Stil

Helmut Doldes Weg zum Erfolg | ABC-Z

Linsenhofen ist ein Ort, der zur Gemeinde Frickenhausen gehört, die wiederum Teil des Kreises Esslingen ist. Metropolregion Stuttgart also. Und doch wähnt man sich südlich des Neckars eher in einer Heimatfilmkulisse. Die Ausläufer der Schwäbischen Alb sind hügelig und beherbergen neben Dörfern und Städtchen auch Wälder, Streuobstwiesen und eben Weinberge. Alles ist bunt vermischt und mehr seelenerhebend als rational aufgeräumt.

Irgendwo hier an einem Gymnasium lehrte Helmut Dolde bis vor einigen Jahren Biologie und Chemie. Nachmittags aber machte er Wein. Nicht wie ein Hobbywinzer, sondern mit Ehrgeiz und der Trial-and-Error-Methode. Gelehrt hat ihn die Kunst des Weinmachens niemand außer der Natur, seinem Verstand und schwäbischem Tüftlertum. Heute, mit 72, ist Dolde nur noch Winzer.

Doldes mit Silvaner, Weiß- und Spätburgunder sowie Riesling bestockte Rebgärten liegen in Linsenhofen und Neuffen auf braunen und weißen Kalkböden des Jura-Zeitalters. Diese wurden durch Heerscharen von Dinosauriern weit mehr verdichtet als durch moderne Landwirtschaft, die hier bis heute ohnehin nicht hergefunden hat. Die pittoreske Landschaft ist Idyll geblieben und die Landwirtschaft – Feld-, Obst- und Weinbau – mehr Liebhaberei als big business.

Seine Trauben wachsen auf bis zu 520 Metern Höhe

Wobei es die Weine von Helmut und Hedwig Dolde auch in New York zu trinken gibt. Dort schätzt man sie der Eigenschaften wegen, die Dolde erst mal finden, verstehen und in seinen Weinen herausarbeiten musste. Da sie auf bis zu 520 Meter Höhe wachsen und der erste Schnee für üblich fiel, sobald die letzten Trauben geerntet waren, bestand für Dolde die höchste Kunst zunächst darin, die Beeren überhaupt reif zu bekommen. Denn in den Höhenlagen der Albausläufer endeten die Vegetationszyklen nicht nur relativ früh; sie begannen auch spät. Doch genau darin bestand für Dolde der Reiz, als er 1982 mit 300 Litern Wein damit begann, den Charakter seiner Albweine in diesem kurzen Zeitfenster auszuloten. Als ich ihn 23 Jahrgänge später erstmalig traf, 2005, hatte er es bereits zu einiger Meisterschaft gebracht. Seine Weine waren schlank, frisch und weißfruchtig, moderat im Alkohol, frisch, aber nicht sauer in der Säure und mit aromatischer Tiefe und nachhaltiger Struktur für ein längeres Leben ausgestattet. Zudem zeigten sie jene Kalkfinesse und jugendliche Frucht, die sie bis heute einzigartig macht, obwohl sich das Klima mittlerweile deutlich sanfter gibt als noch in den 1980er-Jahren.

Hedwig und Helmut Doldeprivat

Gerade sandte Dolde mir seine frisch abgefüllten 2024er. Auch am Albtrauf war der bereits Anfang April ausgetriebene Jahrgang drei Wochen später durch Frost um 80 Prozent dezimiert worden. Da Dolde wohlweislich Frostrouten hatte stehen lassen, konnte er dank des zweiten Austriebs bis zum Herbst den ersten Verlust auf „nur“ 40 bis 50 Prozent reduzieren. Es wuchsen Trauben nach, aber leicht hatten sie es nicht. Der Sommer war feucht, der Herbst wechselhaft, und so kam es zum altbekannten Pokerspiel: durch Abwarten eine doch etwas höhere Reife und tiefere Aromen erzielen oder stattdessen Fäulnis und dadurch doch wieder weniger Ertrag?

Zweifellos Doldes eindrucksvollster Rotwein

Am 6. Oktober war Dolde fertig mit der Lese, früher als gedacht. Seinen Weinen schmeckt man es ab. An die generöse Fülle der 2023er kommen die schlanken, präzisen 2024er nicht heran. Aber sowohl die Rieslinge als auch die Silvaner aus Linsenhofen (Brauner Jura und Vulkanböden) beziehungsweise Neuffen (Weißer Jura) sind auf gleichmäßig hohem Niveau –– und trotz hoher Ernteverluste stabil im Preis (zehn Euro).

Höhepunkt der aktuellen Kollektion sind jedoch zwei Linsenhöfer Spätburgunder Rotweine des so sonnigen wie heißen Jahrgangs 2022. Dessen Erträge waren durch Spätfrost ebenfalls dezimiert worden, bevor die Trauben durch die Sonne verwöhnt wurden. „Fass 1“ stammt von deutschen Klonen, deren Trauben mit 20 Prozent Rappen, also mit Traubengerüst („Stil und Stängel“), vergoren wurden, bevor der junge Wein über anderthalb Jahre in gebrauchten 500-Liter Fässern aus heimischer Eiche ausgebaut wurde. Es ist ein frischer, fili­graner und doch nachhaltiger, würziger und vitaler Rotwein mit guter Länge (15 Euro). Einen Euro mehr kostet der Spätburgunder „Fass 2“. Dieser eindrucksvoll geschmeidige, zugewandte Rotwein basiert auf einer alten, genetisch diversen Stockselektion von französischen, Schweizer und deutschen Reben, die seit 40 Jahren im eisenhaltigen Linsenhöfer Kalkboden wurzeln. Dieser nur in besten Jahren erzeugte Wein ist dunkler, dichter und saftiger, noch moderater im Schwefelgehalt und daher weicher, saftiger und fülliger am Gaumen. Zweifellos Doldes eindrucksvollster Rotwein in 40 Jahren.

Back to top button