Rio de Janeiro: Viele Tote nach Polizeieinsatz gegen Drogenbande | ABC-Z

Bei einem Polizeieinsatz gegen eine Drogenbande in den Favelas von Rio de Janeiro sind laut offiziellen Angaben mehr als 100 Menschen getötet worden. Menschenrechtler kritisieren das harte Vorgehen der Polizei.
Bei einem blutigen Polizeieinsatz gegen das Verbrechersyndikat Comando Vermelho (Rotes Kommando) in der brasilianischen Küstenmetropole Rio de Janeiro sind mindestens 132 Menschen getötet worden. Das teilte die unabhängige Ombudsstelle des Bundesstaats Rio de Janeiro mit. Die Bundespolizei Rio de Janeiros sprach laut Nachrichtenagentur Reuters von 119 Toten.
Damit stieg die Zahl der Opfer einen Tag nach den stundenlangen Gefechten in den Favelas Alemão und Penha auf mehr als das Doppelte. Die Regierung des Bundesstaats Rio de Janeiro hatte zuvor zunächst 64 Tote bestätigt, darunter vier Polizisten, korrigierte die Zahl dann aber ohne Angabe von Gründen auf 58. Allerdings bargen die Bewohner der Favela Penha am Mittwoch Dutzende Leichen aus den umliegenden Brachflächen und Waldgebieten und legten sich auf der Hauptstraße des Viertels ab.
“Wir stehen zu allem, was wir gestern getan haben”
Der Sprecher der Militärpolizei, Marcelo de Menezes Nogueira, sagte dem Fernsehsender TV Globo, er gehe davon aus, dass es sich um weitere Tote handele, die noch nicht registriert wurden. Die Bewohner der Favela reihten die Toten nebeneinander auf, einige unter Decken, viele aber auch nur mit Unterhosen bekleidet.
Familienmitglieder suchten nach ihren Angehörigen, andere trauerten bereits um ihre Toten. “In 36 Jahren in der Favela, in denen ich mehrere Operationen und Massaker miterlebt habe, habe ich noch nie etwas Vergleichbares gesehen wie das, was ich heute sehe”, sagte der Aktivist Raull Santiago, der bei der Bergung der Leichen half, dem Sender TV Globo. “Das ist etwas Neues. Brutal und gewalttätig auf einem bisher unbekannten Niveau.”
Bei der Operation handelte es sich um den blutigsten Polizeieinsatz in der Geschichte des Bundesstaates Rio de Janeiro. Trotz der Bilanz bezeichnete Gouverneur Cláudio Castro die Operation als Erfolg. “Wir stehen zu allem, was wir gestern getan haben”, sagte er und kondolierte den Familien der vier getöteten Beamten. “Die einzigen Opfer gestern waren diese Polizisten.”
Comando Vermelho in Drogenhandel verwickelt
Das Comando Vermelho ist eines der größten Verbrechersyndikate des südamerikanischen Landes und vor allem im Drogenhandel aktiv. Bei dem Einsatz wurden nach Angaben der Behörden 81 Verdächtige festgenommen – darunter ein regionaler Anführer der Gruppe und der Finanzchef von einem der obersten Bosse der Gang.
Die Polizei beschlagnahmte zudem über 90 Schnellfeuerwaffen und mehr als 200 Kilogramm Drogen. Nach dem Einsatz wurden zehn bereits inhaftierte hochrangige Anführer des Comando Vermelho in ein Hochsicherheitsgefängnis verlegt. Sie sollen Vergeltungsmaßnahmen gegen die Sicherheitskräfte angeordnet haben.
Hubschrauber und Drohnen im Einsatz
Mindestens 2.500 Polizisten waren an der Operation beteiligt, bei der auch zwei Hubschrauber und Dutzende gepanzerte Fahrzeuge zum Einsatz kamen. Kriminelle steckten Barrikaden und Autos in Brand, warfen Sprengsätze von Drohnen ab und eröffneten das Feuer auf die Beamten. Neben den vier getöteten Polizisten wurden neun weitere angeschossen. Auch drei Zivilisten gerieten ins Kreuzfeuer.
Auf Videos war zu sehen, wie schwarze Rauchwolken über den Vierteln aufstiegen. Schwarzgekleidete Polizisten in Kampfmontur stürmten mit Sturmgewehren im Anschlag durch die engen Gassen.
Umgeleitete Busse, ausgefallener Unterricht
Die bürgerkriegsähnlichen Zustände hatten auch Auswirkungen auf das Stadtleben. Über 100 Buslinien mussten wegen der Kämpfe ihre Routen ändern. Mehrere Universitäten und Schulen ließen den Unterricht ausfallen. In den betroffenen Stadtteilen leben etwa 280.000 Menschen.
Demonstranten in Rio de Janeiro zeigen ein Transparent mit der Aufschrift “Claudio Castro Mörder”, um gegen Rios Gouverneur Castro zu demonstrieren.
“Das ist die Realität. Wir bedauern zutiefst, dass Menschen verletzt wurden, aber dies ist eine notwendige, intelligent geplante Maßnahme, die fortgesetzt wird”, sagte der Sicherheitsminister von Rio de Janeiro, Victor Santos, dem Sender TV Globo.
Hohe Todeszahlen bei Einsätzen von Brasiliens Polizei
In kaum einem anderen Land der Welt kommen so viele Menschen bei Polizeieinsätzen ums Leben wie in Brasilien. 2024 töteten Sicherheitskräfte in dem südamerikanischen Land 6.243 Menschen – durchschnittlich 17 Menschen pro Tag, wie aus dem Jahrbuch für öffentliche Sicherheit hervorgeht. In den USA waren Polizisten im vergangenen Jahr für den Tod von 1.378 Menschen verantwortlich, in Deutschland wurden 22 Personen von Beamten erschossen.
Allerdings lassen sich Polizeieinsätze in Europa nicht mit denen in Brasilien vergleichen: Viele Armenviertel werden von schwer bewaffneten Drogenbanden kontrolliert. Rückt die Polizei in den Favelas ein, um einen Haftbefehl zu vollstrecken oder nach Rauschgift zu suchen, gibt es teilweise gewaltsamen Widerstand. Menschenrechtsaktivisten werfen der Polizei allerdings vor, häufig mit übertriebener Härte vorzugehen und wenig Rücksicht auf die Bewohner der Favelas zu nehmen.
Menschenrechtsaktivisten kritisieren Einsatz
Das Menschenrechtskommissariat der Vereinten Nation forderte jetzt eine Untersuchung. “Wir sind entsetzt über die Polizeieinsätze in den Favelas von Rio”, hieß es in einer Stellungnahme. “Sie setzen den Trend extrem tödlicher Einsätzen in den abgehängten Gemeinden Brasiliens fort. Wir erinnern die Behörden an ihre Verpflichtungen aus dem internationalen Recht und fordern eine umgehende Untersuchung.”
Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte die Operation. “Öffentliche Sicherheit wird nicht mit Blut erreicht”, hieß es in einer Mitteilung der Gruppe. “Der Einsatz mit den meisten Toten in der Geschichte Rio de Janeiros offenbart das Scheitern der Sicherheitspolitik des Bundesstaates und versetzt die Stadt in einen Zustand des Terrors.”





















