Rendite für Investoren?: Olaf Scholz’ Deutschlandfonds ist eine Milchmädchenrechnung | ABC-Z
Der Kanzler will private Geldgeber in die Finanzierung der Infrastruktur locken. Herauskommen könnte dabei nicht nur ein Schattenhaushalt, der am Ende teurer wird als reguläre Schulden. Sondern für Millionen Wähler höhere Strompreise.
“Schluss mit Investitionen nach aktueller Kassenlage”, fordert Olaf Scholz angesichts des gigantischen Investitionsstaus bei der deutschen Infrastruktur. Im Kampf gegen bröckelnde Brücken, löchrige Straßen und kaputte Schienen schwebt dem Kanzler ein Deutschlandfonds vor, “gespeist aus öffentlichen Mitteln und privatem Kapital”. Eine Geldsammelstelle für die Zukunft des Landes, anfänglich mit 100 Milliarden Euro gefüllt, später gerne auch mit mehr. So will die SPD Investitionen bei Strom- und Wärmenetzen, beim Wasserstoffnetz, E-Ladesäulen oder beim Wohnungsbau ankurbeln.
Denn nicht nur der Internationale Währungsfonds (IWF), auch die OECD und führende Wirtschaftsforscher sind sich einig: Deutschland investiert zu wenig in seine Infrastruktur. Die öffentlichen Ausgaben für Schienen, Straßen und Schulen stagnieren laut IWF seit den 1990er-Jahren auf einem Niveau, “das gerade mal den Wertverlust ausgleicht”. “Deutschlands Infrastruktur lebt fast nur noch von ihrer Substanz”, bringt es der Ex-Wirtschaftsweise Lars Feld von der Universität Freiburg auf den Punkt.
In einer Studie für die Fondsgesellschaft Union Investment sieht Feld allein für Autobahnen, Schienen- und Energienetze einen Finanzbedarf von 400 Milliarden Euro. Das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln ruft sogar 600 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren auf. Angesichts der zusätzlich nötigen Ausgaben für die Wiederaufrüstung der Bundeswehr und die Wiedereinführung der Wehrpflicht steuert Deutschland in der kommenden Legislaturperiode deshalb auf eine gigantische Finanzklippe zu. Mindestens 60 Milliarden könnten ab 2028 im Haushalt fehlen.
Sondertopf unabhängig vom politischen Hickhack
Auf den ersten Blick hat Scholz’ Idee eines Deutschlandfonds daher durchaus Charme. Denn auf den Sparkonten der Deutschen dümpeln laut Bundesbank gigantische 3,3 Billionen Euro vor sich hin. “Stellen Sie sich mal einen kurzen Augenblick vor, wir wären in der Lage, davon nur 10 Prozent zu mobilisieren – für den Ausbau dessen, was wir in der Bildung, im öffentlichen Sektor, in der gesamten Infrastruktur brauchen”, schwärmte im November auch schon Friedrich Merz. “Es fehlt uns nicht an Kapital. Es fehlt uns an vernünftigen Instrumenten, dieses Kapital zu mobilisieren”, mahnte der CDU-Chef.
Angesichts des riesigen finanziellen Bedarfs wären private Geldgeber eine Erleichterung: Der Staat müsste weniger Schulden aufnehmen. Wird Geld für Investitionen zudem in einen Sondertopf ausgelagert, der nicht den regulären Haushalt belastet, eröffnet das Spielräume, etwa für die Aufstockung des Bundeswehr-Budgets aus dem normalen Etat. Die Mittel würden nicht länger ad hoc von Jahr zu Jahr zugeteilt, sondern die langfristige Finanzierung der Infrastruktur zu einer staatlichen Daueraufgabe unabhängig vom politischen Hickhack.
Mit einem Deutschlandfonds könnte der Kanzler die Schuldenbremse zudem sanft unterlaufen, auch ohne Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Verfassungsänderung. Denn bislang ist vorgesehen, dass er über Bürgschaften den Ausfall von Risikokapital versichert und so Investments in Startups attraktiver macht, oder über sogenannte finanzielle Transaktionen Startkapital oder Kredite weiterreicht. Da der Bund im Gegenzug Firmenanteile erwirbt und zumindest auf dem Papier eine Rückzahlung der Darlehen zu erwarten ist, würde das womöglich anders als direkte Kreditaufnahme des Bundes nicht unter die Schuldenbremse fallen. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags kam 2022 jedenfalls zu einem ähnlichen Ergebnis.
