„Reiche sind abhängig vom öffentlich finanzierten System, aber sie leugnen es“ | ABC-Z
Es ist eine Untertreibung zu sagen, dass sich Marlene Engelhorn über Geld nie Gedanken machen musste. „Für mich war ein Multimillionenvermögen immer normal“, sagt sie im Gespräch mit „ Apotheken Umschau “. Die 32-Jährige stammt aus einer Unternehmerfamilie, die durch die Gründung des Chemiekonzerns BASF zu massivem Reichtum kam. 2022 erbte Engelhorn mehr als 25 Millionen Euro.
Heute ist von dem Geld fast nichts mehr übrig. Zumindest auf Engelhorns Konto. Schließlich hatte sie beschlossen, ihr Erbe rückzuverteilen und der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Das Geld landete auf einem Treuhandkonto und ein Bürgerrat beriet darüber, welche Organisationen und Initiativen es bekommen sollte. Bis 2029 soll das Geld ausgezahlt werden.
Marlene Engelhorn: „An sich ist Vermögen nicht schlimm, aber es ist ungleich verteilt“
„An sich ist Vermögen nicht schlimm, aber es ist so ungleich verteilt, dass für den Reichtum von ein paar wenigen Menschen Millionen Andere mit Armut bezahlen“, sagt die gebürtige Wienerin. Insbesondere hierzulande offenbart sich diese Kluft, denn in Deutschland ist das Vermögen sehr ungleich verteilt. Das zeigt auch der Gini-Koeffizient, ein statistisches Maß für die Messung der Ungleichheit einer Verteilung. In Deutschland ist er weltweit mit am höchsten.
Das Problem für Engelhorn: Viel Geld bringe auch viel Macht mit sich. Häufig würden Superreiche gute Kontakte in die Politik pflegen und „überproportional in Entscheidungen involviert“ sein, zum Beispiel in Hinblick auf den Arbeitsmarkt. „Sie regeln quasi mit dem Exklusivitätsprinzip den Zugang anderer zu bestimmten Ressourcen – Land, Wohnraum, aber auch Gesundheit oder Mobilität“, sagt Engelhorn. Und das alles unter Aufrechterhaltung der himmelhohen Brandmauern zu ihrer Macht.
Den Überreichen hingegen, wie Engelhorn sie und auch sich selbst nennt, stünden alle Möglichkeiten offen. Das zeige sich beispielhaft im Bereich Gesundheit. Zwar könne Geld nicht gesund machen. „Aber Geld kann Gesundheit bezahlen“, sagt Engelhorn. „Menschen mit mehr Geld werden besser behandelt, haben einen privilegierten Zugang zur Versorgung und leben länger.“ Privatversicherungen, Selbstzahlung, schnelle Therapietermine – alles kein Problem, solange die finanziellen Mittel stimmen.
Überreiche leben in Parallelgesellschaft – aber sie sind „in absoluter Abhängigkeit des öffentlich finanzierten Systems“
Sehr vermögende Menschen würden als „selbsternannte Elite“ in einer Parallelgesellschaft leben. Die Nabelschnur zum öffentlichen System könnten sie trotzdem nicht trennen. Ein Beispiel: Für ihre fahrenden Luxusgüter wie SUVs und Privatflugzeuge seien sie auf die öffentliche Infrastruktur angewiesen. „Reiche sind in absoluter Abhängigkeit des öffentlich finanzierten Systems, aber sie leugnen es“, sagt Engelhorn.
Steuerlich hätten sie damit ohnehin kaum Berührungspunkte. Immerhin setzte die Regierung um den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) 1996 die Vermögenssteuer aus. Außerdem sind die Ausnahmen bei der Erbschaft- und Schenkungssteuer laut Subventionsbericht der Bundesregierung die größten Steuersubventionen hierzulande. Sie kosten die Bürger jährlich rund 4,4 Milliarden Euro.
Engelhorn, die ihr Millionenerbe ebenfalls nicht versteuern musste, kann das nicht nachvollziehen: „Steuern sind die Maßnahme gegen Ungleichheit schlechthin, wieso nur gibt es bei Überreichen andauernd Ausnahmen?“ Dass mit den Überreichen überhaupt über eine Vermögenssteuer diskutiert werde, sei ihr ein Rätsel. Die Mehrheit der Menschen werde auch nicht gefragt, ob sie Einkommenssteuer zahlen wolle. „Das Privileg, sich die Besteuerung aussuchen zu können, haben nur Vermögende“, sagt die Erbin.
Sie persönlich wolle nun aus der „feudalen Suppe“ herauskommen und zu den Steuerzahlern gehören – jenen Menschen, „die dafür sorgen, dass der Laden läuft“. Ihrer Verbrüderung mit dem Fiskus blickt sie positiv entgegen. „Und ich freue mich darauf, bald Einkommenssteuer zu zahlen.“