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„Manche Firmen werden weniger Zoll bezahlen“ | ABC-Z

Herr Karlsson, Sie sind der Chef der Zollabteilung von Mærsk, einer der größten Containerreedereien der Welt. Wie viele Zollerklärungen gehen im Jahr über Ihren Schreibtisch?

Wir wickeln für unsere Kunden rund 6,5 Millionen Zollabfertigungen im Jahr ab. Die gehen aber zum Glück nicht alle über meinen Schreibtisch. Wir haben im Konzern 2700 Mitarbeiter, die sich mit Zollerklärungen beschäftigen.

Bevor Donald Trump seinen sogenannten Zollhammer auspackte, hat sich die Öffentlichkeit für deren Arbeit nicht besonders interessiert.

Das stimmt. Es ging sogar noch weiter. Nicht einmal in den Unternehmen, die ihr Geschäft mit dem Export von Gütern machen, wurden Zollfragen wirklich ernst genommen. Wie viele Steuern sie zu bezahlen haben, wissen die Firmen seit je alle ganz genau. Und natürlich auch, wie sich diese Summe so niedrig wie möglich halten lässt. Bei den Zöllen war das ganz anders. Sie waren mit ein oder zwei Prozent jahrzehntelang so niedrig, dass sich kein Vorstandsvorsitzender lange damit aufgehalten hat.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Das hat sich geändert. Was erwarten Sie vom kommenden Mittwoch, wenn die Zollpause ausläuft, die Trump vielen Staaten gewährt hat?

Es wird, ob noch vor diesem „Deadline Day“ oder danach, voraussichtlich eine Reihe von neuen Zollabkommen zwischen den USA und einigen ihrer Handelspartner geben. Das macht die Zollabwicklung für viele Unternehmen einerseits noch komplizierter als bisher. Andererseits steckt darin für sie auch die Möglichkeit, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.

Indem sie neue Fabriken in den USA aufmachen und die Zölle umgehen?

Das ist natürlich auch eine Möglichkeit. Aber ich denke an etwas, das viel schneller geht und viel weniger kostet.

Ich denke an die vielen Einsparmöglichkeiten, die es bei den Zöllen gibt. Viele Unternehmen wissen bisher nicht einmal, wie hoch ihre Ausgaben dafür insgesamt sind. Zölle sind komplizierter als Steuern. Es gibt im internationalen Handel mehr als 6000 standardisierte Warencodes und noch einmal mehr als 20.000 Unter-Codes, von denen die jeweiligen Zollsätze abhängen. Nach unseren Erkenntnissen bezahlen die Firmen im Durchschnitt 5 bis 6 Prozent zu viel. Wenn jetzt die Zollsätze steigen, lohnt es sich, viel genauer hinzusehen.

Wie kommt es zu den überhöhten Zollzahlungen?

Ein Grund dafür ist in einem gewissen Sinn die globale Arbeitsteilung. Ein Produkt kann heute bis zu seiner Fertigstellung fünf- oder sechsmal über eine Grenze gebracht werden. Um den richtigen Zollsatz zu bestimmen, muss man den beteiligten Ländern ihren jeweiligen Wertschöpfungsanteil zurechnen. Das können viele Unternehmen nicht, weil sie ihre eigenen Lieferketten nicht gut genug kennen oder weil sie ihre Zollangelegenheiten nicht zentral steuern, sondern damit von Land zu Land unterschiedliche Agenten beauftragen. Die machen ihre Sache hoffentlich alle gut. Aber der Agent in Seoul kennt nicht unbedingt alle Regeln, die in Hamburg gelten; etwa 20 Prozent der Zollbestimmungen sind nämlich von Land zu Land unterschiedlich. Das führt zu Fehlern beim Verzollen. Ein anderer Grund für unnötig hohe Zollzahlungen sind die vielen Freihandelsabkommen.

Wie bitte? Der Sinn dieser Abkommen ist doch gerade, dass weniger Zölle gezahlt werden sollen.

Stimmt. Dafür muss man diese Abkommen allerdings auch kennen. Es gibt zurzeit schon rund 650 davon auf der Welt. Dazu kommen jetzt auch noch diejenigen Abkommen, die Donald Trump früher oder später mit den amerikanischen Handelspartnern abschließen wird. Was glauben Sie, wie eifrig die Freihandelsabkommen bisher in Anspruch genommen werden?

Lars Karlsson ist „Global Head of Trade & Customs Consulting“ im Logistikkonzern Mærsk. Früher hat er die schwedische Zollbehörde geleitet und für die Weltzollorganisation gearbeitet.
Lars Karlsson ist „Global Head of Trade & Customs Consulting“ im Logistikkonzern Mærsk. Früher hat er die schwedische Zollbehörde geleitet und für die Weltzollorganisation gearbeitet.Mærsk

Die Quote kann nicht sehr hoch sein, sonst würden Sie nicht so fragen.

Die Abkommen werden nur etwa zur Hälfte ausgeschöpft. Etwa 45 Prozent aller Waren, die von einem oder mehreren Freihandelsabkommen profitieren könnten, werden nicht entsprechend verzollt. Ich vermute, aus Unkenntnis.

Für einen großen Logistikkonzern wie Mærsk dürfte Zoll-Optimierung ein prima Geschäftsmodell sein.

