Kultur

Resolution zum Schutz jüdischen Lebens: Eine Blamage mit Ansage | ABC-Z

Eigentlich muss den Parlamentariern der Ernst des Augenblicks bewusst gewesen sein, als sie im vergangenen Jahr, am 9. November 2023, im Bundestag zusammenkamen. Der Terrorangriff der Hamas auf Israel, bei dem fast 1.200 jüdische Zivilisten und Soldaten getötet wurden, lag erst einen Monat zurück. Zudem gedenkt der Bundestag an jedem 9. November stets des Jahrestages der Reichspogromnacht und damit dem massenhaften Angriff auf Synagogen und Geschäfte jüdischer Menschen in Nazi-Deutschland 1938. Ein symbolträchtigeres Datum hätten die Fraktionen von SPD, FDP, Grünen sowie der CDU und CSU also gar nicht wählen können, um eine gemeinsame, fraktionsübergreifende Bundestagsresolution zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland auf den Weg zu bringen. Nur blieb es dann beim Konjunktiv.

Statt eines gemeinsamen Entschließungsantrags gab es anfangs zwei, einen der Union und einen der Ampel. Über Monate wurden beide im Innenausschuss des Bundestages in der Hoffnung diskutiert, dass die Fraktionen sich verständigen. Und als es fast so weit war und ein Kompromisspapier vorlag, über das ZEIT ONLINE als erstes Medium im Juli berichtete, gab es Protest von Kulturinstitutionen, enthielt der Text doch weitreichende Formulierungen, die den Kultur- und Wissenschaftsbetrieb in Deutschland betreffen. So sah er vor, dass eine staatliche Förderung etwa von Kulturprojekten künftig an eine Prüfung gebunden werden solle, dass diese auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Außerdem wurde eine “Implementierung” einer Antisemitismus-Definition gefordert: Wer öffentlich gefördert werden wolle, dürfe etwa das Existenzrecht des Staates Israels nicht anzweifeln. Frei nach dem Motto: Keine Staatsknete für Staatsfeinde. Rechtlich bedenklich fanden das Juristen. Schädigend sei es für den Kulturstandort Deutschland, tönte es aus deutschen Kulturinstitutionen.

Die Kritik zeigte Wirkung: Es wurde neu verhandelt, diesmal im kleinen Kreis der Vizevorsitzenden der beteiligten Fraktionen. Doch auch dort verhakte man sich bei der Neuformulierung des Papiers. Zuerst hieß es aus dem Verhandlerumfeld: Einen überarbeiteten Entwurf werde es vor der Sommerpause des Parlaments geben. Dann nach der Sommerpause. Dann spätestens bis zum 7. Oktober.

Doch nun ist, wie Parlamentarier mehrerer Fraktionen ZEIT ONLINE bestätigten, auch dieser Zeitplan passé: Zum Jahrestag des Hamas-Angriffs wird es keine Bundestagsresolution zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland geben. Eine Blamage. Und es könnte noch schlimmer kommen. Das Projekt eines fraktionsübergreifenden Antrags droht insgesamt zu scheitern, wie ZEIT ONLINE erfuhr.

Anfang Oktober wollen die Verhandler ein letztes Mal zusammenkommen, um zu prüfen, ob man wenigstens einen Monat später, zur Gedenkstunde anlässlich der Reichspogromnacht am 9. November, dem Parlament ein gemeinsames Papier präsentieren kann. Scheitert auch dieses Gespräch, hätten die Bundestagsfraktionen bewiesen, dass sie beim Thema Antisemitismusbekämpfung nicht mit einer Stimme sprechen. 

Der Begriff “Staatsräson”, den etwa Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) benutzt haben im Zusammenhang mit der Verpflichtung Deutschlands zum Schutz Israels, würde sich fast symbolhaft nicht auf jüdische Bürgerinnen und Bürger Deutschlands erstrecken – jedenfalls wäre der Bundestag nicht imstande, diesen Mitbürgern die Solidarität des deutschen Parlaments zu versichern (die AfD-Fraktion und die verbliebenen Abgeordneten der Partei Die Linke waren nicht Teil der Verhandlungen).

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