Recycling: Es drohen leere Regale – Das große Verpackungs-Risiko im Handel | ABC-Z
Für das Recycling von Verpackungen per Gelbem Sack und gelber Tonne müssen Händler entsprechende Verträge abschließen. 70 Prozent der 7000 größten Anbieter stehen für das kommende Jahr aber noch ohne da. Nun drohen heftige Strafen. Die zuständige Behörde vermutet Kalkül.
Im deutschen Einzelhandel drohen ab Januar vielerorts leere Regale. Denn zahlreiche Hersteller und Händler haben für 2025 noch keinen sogenannten Systembeteiligungsvertrag abgeschlossen, wie die Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister (ZSVR), die für das Recycling zuständige Behörde in Deutschland, meldet.
Liegt ein solcher Kontrakt aber nicht vor, können die Kommunen zusätzlich zu einem Bußgeld oder Eintrag ins Gewerbezentralregister auch ein Vertriebsverbot für die Produkte des jeweiligen Unternehmens verhängen.
Betroffen sind sämtliche Anbieter, die Waren produzieren, verpacken oder verpacken lassen und erstmals in Verkehr bringen, seien es Lebensmittel, Elektrogeräte, Werkzeug und Spielwaren oder Schuhe, Drogerieprodukte und Accessoires. Bis zum 31. Dezember müssen sie für das Folgejahr einen Lizenzierungsvertrag mit einem der zehn dualen Systeme nachweisen, die das Recycling mit gelber Tonne und Gelbem Sack organisieren. Noch dazu müssen die zu erwartenden Verpackungsmengen in das sogenannte Lucid-Register der ZSVR eingetragen werden.
In diesem Register sind bereits rund 1,2 Millionen Unternehmen aus dem In- und Ausland aufgelistet, seien es Produzenten, stationäre Händler oder Onlineversender. Die 7000 größten Anbieter davon stehen für fast 90 Prozent des Verpackungsvolumens in Deutschland. Und davon haben über 70 Prozent noch keinen Vertrag für 2025 nachgewiesen.
Namen will die ZSVR nicht nennen. „Dass es sich dabei um große und bekannte Unternehmen handelt, liegt aber auf der Hand“, sagt Behördenchefin Gunda Rachut. Im WELT-Gespräch warnt sie nun alle Betroffenen: „Das ist kein Kavaliersdelikt, diese Verpackungen sind nicht mehr verkehrsfähig.“
Und die Vollzugsbehörden von Städten und Gemeinden sind alarmiert, zumal sie mittlerweile deutlich besser und schneller informiert sind als in der Vergangenheit. „Was früher händisch aufbereitet werden musste, erledigt jetzt die Technik“, begründet Rachut. „Wir haben ein System aufgebaut, das die Verstöße automatisiert an die rund 430 Vollzugsbehörden übermittelt. Die müssen dann nur noch Bußgeldbescheide verschicken und betroffene Ware festsetzen oder aus Lagern räumen lassen.“
Und die ZSVR habe einen sehr genauen Überblick über alle fehlenden Mengen. „Die Zeit drängt“, sagt Rachut mit Verweis auf leere kommunale Kassen und eine damit möglicherweise erhöhte Motivation bei Städten und Gemeinden, den Vollzug zu forcieren. „Für den Handel entsteht hier ein Risiko.“
Zwar ist es nicht unüblich, dass Anfang Dezember noch reichlich Meldungen fehlen. Entsprechende Verhandlungen über Leistungen und Preise zwischen den nach dem Verpackungsgesetz systembeteiligungspflichtigen Unternehmen und den Dualen Systemen laufen gewöhnlich in den Monaten September, Oktober und November.
„Bis Anfang Dezember haben die meisten Unternehmen dann die Entscheidung getroffen, mit welchem System sie einen Vertrag abschließen“, sagt Jörg Deppmeyer, der Geschäftsführer des wohl bekanntesten Anbieters Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland (DSD). „Da braucht es dann nur noch die Abwicklung der administrativen Vorgänge.“
„Unternehmen spielen auf Zeit“
Doch genau diesen finalen Akt zögern viele Unternehmen nach Beobachtung der ZSVR immer weiter hinaus. Das bestätigt auch der Kölner Systembetreiber Interzero Recycling Alliance. „Die Tendenz der letzten Jahre zeigt schon in Richtung November, Dezember“, sagt Geschäftsführer Michael Bürstner. „Insbesondere in diesem Jahr haben sich die Vertragsabschlüsse nach hinten geschoben.“
Die ZSVR vermutet Kalkül. „Offenbar spekulieren viele Unternehmen noch auf sinkende Preise und spielen deshalb auf Zeit“, sagt Behördenchefin Rachut. Es sei aber nicht egal, ob ein Vertrag im Dezember geschlossen wird oder im Januar, Februar oder März. „Hier geht es nicht um freiwillige Leistungen, sondern um gesetzliche Pflichten.“
Dass der Preis in den Verhandlungen derzeit eine dominante Rolle einnimmt, zeigen die Rückmeldungen der dualen Systeme. Zwar gewinne das Thema Beratung aufgrund der steigenden Anforderungen in den Bereichen Recyclingfähigkeit und Rezyklateinsatz verglichen mit früher zunehmend an Bedeutung, heißt es etwa vom Systembetreiber BellandVision. „Die derzeitige wirtschaftliche Gesamtlage führe aber dazu, dass dem Faktor Preis in diesem Jahr erneut eine hohe Bedeutung bei der Auswahl des Dienstleisters für die Beteiligung am dualen System beigemessen wird“, sagt Geschäftsführerin Diana Uschkoreit.
