Robert Habeck: „Technische Falschbehauptungen“ – Kernreaktor-Betreiber macht Minister schwere Vorwürfe | ABC-Z
Der Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg tagt am Donnerstag schon knapp neun Stunden, als ein Zeuge den Sitzungssaal E.800 im Berliner Paul-Löbe-Haus des Bundestags betritt, der Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in einem zentralen Punkt fundamental widerspricht. Der Ausschuss soll klären, ob Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) tatsächlich ergebnisoffen geprüft haben, ob die Laufzeit der drei letzten Atomkraftwerke in der Energiekrise verlängert werden sollte. Anfang März 2022, kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, hatten die beiden Minister in einem Vermerk den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke zunächst abgelehnt.
Ein entscheidendes Argument von Habeck und Lemke war damals, dass die Betreiber der Kraftwerke gar keine Laufzeitverlängerung wollen und hohe technische Hürden dafür sehen würden. Doch davon will ausgerechnet Guido Knott nichts wissen. Knott ist Geschäftsführer von PreussenElektra, dem E.on-Tochterunternehmen, das bis April 2023 das Kernkraftwerk Isar 2 in Bayer betrieben hat. „Die Abwägungsentscheidung ist aus meiner Sicht politisch motiviert und sie war erwartbar“, sagt Knott. „Unerwartet ist, dass es technische Falschbehauptungen gab oder es am Unwillen der Betreiber gelegen haben soll.“
Der PreussenElektra-Chef will gleich zu Anfang der Energiekrise im Februar 2022 angeboten haben, dass sein Kraftwerk länger laufen könnte. Der Weiterbetrieb sei auch über den Jahreswechsel 2022/23 hinweg sicher möglich. Er habe dem Wirtschaftsministerium Gespräche dazu angeboten, doch lange habe niemand darauf reagiert.
Es klingt nach einer Sensation, nach einem Kronzeugen gegen den Wirtschaftsminister und grünen Kanzlerkandidaten. Doch die Vorwürfe von Knott sind auch deshalb so überraschend, weil sie nicht nur den Aussagen der Konkurrenz widersprechen. RWE-Chef Markus Krebber hatte direkt vor ihm im Ausschuss das Gegenteil berichtet.
In den Akten finden sich auch Dokumente, die sich mit Knotts Aussagen kaum in Einklang bringen lassen. Zwar hatte wohl tatsächlich lange niemand aus der Regierung mit dem PreussenElektra-Geschäftsführer gesprochen – wohl aber mit dessen Chef, E.on-CEO Leonhard Birnbaum.
Mehrfach flüstert der Anwalt dem AKW-Betreiber Ratschläge zu
PreussenElektra ist eine hundertprozentige Tochter von E.on. Und Birnbaum hatte laut Protokollen gleich mehrfach in den Tagen nach Kriegsbeginn mit Habeck und seinem Ministerium über die Atomkraftwerke gesprochen. Laut dem Protokoll hatte er in einer Telefonkonferenz am 5. März 2022 zusammen mit den anderen AKW-Betreibern und dem Minister einen sogenannten Streckbetrieb, also die Laufzeitverlängerung um einige Monate mit den gleichen Brennelementen, für ausgeschlossen erklärt.
Knott windet sich in seiner Vernehmung, als ihn die Abgeordneten von SPD und Grünen auf diesen Widerspruch hinweisen. Mehrfach flüstert sein Anwalt ihm Ratschläge ins Ohr. Aber er bleibt am Ende bei seiner Aussage: Natürlich wäre es eine Herausforderung gewesen, die Kraftwerke weiterlaufen zu lassen, aber man habe schon kurz nach Kriegsbeginn gesagt, dass es möglich sei.
RWE-Chef Krebber hingegen beschreibt die Hürden als deutlich höher. „Grundsätzlich galt und gilt: Technisch ist fast alles machbar“, sagt er. Aber neue Brennelemente zu beschaffen, das sei damals der Stand gewesen, hätte mindestens eineinhalb Jahre gedauert.
Auch Krebber sagt: Es war eine politische Entscheidung, aber im Frühjahr 2022 erschienen die Hürden sehr hoch und der Nutzen gering. Das gab mindestens der RWE-Chef Habeck damals auch schriftlich. Zwei Tage nach Kriegsbeginn schickte er dem Wirtschaftsministerium seine Einschätzung noch einmal per Mail. Der damalige Staatssekretär Patrick Graichen, der später wegen einer Verwandtenaffäre zurücktreten musste, leitete es als „Betreiberpapier“ weiter. In seiner Mail, die sich ebenfalls in den Akten findet, klingt es so, als wären alle drei Energiekonzerne mit dieser Einschätzung des RWE-Chefs einverstanden gewesen.
Doch Knott widerspricht. Er habe das Papier gesehen und ausdrücklich nicht unterstützt, sagt er.
