Reportage aus dem Ski-WM-Ort Saalbach-Hinterglemm: Österreich hofft und bangt – Sport | ABC-Z

Josef Gensbichler war damals schon dabei. Die Skination Österreich schaute mit Stolz zu ihren Rennfahrern auf – und hinauf: Dort, wo nun wieder um Medaillen gerast wird, bewirtschaftete Gensbichler einst die Hintermaisalm. Am Zwölferkogel ist der 61-Jährige aufgewachsen, den Skiberg in Saalbach-Hinterglemm kennt kaum jemand so gut wie er. Seine Sachertorte ist im Glemmtal bis heute ein Geheimtipp der Einheimischen. Auch, weil Gensbichler sein Gebäck samt Schlagobers schon damals servierte: 1991, als Stephan Eberharter bei den ersten Weltmeisterschaften in Saalbach-Hinterglemm zwei Sahnetage erwischte, Doppelgold für Österreich gewann und das Alpenland in eine Ekstase versetzte, von der die Älteren hier noch heute erzählen.
Nun, da sich in Ski-Österreich Zeiten des Sauerrahms andeuten.
Über Saalbach-Hinterglemm liegt in diesen ersten Tagen der alpinen Skiweltmeisterschaften ein gar nicht so zarter Hauch von Nostalgie. Wer durch den Ort spaziert, wird früher oder später die verwackelten Filme von einst auf einer Leinwand entdecken, signierte Autogrammkarten an den Wänden der Restaurants finden oder eben Zeitzeugen dieses mehr als drei Jahrzehnte alten österreichischen Wintermärchens begegnen, dem die Salzburger Nachrichten ein Sonderheft mit Artikeln von damals gewidmet haben, der, wie es dort heißt, „legendären Sonnen-WM“. Und weil der Skisport in Österreich bis in die Gegenwart einen Stellenwert genießt wie andernorts nur der Fußball, geht es hier angesichts der zehnten Heimweltmeisterschaft nun um die ganz großen Fragen.
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:„Das war pretty fucked up“
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Zehntausende Skienthusiasten bevölkern seit Tagen Pisten und Skihütten – und manche kommen zum Einkehrschwung bei Josef Gensbichler vorbei, der die Hintermaisalm inzwischen an seinen Sohn übergeben hat und etwas weiter den Berg hinaufgezogen ist, wo er seit zehn Jahren die Winkleralm betreibt. Es ist Mittagszeit am Dienstag, Gröstl und Germknödel stehen dampfend bereit, Gerda und Linda sind aus dem Ötztal angereist und stärken sich für das erste WM-Rennen später am Nachmittag, den Team-Parallelwettbewerb, den Österreich bei den Olympischen Spielen 2022 noch gewonnen hat. Und diesmal, nach bisher 15 rot-weiß-roten Podestplätzen im Weltcupwinter; nur 15? „Ich bin eher skeptisch“, sagt Gerda, 29. „Mei“, sagt ihre Skifreundin Linda, 31, „mich würd’s eh freuen, wenn wir heute überhaupt eine Medaille holen.“

Österreichern, landauf, landab, ist zu eigen, dass sie das Wort Medaille in einer unnachahmbaren Weise aussprechen, mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Andacht, als ginge es um viel mehr als nur ums Skirennfahren.
Die Kirche im Dorf zu lassen, schadet im Sport bei alldem selten, auch in Österreich, wo ähnlich wie in Deutschland große politische Gewitter die Nation bewegen. Das sonnige Saalbach wirkt da einstweilen wie ein Sehnsuchtsort, wo zwar eventuell sportliche Dramen zu erwarten sind, aber im Zweifel unzählige Après-Ski-Stadel zum Herunterspülen bereitstehen, falls mal wieder eine US-Amerikanerin oder ein Schweizer die Ösi-Fete im Skistadion kapert. Was hier trotzdem wenig leiwand ankäme und eine Gefahr birgt: dass so ein Tag mehr im Frust samt DJ-Rausschmeißer endet, mit dem Wolfgang-Ambros-Klassiker „Es lebe der Zentralfriedhof“.
Wenn man so will, ist das Glemmtal für die kommenden zehn Tage ein Wallfahrtsort in diesem Land, wo Skisport bisweilen immer noch religiöse Züge erahnen lässt, wo nicht wenige hinaufschauen zu den scheinbar Mächtigen da oben und ihre Hände bisweilen gar zum Gebet falten, wenn Manuel Feller, Cornelia Hütter, Katharina Liensberger oder Vincent Kriechmayr sich aus dem Starthäuschen in den Hang stürzen, aus der Kapelle des Skisports.