Interzero-Geschäftsführer Bürstner wird sogar noch deutlicher: „Aktuell achtet die Mehrheit der Hersteller ausschließlich auf den Preis.“ Überraschend ist das nicht. Denn in den vergangenen Jahren ist der Preis für die Systembeteiligung merklich gestiegen. Hintergrund ist zum einen die teils deutliche Anhebung der Recyclingvorgaben.
Für Kunststoffe zum Beispiel hat sich die Quote seit 2018 in zwei Schritten von damals 36 auf heute 63 Prozent erhöht, bei Papier/Pappe/Karton (PPK) wiederum gab es einen Sprung von 70 auf 90 Prozent und bei Aluminium von 60 auf 90 Prozent.
„Dadurch ist der Aufwand für die Sortierung und Verwertung deutlich größer geworden“, erklärt Expertin Rachut. Zudem müsse die notwendige Infrastruktur und Technik stetig ausgebaut werden, ebenso der Brandschutz. Denn die Verbraucher entsorgen häufig Lithium-Akkus in den falschen Tonnen und verursachen damit Brände in den Sortieranlagen.
Zum anderen ersetzen Unternehmen vermehrt gut recyclingfähige Verpackungen durch schlecht verwertbare Verbundverpackungen, vor allem bei Lebensmitteln. Gemeint sind Verpackungen, die nach Papier und Pappe aussehen, im Inneren aber eine meist untrennbar verbundene zusätzliche Barriere- und Schutzfolie aus Kunststoff haben – Milchkartons etwa.
„Sobald eine Kunststoffbeschichtung dazukommt, wird das Recycling begrenzt“, erklärt Rachut. Viele dieser Verpackungen würden vom Verbraucher bereits in die falsche Tonne geworfen und damit in der Müllverbrennung landen. „Das aber begrenzt die Menge der verwertbaren und damit vermarktbaren Rezyklate. Wenn aber die Erlöse für die Recycler sinken, erhöhen sich automatisch die Kosten für die Inverkehrbringer.“
Ebenso sind vielerorts Gelbe Säcke durch gelbe Tonnen ersetzt worden. Das macht es teurer für die Systembetreiber, vor allem aber verschlechtert sich das Recycling. Denn in den Tonnen ist die Fehlwurfquote deutlich höher als in den transparenten Säcken, bei denen sofort sichtbar wird, wenn zusätzlich Restmüll statt wie vorgesehen nur Verpackungen enthalten sind. Und schließlich haben sich die Kosten für Personal, Energie und Logistik in den vergangenen Jahren merklich erhöht.
Mit kurzfristig sinkenden Preisen ist dementsprechend nicht zu rechnen für die systempflichtigen Unternehmen, heißt es aus der Branche.
Fällig werden dem Vernehmen nach aktuell rund 180 Euro pro Tonne Papier/Pappe/Karton, 40 bis 50 Euro pro Tonne Glas und 850 Euro pro Tonne Leichtverpackungen (LVP), womit vorwiegend Kunststoffverpackungen gemeint sind.
Mit diesen Einnahmen bezahlen die dualen Systeme unter anderem die Abfuhrbetriebe, die gelbe Tonne bei den Haushalten leeren, aber auch die Arbeit von Sortieranlagen und Informationskampagnen für die Verbraucher, damit der Hausmüll in der richtigen Tonne landet.
Für den Bürger ist dieses System auf den ersten Blick kostenlos. Denn für gelbe Tonne und Gelben Sack müssen Verbraucher keine Gebühren bezahlen. Mindestens Teile der Lizenzkosten sind aber Bestandteil der Preiskalkulation und werden im Laden auf den Kaufpreis aufgeschlagen. Angesichts der ohnehin schon stark gestiegenen Preise in den vergangenen Jahren scheint das aber nicht mehr so einfach möglich wie noch in der Vergangenheit.
Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie über Recycling und Mittelstandsunternehmen.