Berlin

Rechtsextremistische Anschlagsserie in Neukölln: Ausschuss endet, Forderung nach Aufklärung bleibt | ABC-Z

Rechtsextremistische Anschlagsserie

Neukölln-Ausschuss endet, Forderung nach Aufklärung bleibt


Fr 04.07.25 | 06:24 Uhr | Von Sabine Müller

dpa

Audio: rbb24 Inforadio | 04.07.2025 | Sabine Müller | Bild: dpa

Vor der letzten Zeugenbefragung des Berliner Untersuchungsausschusses zur Anschlagsserie in Neukölln ziehen Betroffene und Aktivisten Bilanz: Was wurde erreicht, was bleibt offen und welche Konsequenzen sind notwendig? Von Sabine Müller

Am Freitagvormittag wird sich noch einmal die kleine Gruppe von Menschen versammeln, die seit drei Jahren regelmäßig zum Abgeordnetenhaus in Berlin kommt – immer dann, wenn der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Neukölln-Komplex tagt, 49 Sitzungen seit Juni 2022. Betroffene und Aktivisten haben die Abgeordneten bei einer kleinen Demo jedes Mal aufgefordert, die Zeugen “richtig zu grillen”. Um mehr zu erfahren über die rechtsextremistische Anschlagsserie von 2009-2021, der mindestens 72 Straftaten zugerechnet werden. Und um mehr zu erfahren über das Handeln oder auch Nicht-Handeln der Sicherheitsbehörden.

Die Abgeordneten befragen am Freitag ein letztes Mal prominente Zeugen, dann ist Schluss und die Arbeit am Abschlussbericht beginnt. Was erwarten Betroffene, Aktivisten und Beobachter jetzt?

Ein Anschlagsopfer ist desillusioniert

Claudia von Gélieu weiß, wie sich Angst anfühlt. 2017 brannte ihr Auto, das direkt an der Hauswand parkte. Zum Glück griff das Feuer nicht über. Es war einer von insgesamt 23 Brandanschlägen in der Neukölln-Serie. Hintergrund der Tat war wohl von Gélieus Engagement gegen Rechtsextremismus. Im Untersuchungsausschuss, für dessen Einsetzung sie gekämpft hatte, war sie die erste Zeugin.

Ihr Urteil zum Ende des Ausschusses fällt hart aus: “Meiner Meinung nach haben die Zeuginnen und Zeugen aus den Sicherheitsbehörden jegliche Aufklärung verhindert und sich selbst als Opfer inszeniert. Das Ganze mit einer Selbstgerechtigkeit”, fügt sie hinzu, “die mir große Sorgen bereitet.”

Erkenntnisse hat sie trotzdem mitgenommen. Etwa durch Aussagen von Verfassungsschützern, wonach Antifa-Gruppen in der Regel mehr über die rechtsextreme Szene wissen als der Geheimdienst. “Und wenn er durch Beobachtungs- oder Abhörmaßnahmen doch mal mehr wusste, dann war es geheim und wurde nicht genutzt, um potenzielle Opfer zu schützen”, kritisiert von Gélieu.

Fehlende Akten und höfliche Abgeordnete

Matthias Müller berät mit seinem Team von der Mobilen Beratungsstelle Rechtsextremismus seit Jahren Betroffene rechter Gewalt. Er sieht im Ausschuss Licht und Schatten. Dass Opfer der rechtsextremen Angriffe ihre Erlebnisse ausführlich schildern konnten, sei gut gewesen. “Sie konnten zeigen, was es heißt, angegriffen zu werden, wie viel Leid es für sie und für Ihre Familien bedeutet, wie stark es ihr Leben beeinträchtigt hat.”

Müller ärgert sich darüber, dass der Ausschuss in seiner Arbeit ausgebremst wurde. Der Einblick in entscheidende Ermittlungsakten sei lange verwehrt worden und als sie endlich kamen, sei viel geschwärzt gewesen. Keine leichte Aufgabe für die Abgeordneten bei der Zeugenbefragung, wenn wichtiges Wissen fehlt.

Helga Seyb, Gründerin einer Opfer-Initiative, fand die Ausschussmitglieder aber insgesamt zu zahm in ihren Fragen. “Das war leider nicht so streng und tiefgehend, wie wir uns das gewünscht hätten.” Gerade zu Beginn des Ausschusses sei sehr höflich gefragt worden. “Zu höflich für das, was an Respektlosigkeiten läuft”, findet Seyb. Mehr als einmal saßen Zeugen mit großen Erinnerungslücken vor dem Ausschuss, die teils deutlich signalisierten, dass sie ihre Vernehmung für unnötig hielten. In Seybs Wahrnehmung verströmten viele Zeugen die Gewissheit, dass ihnen keine Konsequenzen drohen.

CDU und SPD sei es im Neukölln-Ausschuss vor allem um die “Ehrenrettung der Behörden” gegangen, analysiert Sebastian Schneider, der das Gremium für den Blog NSU-Watch beobachtet. Großes Aufklärungsinteresse hat Schneider in den Fragen von Abgeordneten der regierenden schwarz-roten Koalition nicht wahrgenommen. Auffällig war auch, dass sie meist deutlich weniger Fragen hatten als Abgeordnete von Grünen und Linken.

Was kann der Abschlussbericht leisten?

Für Marcus Tervooren von der “Berliner Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten” hat der Ausschuss inhaltlich kaum neue Erkenntnisse gebracht. “Das geht nicht weit über das hinaus, was wir sowieso schon wussten”, findet er, “was von unabhängigen Journalistinnen oder von Antifaschistinnen schon recherchiert wurde.”

Vom Abschlussbericht, der im kommenden Jahr vorliegen soll, versprechen sich Betroffene und Aktivistinnen nicht allzu viel. Anna B., die in der politischen Jugendbildung arbeitet, sagt, Grüne und Linke hätten schon signalisiert, “dass es mit SPD und CDU schwierig wird, wirklich kritische Feststellungen zu treffen”. Helga Seyb etwa würde gerne lesen, dass der Verfassungsschutz “überflüssig” ist und abgeschafft gehört. Das wird allerdings garantiert nicht im Abschlussbericht stehen.

Anschlagsopfer Claudia von Gélieu hofft aber, dass die Probleme und Pannen, die der Ausschuss zu Tage befördert habe, im Bericht klar benannt werden. Zeugenaussagen hatten unter anderem teils unmotivierte Ermittlungen aufgedeckt, außerdem holprige Kommunikation zwischen Behörden und unzureichendes Wissen über rechtsextremistische Strukturen.

Vielleicht, so die Hoffnung der Gruppe, stößt die Veröffentlichung des Abschlussberichts eine neue Debatte über Rechtsextremismus und Neonazi-Gewalt in Berlin an. Das wäre nötig, meint der Blogger Sebastian Schneider. “Gerade wenn man sich die aktuellen Entwicklungen anschaut, mit sehr gewalttätig auftretenden, sehr jungen Neonazis.”

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.07.2025, 7:10 Uhr

Beitrag von Sabine Müller


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