RWE-Chef bestätigt eine Aussage von Habeck
RWE-Chef Krebber stützt mit seiner Aussage die Erklärungen von Habeck, dass sich die Lage im Laufe des Jahres 2022 geändert habe und es deshalb dann doch zur Laufzeitverlängerung um dreieinhalb Monate gekommen ist. Im Frühsommer – also nach dem ablehnenden Vermerk der Minister – sei die „Kritikalität angestiegen“, sagt Krebber. Damals sei klar geworden, dass die französischen Atomkraftwerke länger als erwartet ausfallen würden, außerdem fielen die Gaslieferungen aus Russland vollständig weg. „Im Nachhinein weiß man immer alles besser“, konstatiert Krebber.
Und der RWE-Chef bestätigt eine weitere Aussage von Habeck: Die Konzerne wollten das finanzielle Risiko einer Laufzeitverlängerung nicht tragen. „Es fehlte uns das Vertrauen, dass das politisch stabil ist“, sagt Krebber. „Wenn das gemacht werden soll, dann machen wir das, aber wir wollen das politische Risiko nicht übernehmen.“ Hier ist er sich mit Knott einig, auch er hätte eine vertragliche Absicherung seiner Kosten von der Bundesrepublik gewollt, um Isar 2 weiterlaufen zu lassen.
Doch wie so vieles in diesem Untersuchungsausschuss rund um den Atomausstieg bleiben auch hier Widersprüche. So sagt Krebber zwar einerseits, dass er das finanzielle Risiko nicht eingehen wollte, als aber kurzzeitig im Raum stand, dass nur die beiden AKWs der Konkurrenz zumindest als Reserve vorgehalten werden sollten, um notfalls wieder eingeschaltet werden zu können, ließ er seinen Chefjuristen prüfen, ob sich RWE dann auch einen Reservebetrieb für sein AKW einklagen könnte.
Die Idee der „Kaltreserve“, also die Vorstellung, man könne Atomkraftwerke wie ein Notstromaggregat bei Bedarf ein- und ausschalten, wurde nach kurzer Zeit wieder verworfen. Nicht nur PreussenElektra-Chef Knott hielt sie für nicht umsetzbar. Schon am Donnerstagmorgen hatte auch ein Experte des TÜV Süd ausgesagt, die Kaltreserve sei „der neueste Gag“ gewesen. Er vermutet, die Grünen hätten diesen Vorschlag nur gemacht, um dann sagen zu können, dass die Betreiber den Weiterbetrieb abgelehnt haben.
TÜV-Physiker schrieb über Habeck: „Diese Aussage ist schlichtweg gelogen“
Der TÜV-Physiker übt auch deutliche Kritik an Habecks Vermerk, in dem der den Weiterbetrieb abgelehnt hatte. Vor allem zwei Argumente seien deutlich überbetont worden: Wie lange es dauern würde, neue Brennelemente zu beschaffen und die Notwendigkeit der sogenannten Periodischen Sicherheitsüberprüfung (PSÜ), die eigentlich alle zehn Jahre in jedem AKW stattfinden muss. Laut dem TÜV-Mitarbeiter sei damals schon klar gewesen, dass es nicht eineinhalb bis zwei Jahre dauert, neue Brennelemente zu beschaffen, sondern das auch in einem Jahr möglich wäre.
Und auch die Sicherheitsüberprüfung sei eigentlich nur eine Ergänzung zu den Routinekontrollen bei allen Atomkraftwerken. „Es ist nicht so, dass man keine Ahnung hat, was in einer Anlage passiert und nur alle zehn Jahre mal hinschaut“, sagt der Abteilungsleiter. Vor allem, dass Habeck damals im Fernsehen behauptet habe, dass Atomkraftwerke seit 13 Jahren nicht kontrolliert worden seien, ärgert den Fachmann bis heute. In einer E-Mail schreibt er damals: „Diese Aussage ist schlichtweg gelogen“. Heute wäre er öffentlich etwas diplomatischer sagt er: „Ich würde sagen, das entspricht nicht den Tatsachen.“ Insgesamt habe er den Eindruck gehabt, dass der Sinn des Vermerks gewesen sei „eine Diskussion möglichst frühzeitig zu beenden“, sagt der TÜV-Mann. Gab es eine ergebnisoffene Prüfung? „Ich persönlich hatte nicht den Eindruck, dass es so war.“
Damit kommt der Physiker zum gleichen Ergebnis wie die Kraftwerksbetreiber und auch die meisten Sachverständigen, die an diesem Tag auch noch im Untersuchungsausschuss gehört worden waren: Am Ende war die Entscheidung, dass es beim Atomausstieg bleibt, eine politische.
Dass man sie noch einmal revidieren könnte, da macht nicht einmal PreussenElektra-Chef Knott noch große Hoffnung. „Ein nochmaliges Wiederanfahren wäre vielleicht theoretisch noch möglich, aber es fehlen Lieferanten, es fehlen Ressourcen und es gibt erhebliche regulative und rechtliche Hürden“, sagt er. „Wir stehen als Unternehmen für den Weiterbetrieb nicht mehr zur Verfügung, das ist für uns keine Option mehr.“