SPD-Manifest zur Außenpolitik: Eine Partei ringt mit dem Frieden | ABC-Z

Nicht lange
her, da war die SPD noch stolz auf das Etikett der Friedenspartei. Traditionell
kämpften Sozialdemokraten gegen Aufrüstung, schon seit über hundert Jahren,
noch im Europawahlkampf 2024 ließ sich Olaf Scholz mit dem Motto
“Frieden” plakatieren. Zuletzt aber schien es, dass Lars Klingbeil,
der neue starke Mann der SPD, seiner Partei all das ausgetrieben hatte. Als
hätte er die große Mehrheit seiner Partei hinter seinem Kurs versammelt, der da
heißt: Mehr Waffen für die Ukraine, höhere Verteidigungsausgaben,
Westbindung und harte Abgrenzung von Russland.
Es war Klingbeil, der als
Parteivorsitzender schon in der Ära Scholz damit begann, die frühere
Russlandnähe seiner Partei diskutieren und aufarbeiten zu lassen, durchaus
selbstkritisch und engagiert. In der Spitze von Partei und Fraktion strebte er
eine Verjüngung an, die auch den Nebeneffekt hatte, dass prominente Befürworter
von Abrüstung und “Dialog” mit Russland wie der frühere Fraktionsvorsitzende
Rolf Mützenich seither an Macht eingebüßt haben. In der neuen Führungsriege der
SPD findet sich heute kaum noch jemand, der sich leidenschaftlich für Abrüstung
und Annäherung an Putins Russland einsetzt.
Doch das scheint sich nun zu rächen,
wie ein Papier deutlich macht, das ZEIT ONLINE vorliegt. Es ist mit “Manifest”
überschrieben – und enthält vieles, wovon sich die SPD-Parteispitze nach Scholz
gerne verabschiedet hätte: Die Forderung nach einer “Zusammenarbeit mit
Russland” und der Wiederaufnahme diplomatischer Kontakte – offenbar trotz
des weiter brutalen Vorgehens Russlands in der Ukraine – sowie die Abkehr von
“einseitigen Schuldzuweisungen”.
Esken und Klingbeil schweigen lieber
Das Papier scheint einen Nerv in der
SPD zu treffen. Binnen weniger Stunden wurde es von mehr als 100
Sozialdemokraten unterzeichnet. Es könnten noch deutlich mehr werden. Zu den Initiatoren gehören neben dem ehemaligen
Fraktionschef Rolf Mützenich auch der Außenpolitiker Ralf Stegner, die energiepolitische
Sprecherin Nina Scheer, der ehemalige Bundesfinanzminister Hans Eichel und der
ehemalige Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans. Wie dessen frühere
Co-Vorsitzende, die scheidende Parteichefin Saskia Esken, dazu steht ist,
unklar. Sie wollte sich – ebenso wie Klingbeil selbst – auf Anfrage von
ZEIT ONLINE nicht äußern.
Vor ihrem Bundesparteitag Ende des
Monats, auf dem unter anderem Bärbel Bas Esken als Vorsitzende ablösen soll,
ringt die SPD also um ihren weiteren Umgang mit Russland. Und das könnte,
argwöhnisch beobachtet von der Union, Schockwellen bis hinein in die noch junge
Bundesregierung auslösen. Schließlich haben sich Unionskanzler Friedrich Merz
und sein Außenminister Joachim Wadephul zuletzt von den US-Amerikanern für
ihren Kurs der Aufrüstung loben lassen.
Dass sich in einer demokratischen
Partei Interessengruppen organisieren, um ihre Anliegen vor Parteitagen zur
Diskussion zu stellen, ist zwar normal. Angesichts der zuletzt demonstrativen
Geschlossenheit der Genossen nach der für sie enttäuschenden Bundestagswahl ist
aber dennoch interessant, dass dieses Thema nun den ersten
größeren Konflikt zur Folge hat. Kein anderes Politikfeld scheint die Partei
derart umzutreiben: nicht die Zugeständnisse an die Union bei der Migration, nicht die
Abkehr vom Achtstundentag, nicht der Abschied vom Bürgergeld.