Es wächst jedenfalls zusehends. Je höher die Zollsätze werden und je öfter sie sich ändern, desto mehr lohnt sich logischerweise eine professionelle Abwicklung. Genau das bieten wir mit unserem neuen „Trade & Tariff Studio“ an.

Wie viel lässt sich damit einsparen?

Je nachdem, wie groß das Volumen insgesamt ist, können das ein- oder sogar zweistellige Millionenbeträge sein. Das heißt: Manche Firmen werden unterm Strich weniger Zoll bezahlen als früher, obwohl Trump die Zollsätze anhebt, wenn sie es besser machen als bisher. Ich habe gesagt, dass die Unternehmen im Durchschnitt 5 Prozent zu viel bezahlen; bei manchen sind es auch 10 oder sogar 15 Prozent zu viel.

DSGVO Platzhalter

Machen kleine Unternehmen mehr Fehler als Großkonzerne? Oder stechen bestimmte Branchen heraus?

Es geht weniger um die Größe als um das Geschäftsfeld. Unternehmen mit vielen verschiedenen Produkten und schnell wechselnden Sortimenten haben ein erhöhtes Risiko, zum Beispiel Einzelhandel und Modeunternehmen. Bei ein oder zwei Millionen Produkten im Sortiment wird es schwierig, den Überblick zu behalten und alles optimal zu verzollen. Auch die Autoindustrie, die chemische Industrie und Tech-Unternehmen haben aufgrund ihrer kompliziert zu klassifizierenden Produkte ein größeres Risiko, zu viel zu zahlen. Aber egal, worum es im Einzelnen geht: Solche Fehler abzustellen, kann einen großen Vorteil gegenüber einem Wettbewerber darstellen, der seine Zollangelegenheiten vernachlässigt. Und zwar nicht nur einmalig, sondern immer wieder. In vielen Ländern können Firmen sogar rückwirkend für die drei vergangenen Jahre zu viel gezahlte Zölle erstattet bekommen. Ganz zu schweigen davon, zu welchen Verzögerungen an der Grenze eine mangelhafte Vorbereitung der Zollabfertigung führt.

Weil die Container dann erst einmal vom Zoll festgehalten werden?

Genau. Wobei ich als früherer Zöllner sagen möchte: An der Grenze haben stets mehrere Behörden ihre Finger im Spiel, der Zoll ist nur ihr gemeinsames Gesicht nach außen. Der Auslöser für eine Verzögerung kann zum Beispiel auch ein Veterinäramt sein oder eine technische Überprüfung. Wir haben das während der Corona-Pandemie genau analysiert, als sich die Container in vielen Häfen stapelten und Schiffe lange auf ihre Abfertigung warten mussten. Etwa ein Fünftel aller Verzögerungen hingen mit dem Zoll zusammen.

Das war ein Corona-Problem. Warum sollte es immer noch so sein?

Es war vor der Pandemie so und ist nachher so geblieben. Man hat es nur während der Pandemie so deutlich wahrgenommen, weil viele andere Verzögerungen dazukamen. Jetzt kommt noch etwas dazu. Seit Donald Trump an der Regierung ist, haben sich die Zollkontrollen in den Vereinigten Staaten verzehnfacht. Für die Behörden geht es jetzt um viel mehr, also schauen sie auch viel genauer hin. Das führt dazu, dass in den vergangenen Monaten Hunderttausende von Containern an der amerikanischen Grenze aufgehalten wurden.

Wie laufen diese Kontrollen ab? Wie soll ein Zöllner im Hafen von Los Angeles herausfinden, ob zum Beispiel der Elektromotor im Farbsprühgerät eines deutschen Herstellers wirklich aus China kommt und mit 34 Prozent verzollt werden muss – und nicht doch aus Kambodscha, was nach den aktuellen Plänen Trumps 15 Prozentpunkte mehr bedeuten würde?

Ich rate ausdrücklich davon ab, Produkte bloß umzuetikettieren, um eine Zollzahlung zu vermeiden – oder ganz und gar falsche Angaben zu machen. Wenn so etwas auffliegt, dann werden nicht nur hohe Strafzahlungen fällig. Mit so etwas setzt man auch Reputation und Marktzugang aufs Spiel. Das ist es nicht wert. Glauben Sie mir: Es ist für ein Unternehmen viel besser, die eigene Lieferkette sauber zu dokumentieren, durchgehend mit denselben Daten zu arbeiten und mit den Behörden vertrauensvoll zusammenzuarbeiten.

Verlockend sind kleine Tricks gleichwohl. Wer nicht auffliegt, spart viel.

Die Zollbehörden sind nicht zu 100 Prozent perfekt. Aber sie werden immer besser darin, Lieferungen mit einem hohen Risiko für Umgehungsversuche herauszupicken. Sie nutzen dazu Künstliche Intelligenz und Datenbanken, die Informationen über Millionen von einzelnen Herstellern und ihren Beziehungen untereinander enthalten. Da fallen Ungereimtheiten schnell auf. Um bei Ihrem Beispiel zu bleiben: Wenn in Ihrer Zollerklärung plötzlich ein anderer Zulieferer als früher steht, und erst recht wenn dieser neue Zulieferer in der Branche sonst kaum Kunden hat, dann wird der Zoll einen Nachweis dafür verlangen, dass der Motor tatsächlich in dieser chinesischen Fabrik und nicht wie bisher in Kambodscha hergestellt wurde. Und so lange, bis Sie diesen Nachweis erbracht haben, steht Ihr Container still.

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