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Beim Blick auf die jüngsten Wahlergebnisse in Österreich möchte man selbst fast schon zum Stoßgebet ansetzen; nicht nur, weil der Wahlsieger, die rechtspopulistische FPÖ, unlängst mehr als erahnen ließ, dass der Partei die Pressefreiheit weniger am Herzen liegt. Dem Himmel sei Dank werden Österreichs einschlägige Zeitungen nach wie vor gedruckt, die Sportteile umfassen derzeit so viele Seiten wie in Deutschland zuletzt bei der heimischen Fußball-EM. Und wer in den Gazetten stöbert, wird derzeit weniger feststellen, dass der Druck auf die Presse steigt – sondern dass Österreichs Zeitungen mindestens im Skisport nach wie vor höchstselbst Druck ausüben können.
Die einschlägigen Tagespublikationen beschäftigten sich vor WM-Beginn nicht nur, aber weitgehend mit der wichtigsten Vokabel der Skination: die Medaille, wenngleich der Plural in Österreich traditionell bevorzugt wird. Die Kronen Zeitung widmete sich etwa in dreien ihrer größten Texte bereits in den Überschriften dem zentralen Thema: „Medaille zum Start? Das ist sicher das große Ziel“, „Eine Goldene machen wir hier schon!“, und „Ohne Gold waren wir daheim noch nie“, ist dort zu lesen. Die Salzburger Nachrichten packten – ebenfalls in der Dienstagsausgabe – noch eine Schippe an Erwartung drauf: „Österreich jubelt über 7 Medaillen“ titelte das Blatt auf der Sportseite eins. Es handelt sich dabei nicht um einen Rückblick auf große Zeiten der Skination, sondern um die Prognose der Redaktion, womöglich garniert mit dem ein oder anderen Wunschgedanken hinauf zum Skigott, sofern es den gibt.

Oben am Berg unweit der Mittelstation ist die Winkleralm gut erreichbar von der Zwölferkogelbahn zu finden, am Ort des WM-Renngeschehens. Viele Skifans und -fahrer werden hier noch am Holzofen bei Josef Gensbichler vorbeikommen, sich hinhocken und mit Glühwein und Kaspressknödelsuppe aufwärmen. Zehn „Bewerbe“ stehen noch an, wie es in Österreich heißt, 30 Medaillen sind noch zu vergeben. Und wer würde es ihnen nicht gönnen, bei ihrer Heim-WM, drei, vier, ach, gerne auch sieben Medaillen oder noch mehr, so wie 1991, als die damalige Skination Nummer eins elfmal auf dem Stockerl stand und dabei fünf Goldmedaillen holte. Und 2025?
In diesen Tagen fehlt nur noch, dass Stephan Eberharters Abbild in den Ski-Almen im Herrgottswinkel hängt. Kaum auszudenken, würde Österreich erstmals in der Historie der Ski-WM daheim ohne Goldmedaille dastehen. Oder? Den hiesigen Skianalysten in TV und Presse wird jedenfalls wenig Hang zur Gnade nachgesagt, am Dienstag nach Rang sechs der Österreicher – auch noch hinter den deutschen Piefkes – im Teamevent war das bereits zu erahnen. Aber womöglich hat der Medaillengott für Hütter, Feller und Co. ja doch eine Portion Schlagobers vorgesehen.