 84 Prozent der nach Deutschland importierten Seltenerdprodukte aus China – je nach Verarbeitungsstufe. Im Oktober hatte die chinesische Regierung neue Ausfuhrregularien für Seltenerdprodukte verhängt.
Zwar wurden die Exportkontrollen schon im November wieder ausgesetzt. Doch seitdem wird händeringend nach neuen Beschaffungswegen gesucht, die von Chinas Quasi-Monopol unabhängig sind. Kann Altrove tatsächlich die hohe Nachfrage bedienen, indem es in Europa Materialien synthetisiert, die die Seltenen Erden in der Industrie ersetzen?
Nicht alle Eigenschaften der Seltenen Erden sind austauschbar
Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) betrachtet man Altroves Ansatz durch eine wissenschaftliche Brille. Stefanie Dehnen ist Professorin am KIT und seit 2023 Projektleiterin im Sonderforschungsbereich „4f for Future“. Dort arbeitet sie an der Synthese und den physikalischen Eigenschaften von Seltenerdverbindungen in nanoskaligen, also sehr kleinen, Mengen. Dehnen kennt die chemischen Herausforderungen, vor denen Altrove steht. Als Wissenschaftlerin ist sie für die Idee des Unternehmens zwar grundsätzlich offen: „Forschung in der Chemie erfordert Kreativität. Die Idee von Altrove ist sicherlich neu – wir geben dem eine Chance und sind gespannt, wo das Projekt hinführt.“ sagt sie.
Doch sie könne sich nicht vorstellen, dass neue Materialien alle Eigenschaften der Seltenerdmetalle ersetzen können – erst recht nicht in nur zwei Jahren. Insbesondere die magnetischen Eigenschaften seien laut Dehnen einzigartig. In einzelnen Techniken ließen sich Seltene Erden womöglich austauschen, beispielsweise in Bildschirmen. Aber die Abhängigkeiten der Industrie könne nicht in kürzester Zeit vollständig gelöst werden.
„Die Spannungen sind kein chemisches Problem – sondern ein ökonomisches“
Altrove-Chef Martin sieht die Probleme deshalb an anderer Stelle und möchte sie lösen: „Es ist definitiv möglich, Stoffe chemisch zu synthetisieren, die Materialien mit Seltenen Erden ersetzen können.“ sagt er. Die Herausforderung liege nicht darin, herauszufinden, welche Materialkombinationen in der Theorie existieren könnten. Das sei ein mathematisches Problem, für das es schon diverse Lösungsansätze gäbe. Daran arbeiten etwa Meta AI und andere Big-Tech-Unternehmen, die sich die kostenintensive Forschung leisten können. Altrove nehme sich stattdessen der chemischen Herausforderungen an, die Herstellung industriell zu skalieren.
Doch laut Forscherin Dehnen gehe diese Idee in eine falsche Richtung. „Die derzeitigen Spannungen um Seltene Erden sind kein chemisches Problem, das sich durch neue Materialien lösen lässt – sondern ein ökonomisches.“ Die beste Lösung bestehe für sie nicht darin, Seltene Erden durch andere Stoffe zu ersetzen. Stattdessen will sie mit „4f for Future“ neue Nutzungsformen entwickeln, die nachhaltiger und effizienter sind als bisherige.
Daher sei es besonders wichtig, die Menge an verwendeten Seltenen Erden in einem Produkt zu verringern, bevor man sie ganz ersetzt. „Es wäre gut, wenn man sie weiter nutzt. Die Seltenen Erden sind sogar sehr harmlos – also beispielsweise wenig toxisch“. sagt Dehnen. Es gebe in der Produktentwicklung noch viel Raum für technischen Fortschritt, betont sie. Wichtiger seien deshalb nachhaltigere Beschaffungswege. Das Recycling der Seltenen Erden sei ein wichtiger Punkt, um sich aus diesen Abhängigkeiten zu begeben.
Recycling und Verarbeitung stehen vor Herausforderungen
Auch aus Sicht der Industrie ist das Recycling eine vielversprechende Technik. So sieht es Anne Lauenroth, die beim BDI die Abteilung für Internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt stellvertretend leitet. Recycling sei ein zentraler Hebel, um Abhängigkeiten zu mindern. Aktuell liege die Recyclingquote für Seltene Erden allerdings noch bei unter einem Prozent. „Im Vergleich zu Metallen wie Aluminium, Stahl oder Kupfer sind die Rahmenbedingungen für das Recycling von Seltenen Erden noch sehr herausfordernd.“
Auch müsse man die Weiterverarbeitung der Seltenen Erden zurück nach Europa holen. Anlagen dafür gebe es sogar bereits, wenngleich diese noch keine Abnehmer in der Industrie fänden. Die Rahmenbedingungen für die industrielle Produktion von Seltenerdprodukten müssen laut Lauenroth besser werden. „Wegen der hohen Energiekosten, Steuern und regulatorischen Auflagen kämpfen die Unternehmen um ihre Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich.“ sagt sie. Mit Blick auf Resilienz und wirtschaftliche Sicherheit müsse die Rohstoffunabhängigkeit finanziell stärker gefördert werden.
Alle Wege zur Unabhängigkeit müssen gemeinsam gedacht werden
Verschiedene Instrumente der privaten und öffentlichen Finanzierung könnten Abhilfe schaffen – ein Beispiel dafür sei der deutsche Rohstofffonds. Aus diesem neuen Eigenkapitalinstrument der Bundesregierung wurde kürzlich das erste Projekt im Pfälzischen Oberrheingraben finanziert. Bis 2028 sollen aus dem Fonds laut Bundeswirtschaftsministerium etwa eine Milliarde Euro investiert werden, um die deutsche Versorgungssicherheit zu stärken.
„Alle Wege zur Erlangung größerer Unabhängigkeit müssen gemeinsam gedacht werden und zueinander kohärent sein.“ meint Lauenroth. Sie schließt auch die Synthese und Substitution der Seltenen Erden ein. Sie weiß, dass darin eine Chance liegt. So habe BMW schon einen Elektromotor gebaut, der ganz ohne Seltenerdmetalle auskomme. Bisher seien aber nur für leichtere oder weniger leistungsintensive Anwendungen Erfolge sichtbar, nicht bei Hochleistungsanwendungen.
Noch trägt das Unternehmen die Beweislast für seine Innovation
Synthese und Substitution sieht Lauenroth daher nicht als kurzfristigen „Game Changer“, sondern als langfristigen, forschungsintensiven Ergänzungsweg: Zwar realistisch für niedrige Leistungsanforderungen, doch für High-Performance-Anwendungen bislang keine echte Alternative. Aber ohne die gezielte politische Unterstützung hält Lauenroth diese Ideen in der Industrie kaum für skalierbar.
Bisher ist es Altrove nicht gelungen, Materialien in der Industrie zu ersetzen. Noch trägt das Unternehmen also die Beweislast für seine Innovation. Ob diese mehr ist als nur ein Versprechen, wird sich nicht im Labor entscheiden, sondern im Praxistest in den Unternehmen. Sollte es gelingen, würde das die Lieferketten vermutlich entlasten und den europäischen Wirtschaftsraum der Rohstoffunabhängigkeit einen Schritt näherbringen.
Innerhalb der nächsten 18 Monate will die Firma ihre produzierten Mengen von Gramm auf Tonnen skalieren. „Es ist möglich, dass unsere Materialien schon in zwei Jahren in Motoren, Sensoren, Autos oder Windkraftanlagen zum Einsatz kommen werden“, sagt Martin über die Zukunftspläne seiner Firma.





