Die Nutzer werden von Investoren zur Kasse gebeten
Die SPD ist sich sicher, dass mit dem Fonds “privates Kapital aktiviert” werden kann. Der Haken ist: Warum sollten Banken, Pensionskassen und Privatleute Milliarden in Scholz’ Wahlkampfprojekt stecken? Das klappt natürlich nur, wenn es sich durch hohe Renditen und staatliche Ausfallgarantie für sie lohnt. Und das ist vor allem der Fall, wenn durch die Investments Rückflüsse entstehen, aus denen die Zinsen der Investoren abgezahlt werden können – von denjenigen, die die Infrastruktur benutzen. “Der Deutschlandfonds soll in Projekte investieren, die ihrerseits langfristig Gewinne generieren. Dazu gehören zum Beispiel auch Strom- und Wasserstoffnetze, die von ihren Nutzern Gebühren erheben”, bestätigt SPD-Fraktionsvize Verena Hubertz gegenüber ntv.de die grundsätzliche Logik.
Österreich macht genau das schon seit den 1980er-Jahren und hat den kompletten Neubau und Betrieb seiner Autobahnen an eine private Aktiengesellschaft ausgegliedert, die dem Staat gehört. Die ASFINAG bekommt keinerlei Geld aus dem Haushalt und finanziert sich allein über Kredite am Kapitalmarkt. Allerdings müssen alle Autofahrer in Österreich dafür auch schon seit 1997 Maut bezahlen, insgesamt 2,5 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Das Geld fließt vollständig in den Bau neuer Straßen und die Zinsen der ASFINAG-Anleger.
Auch Deutschland hat den Bau und Betrieb der Fernstraßen noch in der Merkel-Ära in die staatliche Autobahn GmbH ausgelagert, die sich über die Lkw-Maut finanziert: 7,4 Milliarden Euro kamen so 2023 für den Straßenbau zusammen. Anders als die ASFINAG darf die deutsche Firma bislang allerdings per Gesetz keine zusätzlichen Kredite am Markt aufnehmen. Und nur die Hälfte des Geldes fließt in neue Straßen. Mit der anderen Hälfte wird das Schienennetz der Deutschen Bahn quersubventioniert. Auch beim Staatskonzern wäre eine stärkere Nutzerfinanzierung denkbar.
Denn schon heute kassiert die staatliche Infrastruktur-Tochter der Deutschen Bahn Maut von allen Eisenbahnfirmen für die Nutzung von Schienen und Bahnhöfen, die Bahnreisende wiederum über ihre Tickets bezahlen. Zudem bekommt sie massive Zuschüsse aus dem Haushalt. Vorstellbar wäre, dass diese Netzgesellschaft InfraGo aus dem DB-Konzern herausgelöst wird und künftig selbst Kredite aufnimmt, die sie dann aus den Trassen- und Bahnhofsgebühren zurückzahlt – letztlich also alle Bahnreisenden die privaten Infrastrukturinvestments über ihre Tickets abstottern.
Der Steuerzahler bedient die Profite der Anleger
All diesen Gedankenspielen zu höherer Schienen- und einer Pkw-Maut erteilt die SPD jedoch eine klare Absage: “Der Deutschlandfonds dient nicht zur Privatisierung öffentlicher Güter. Er steht auch nicht im Zusammenhang mit der Erhebung neuer oder Anhebung bestehender Nutzungsentgelte”, stellt SPD-Vizefraktionschefin Hubertz klar.
Das dürfte die Attraktivität des Fonds bei privaten Geldgebern dann allerdings deutlich schmälern. Denn die wollen für ihr Geld Rendite sehen. Vor allem beim Ausbau der Erneuerbaren und der Energienetze könnte das zum Problem werden, den SPD-Generalsekretär Matthias Miersch mithilfe des Deutschlandfonds “forcieren” möchte, wie er ntv.de bestätigt. Denn hier muss der Staat schon jetzt Großinvestoren unter die Arme greifen, damit die den Ausbau überhaupt stemmen.
Anlocken muss er sie zwar nicht mehr: Die Stromnetze sind aufgrund ihrer langfristigen, planbaren Einnahmen aus den Netzentgelten bereits heute attraktiv für private Geldgeber. Der Übertragungsnetzbetreiber Amprion etwa gehört neben RWE einem Konsortium deutscher Pensionskassen und Versicherer. Hinter TransnetBW stecken neben EnBW auch Sparkassen und Versicherungen aus Baden-Württemberg. 50 Hertz gehört zu 80 Prozent der börsennotierten belgischen Elia-Gruppe. Einzig hinter Tennet steht noch der staatliche niederländische Stromnetzbetreiber.
Langfristige Strompreiserhöhung für Millionen Wähler?
Aber um dafür zu sorgen, dass diese kritische Infrastruktur nicht in falsche Hände gerät und die Investoren nicht nur auf ihre Rendite schielen, sondern auch den schleppenden Ausbau voranbringen, hat der Bund strategische Beteiligungen an den “Stromautobahnen” erworben: 2018 einen 20-Prozent-Anteil an 50Hertz und 2023 einen Anteil von 24,95 Prozent an TransnetBW. Der Staat springt hier also eher privaten Kapitalgebern bei, statt dass Investoren wie im Deutschlandfonds vorgesehen öffentliche Investitionen mitfinanzieren.