“Weitere Eskalationsschritte vermeiden”
Nein, es sind die Friedensbewegten in
der SPD, viele Teil der alten “Generation Hofgarten”, die die neue
Parteiführung erstmals wirklich herausfordern. Sie, die teilweise schon unter
Helmut Schmidt gegen Aufrüstung demonstriert haben, zum Beispiel 1980 im Bonner
Hofgarten, halten ihren pazifistischen Ansatz immer noch für richtig. Auch
in Ostdeutschland drängten viele Sozialdemokraten darauf, sich für mehr
Diplomatie und weniger für Aufrüstung einzusetzen, hier haben viele Genossen
auch persönliche Kontakte nach Russland. Nicht von ungefähr hat Brandenburgs
Ministerpräsident Dietmar Woidke seinen Landtagswahlkampf gegen die eigene
Bundesregierung geführt, als er diese aufforderte, im Krieg in der Ukraine zu
vermitteln.
Auch die Bundestagsabgeordnete Nina Scheer, eine der Unterzeichnerinnen, sagt ZEIT ONLINE: “Sicherheit und Friedensfähigkeit
verlangt von uns, mögliche weitere Eskalationsschritte zu vermeiden.”
Dass es mit Putins Russland keine
gemeinsame Sicherheit geben könne, halten die Unterzeichner – laut dem Manifest – für einen “gefährlichen Trugschluss”. Wie eine gemeinsame Friedenspolitik mit
einem Russland aussehen soll, das den Krieg in der Ukraine immer weiter
eskaliert, dazu verliert das Papier kein Wort. Weite Teile des Dokuments
durchzieht stattdessen eher ein Geist der Vergangenheit: Die Autoren berufen
sich auf Willy Brandts Ostpolitik und dessen Zusammendenken von Kooperation und
Abrüstung. “Willy Brandt und andere (…) haben die richtigen Konsequenzen aus
der Kubakrise und der gefährlichen Perspektivlosigkeit dieser Rüstungsspirale
gezogen”, heißt es.
Dass die Zeiten andere geworden sind und in Russland ein Diktator herrscht, der auf die Sprache der Diplomatie
bisher nicht reagiert, dazu schweigt das Papier. Es verliert auch kein Wort zu
den hybriden Angriffen, mit denen Russland etwa durch digitale Trollarmeen auch
in Deutschland versucht, demokratische Politik zu unterwandern. Stattdessen
schlagen die SPD-Autoren als erste Schritte zur Wiederannäherung nun
ausgerechnet eine Zusammenarbeit mit Russland in der “Cybersicherheit” vor.
Hinter alldem steckt auch ein Generationenkonflikt, der sich vor allem
innerhalb der Parteilinken abspielt. Ältere Genossen wie der Abgeordnete
Ralf Stegner haben ihre Kontakte zu Russland nicht aufgegeben. Noch im Mai
reiste Stegner unter anderem gemeinsam mit dem ehemaligen brandenburgischen
Ministerpräsidenten Matthias Platzeck nach Baku, um dort an einer Wiederbelebung des
“Petersburger Dialogs” zu arbeiten. Gesprächspartner waren etwa der Aufsichtsratsvorsitzende von
Gazprom, Viktor Subkow, und der Chef von Putins “Menschenrechtsrat”,
Waleri Fadejew.
Von Klingbeils Leuten blieb diese
Aktion weitgehend unkommentiert – wie nun auch das Manifest. Stegner sagt auf
Anfrage von ZEIT ONLINE, er habe bisher “keine Reaktion” von der
Parteispitze erhalten. Tatsächlich wurde das Manifest bisher vor allem von den
Außenpolitikexperten der SPD-Fraktion kritisiert.