Reaktionen zum Gefangenenaustausch mit Russland: “Ein Deal mit dem Teufel” | ABC-Z
Gefangenenaustausch mit Russland
“Ein Deal mit dem Teufel”
02.08.2024, 01:37 Uhr
Ein verurteilter Mörder wird freigelassen, damit westliche Staatsbürger und russische Kremlgegner der Haft in Russland entkommen. Dass das keine leichte Entscheidung war, ist klar. Doch war es die richtige? Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen.
Russland, Belarus und mehrere westliche Länder haben in einer beispiellosen Aktion unter Beteiligung des türkischen Geheimdienstes MIT insgesamt 26 Gefangene ausgetauscht. Im Gegenzug für die Freilassung politischer Gefangener und Kremlkritiker ließen Deutschland, die USA und Partnerländer einen verurteilten Mörder und unter Spionageverdacht stehende Akteure aus Russland gehen. War das die richtige Entscheidung? Hier scheiden sich die Geister.
Viele Politikerinnen und Politiker im In- und Ausland begrüßten den Gefangenendeal. So sprach EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von einem “Moment großer Freude”. Sie begrüße die “Freilassung unschuldiger Bürger aus der EU und den USA sowie aufrichtiger russischer Demokraten, die in Russland gefangen gehalten wurden”, schrieb sie auf der Plattform X. “Der Kreml tauschte sie gegen verurteilte Kriminelle und Mörder aus. Dies zeigt den krassen Unterschied.” Die Freilassung der Menschen aus russischer Haft sei ein Moment großer Freude für alle, die für ihre Freiheit gekämpft haben.
Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zeigte sich erfreut. “Diese Errungenschaft wurde durch die enge Zusammenarbeit zwischen den Nato-Alliierten möglich”, schrieb er auf der Plattform X. “Das Recht auf friedliche Opposition und die Freiheit der Medien sind für jede funktionierende Gesellschaft von entscheidender Bedeutung.”
Schwierige Abwägungen
Mehrere deutsche Politiker heben aber auch die schwierigen Abwägungen bei dem Deal hervor. Der Austausch werfe “relevante Fragen” auf, schrieb etwa Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz auf der Plattform X. “Den verurteilten Tiergartenmörder seinen Auftraggebern in Russland zu übergeben, ist ohne Zweifel ein schmerzhafter Preis.” Trotzdem überwiege bei ihm “die Freude über die, die jetzt bei uns in Freiheit sind”.
Johann Wadephul, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union, schrieb: “Die Bundesregierung stand beim Gefangenenaustausch vor schwierigen Abwägungen.” Sie habe offenkundig die überragende Bedeutung der Beziehungen zu den USA letztlich als handlungsweisend angesehen. “Das ist nachvollziehbar und verantwortbar.”
Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth schrieb ebenfalls auf X, manchmal müsse man “aus Gründen der Menschlichkeit mit dem Teufel einen Deal machen”. Er freue sich sehr über die Freilassung der politischen Gefangenen, erklärte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags.
Auch die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, Renata Alt von der FDP, äußerte sich erfreut. “Nach Deutschland kommen mutige Oppositionelle & Freiheitskämpfer. Nach Russland fliegen Spione & Mörder. Deutlicher kann der Unterschied unserer Werte nicht sein.”
“Ein Schritt in Richtung Ausweitung der Straflosigkeit”
Gleichzeitig kamen aber auch kritische Stimmen auf. Der CDU-Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter sagte dem Tagesspiegel: “Ich fürchte, dass mit der Freilassung des verurteilten Tiergarten-Mörders ein Präzedenzfall geschaffen wird, der von Russland politisch massiv ausgenutzt werden kann.” Russland sei “ein Terrorstaat, der mittlerweile gezielt versucht, Geiseldiplomatie zu etablieren”. Dies müsse bei allen Möglichkeiten einer Befreiung politischer Gefangener berücksichtigt werden.
Die Angehörigen reagierten nach der Freilassung des sogenannten Tiergarten-Mörders enttäuscht. “Nicht einmal fünf Jahre nach dem Mord” sei der von Kreml-Chef Wladimir “Putin beauftragte Mörder wieder auf freiem Fuß”, erklärten die in Deutschland lebenden Angehörigen des Mordopfers nach Angaben ihrer Anwältin Inga Schulz. Die Freilassung des in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilten Russen Vadim Krasikow sei “eine niederschmetternde Nachricht für uns Angehörige” gewesen”, hieß es weiter. “Einerseits sind wir froh, dass jemandes Leben gerettet wurde. Gleichzeitig sind wir sehr enttäuscht darüber, dass es in der Welt anscheinend kein Gesetz gibt, selbst in Ländern, in denen das Gesetz als oberste Instanz gilt.”
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüßte den Gefangenenaustausch mit Russland zwar, warnte aber vor den Folgen solcher Deals. Putin instrumentalisiere augenscheinlich Recht und Gesetz, um mit politischen Gefangenen als Faustpfand seine Interessen durchzusetzen, sagte der stellvertretende Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, Christian Mihr. “Daher hat der Austausch einen bitteren Beigeschmack. Ein Mörder und andere Verbrecher, die in einem fairen Prozess verurteilt wurden, kommen nun frei im Austausch für Menschen, die nur ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen haben”, so Mihr. Der Gefangenenaustausch sei somit auch “ein Schritt in Richtung Ausweitung der Straflosigkeit”. “Die russische Regierung könnte sich so zu weiteren politischen Verhaftungen und Menschenrechtsverletzungen ermutigt fühlen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen”, hieß es weiter.
Drohung aus Russland
Und auch in Russland scheint nicht jeder vollends erfreut zu sein über den Deal – allerdings aus anderen Gründen. So äußerte sich der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew erzürnt: “Ich würde mir natürlich wünschen, dass diese Verräter Russlands in einem Zuchthaus verrotten oder in einem Gefängnis sterben”, schrieb er auf Telegram zu der Freilassung von Kremlkritikern. “Aber es ist sinnvoller, unsere eigenen Leute herauszuholen, die für das Land, für das Vaterland, für uns alle gearbeitet haben.”
Der heutige Vize-Vorsitzende des russischen Nationalen Sicherheitsrats empfahl den “Verrätern”, sich neue Namen zuzulegen und sich “aktiv im Rahmen des Zeugenschutzprogramms zu tarnen”. Damit deutete er an, dass Moskau die freigelassenen Kremlkritiker im Ausland verfolgen könnte.