Analog zur staatlichen Schienengesellschaft InfraGo und zur Autobahn GmbH könnte der Bund seine Netzbeteiligungen nun in einer Gesellschaft bündeln und erweitern. Für private Investoren würden solche Investitionen dann attraktiv, weil der Deutschlandfonds dank staatlicher Bonität “Risiken so streuen könnte, dass sie insgesamt tragbar sind”, glaubt Hubertz. “Da die Projekte langfristig Gewinne erwirtschaften, profitiert der Staat ebenso wie private Anleger von einem Deutschlandfonds – es entsteht eine Win-win-Situation.”
In Wahrheit würden die Interessen beider Seiten im Deutschlandfonds kollidieren: Erklärtes Ziel der Politik ist es, die Netzentgelte zu senken, um die Strompreise zu dämpfen. Die Investoren wollen naturgemäß das Gegenteil, weil sie für ihr Geld Rendite sehen wollen. Ohne ausreichende Vergütung werden sie gar nicht erst kommen. Langfristig würde es mit mehr privatem Kapital in den Netzen daher wohl auf höhere Strompreise hinauslaufen.
Günstiger als über den Staat geht es nicht
Denn wie auch immer man es dreht: Durch die Beteiligung privater Geldgeber wird es immer teurer, als wenn der Staat allein baut. Das Risiko, dass die Rückzahlung ihres Geldes ausbleibt, werden sich Investoren vom Staat vergüten lassen. Zudem müssen sie es sich selbst leihen und reichen die Kosten dafür an den Staat weiter. In Österreich kostete die Vignette 1997 bei der Einführung umgerechnet etwa 40 Euro. Dieses Jahr sind es schon 103,80 Euro. Ein Teil davon ist sicher unvermeidliche Baukosten-Inflation. Der Rest Profitstreben, das der Steuerzahler bedient.
Für private Geldgeber wäre der Deutschlandfonds daher wohl ein gutes Geschäft. Kein Wunder, dass Lars Feld im privaten Investment in Straßen, Schienen und Energienetze “vielversprechende Investitionsfelder” und “attraktive Geschäftsmodelle” für große Fonds wie Union Investment sieht. Für den Steuerzahler sieht es womöglich anders aus: Am Ende wird die Kreditaufnahme dadurch teurer als reguläres Schuldenmachen. Der Wirtschaftsforscher warnt in seiner Studie, dass “die Wahrung des Gemeinwohls stets Priorität haben muss” und mahnt eine “faire anteilige Risikoteilung zwischen privaten Investoren und der öffentlichen Hand sowie eine effektive staatliche Kontrolle” an.
Denn private Geldgeber schauen zuallererst auf den Gewinn. Sie haben kein Interesse, auch unprofitable Strecken oder Netze auszubauen. Auch Ersatzreparaturen, die die Rendite schmälern, fahren sie so weit runter wie möglich, wie der Verkauf öffentlicher Wohnungsbestände in Dresden oder Berlin an internationale Immobilienkonzerne zeigt. Womöglich beschleunigen private Geldgeber durch ihre Gewinnerwartung den Verfall der Infrastruktur deshalb sogar, weil weniger Geld für Instandhaltung bleibt.
Ein Deutschlandfonds, der Bürgschaften für Risikokapital übernimmt, wäre durchaus sinnvoll, etwa um konkurrenzfähiger zu den USA zu werden. Darüber im großen Stil den Netzausbau zu finanzieren, dagegen nur die zweitbeste Lösung. Denn Deutschland kann sich – eben dank seiner sehr niedrigen Schuldenquote von gerade mal 64 Prozent der Wirtschaftsleistung – eigentlich so direkt und günstig verschulden wie kaum ein anderes Land der Welt.
Dass Olaf Scholz dennoch private Investoren ins Spiel bringt, legt den Verdacht nahe, dass es im Kern darum geht, dem Steuerzahler über diesen Wahlkampftrick unangenehme Wahrheiten sanfter zu verkaufen: Dass die SPD als Regierungspartei zusammen mit der Union jahrelang beim Ausbau der Infrastruktur getrödelt hat und angesichts des Verfalls nun plötzlich alles schnell gehen muss. Dass höhere Schulden unabdingbar sind und dafür auch die Schuldenbremse reformiert werden muss, wie es die SPD ja ebenfalls fordert. Und dass die Wähler über höhere Netzentgelte womöglich direkt ihren Beitrag zur Modernisierung der maroden deutschen Infrastruktur werden leisten müssen.