Ray Brown Jr. in Bernried: Mehr als nur der „Sohn von“ – Starnberg | ABC-Z
Es ist nicht immer ein Segen, als „Sohn von“ beworben zu werden, auch wenn die Fortsetzung hier „Ella Fitzgerald und Ray Brown“ heißt. Der agile 75-jährige Sohn der Assoluta des Jazzgesangs und des legendären Kontrabassisten Ray Brown hat schließlich als Sänger längst einen eigenen Weg gefunden und eine beachtliche Karriere hinter sich. „Tribute to Ella Fitzgerald“ am Samstag im Sommerkeller Bernried – übrigens eine der attraktivsten Locations für Kultur weit und breit – war deshalb auch alles andere als eine nostalgische Hommage und hätte als solche im Grunde auch gar nicht bemüht werden müssen.
Als der aus dem Schwarzwald stammende Schlagzeuger Michael Porter die Anfrage bekam, eine Begleitband zusammenzustellen, sei ihm der Gedanke gekommen, Beckenbauers Sohn habe auch nur in der dritten Liga gespielt, berichtete er. Zum Glück nahm er dessen ungeachtet Andreas Schmid für den Kontrabass und den offenbar in Bernried aufgewachsenen Pianisten Jan Eschke ins Trio, sonst hätte der charismatische Sänger Ray Brown Jr. seine wunderbar dunkle Soulstimme und seine virtuose Vokalkunst bei Weitem nicht so mitreißend ausschöpfen können.
Große Potenziale also, die ein weit größeres Publikum hätten beglücken können. Nicht dass die stimmungsvolle Club-Atmosphäre von Nachteil gewesen wäre, aber schließlich ging es hier um einen Benefizabend, der möglichst viel in die Kassen spülen sollte. Ray Brown Jr., der offenbar derzeit in der Ukraine lebt, geht auf Tour, um den kriegsbenachteiligten Kindern den Zugang zur Musik zu ermöglichen.
Wer jetzt den Einwand einbringt, die Ukraine habe momentan ganz andere Sorgen, verkennt die therapeutische wie persönlichkeitsbildende Wirkung der musikalischen Früherziehung. Und wer, wenn nicht Ray Brown Jr. wäre prädestinierter für diese Aufgabe, hatte auch er doch das Glück, große Förderer gehabt zu haben.
Als leiblicher Sohn von Ellas geliebter Halbschwester Frances da Silva wurde er sogleich von den 1947 getrauten Jazzstars adoptiert. Doch schon mit vier Jahren war das Familienglück per Scheidung beendet. Als inzwischen Weltstar war auch Ella Fitzgerald viel unterwegs. Dennoch wurde Ray Brown Jr. von ihr und ihren berühmten Freunden wie Nat King Cole, Louis Armstrong oder Frank Sinatra nachhaltig geprägt. Auch sein Adoptivvater behielt ihn als Türöffner weiterhin im Auge.
Natürliche rebellierte der Junior genauso wie jeder andere Teenager: Er sang Rock statt Jazz. Das sollte zwar nicht lange anhalten, fügte aber seiner Gesangskunst eine Nuance hinzu, die auch in Bernried deutlich zum Tragen kam. Dann wechselte Eschke vom Piano- zum Hammondorgel-Register, Schmid groovte dazu pointiert und Porter warf den Power-Motor an. Etwa in Gershwins „Summertime“, das hier zu einer funky Nummer mit fetzigen Soli mutierte. Der „Chu Chu Boogie“ sprang indes auf einen rasenden Schnellzug auf.
Um die Spendenwilligkeit vor dem Heimgang noch einmal anzuregen, sollte mit dem „Stormy Monday Blues“ als zweite Zugabe eine noch härtere Gangart zum Zuge kommen. Aber selbst die frühen Balladen gerieten hier niemals in Gefahr, seichte Betulichkeit aufkommen zu lassen. Etwa „The Nearness of You“, „Autumn Leaves“ oder das berührende „I’m So Lonesome I Could Cry“. Ausdrucksstark und in eine warmtonige Atmosphäre getaucht waren sie durchaus. Doch nicht gerade leise oder geschmeidig, trotz ihrer Melodik.
Ray Brown Jr. nahm stets jede Gelegenheit wahr, das Spektrum seiner Stimmnuancen bis zum virtuosen Scat-Gesang breit aufzustellen und vor allem im Ausdruck dem Text detailliert zu folgen. Diese expressive Art der Interpretationen fand auch in der Band entsprechenden Rückhalt. Vor allem übernahm folgerichtig Eschke hier die Rolle des direkten Partners, an dem sich Brown nicht nur stützen, sondern durchaus auch schon mal reiben konnte.
Der Star der Veranstaltung war durchweg humorvoll aufgelegt
Eschke gehört aber auch zu den ungeheuer virtuosen Gestaltern mit atemberaubender Fingerfertigkeit und spieltechnischer Perfektion, die er hier bisweilen mit wilden Kaskaden demonstrierte. Und war dann doch mal reine Begleitung in lyrischer Manier nötig, dann brillierte er mit komplexer Harmonielehre, die selbst den stimmungsvollsten Momenten noch eine gewisse Schärfe verlieh.
Schmid stützte diese Gangart mit drängendem Walking Bass oder mal behutsamer, mal eher ruppiger Synkopierung, stets jedoch mit sonorem, rundem Klang. Porter sorgte indes mit unermüdlicher Zuverlässigkeit dafür, dass ein gewisser Drive unterschwellig vorantreibt und die in den Balladen eingesetzten Besen die Felle nicht nur zum Schnurren bringen. So blieb der Auftritt des im Übrigen ausgesprochen humorvollen und parodistisch aufgelegten Ray Brown Jr. bis zur letzten Nummer eine packende Sache, bei der die erfrischend mutigen Interpretationen selbst uralte Standards deutlich entstaubten.