Raubtier nach 100 Jahren wieder gesichtet – Experten haben Theorie | ABC-Z
Athen. Griechenlands Tierschützer freuen sich, doch die Bauern sind besorgt. Ein ausgestorben geglaubtes Tier wurde auf der Peloponnes gesichtet.
Erstmals seit fast 100 Jahren sind auf der griechischen Halbinsel Peloponnes wieder Wölfe gesichtet worden. Sogar in der Nähe von Griechenlands Hauptstadt Athen werden die Raubtiere wieder heimisch. Tierschützer freuen sich, Viehhalter sind besorgt.
Seit 1930 galten die Wölfe auf der Halbinsel Peloponnes als ausgestorben. In jenem Jahr wurde zum letzten Mal eines der Tiere gesichtet. Bis zum 18. Oktober dieses Jahres. Da fand ein Hirte aus dem Bergdorf Alagonia 40 tote Ziegen und einen Schäferhund auf der Weide. Der Verdacht fiel auf Wölfe. Alagonia liegt am Westhang des Taigetos, dem mit 2400 Metern höchsten Gebirgszug der Peloponnes. Nachdem die Nachricht von den gerissenen Schafen in den lokalen Medien die Runde gemacht hatte, installierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Umwelt- und Tierschutzorganisation Kallisto im November mehrere Kameras in den Wäldern rund um Alagonia. Nun liegt die Auswertung der Bilder vor. Sie zeigen vier erwachsene und fünf junge Wölfe.
Wölfe auf Peloponnes: Blieben sie unbemerkt?
Damit ist bewiesen: Es gibt wieder – oder immer noch – Wölfe auf der Peloponnes. Die Entdeckung ist bedeutsam. Zwar leben in den Wäldern und Bergen des griechischen Festlandes schätzungsweise 700 bis 800 Wölfe. Doch die Halbinsel Peloponnes ist seit 1893 durch den Kanal von Korinth vom Festland getrennt. Über den Kanal führen eine Autobahn und eine Eisenbahnbrücke. Wissenschaftler halten es aber für unwahrscheinlich, dass die Wölfe auf diesem Weg auf die Peloponnes zurückgekehrt sind. Wahrscheinlich lebten sie dort schon immer in geringer Zahl und daher unbemerkt.
Auch interessant
In früheren Jahrhunderten waren Wölfe in Griechenland weit verbreitet. Daher spielen sie auch in der griechischen Mythologie eine wichtige Rolle. Wölfe stehen für Kraft und Schutz. So soll nach einer Überlieferung eine Wölfin den Kriegsgott Ares gesäugt haben, ähnlich wie in der späteren römischen Mythologie Romulus und Remus. Wölfe verkörpern in den Mythen aber auch Grausamkeit. So verwandelte, der Legende zufolge, Zeus den arkadischen König Lykaon und seine Kinder in Wölfe, nachdem der König dem Göttervater Menschenfleisch serviert hatte.
Im 19. und 20. Jahrhundert waren die Wölfe in Griechenland durch starke Bejagung und Lebensraumverlust stark gefährdet. Seit den 1980er Jahren nimmt ihre Zahl jedoch wieder deutlich zu. Das ist vor allem auf verbesserte Schutzmaßnahmen und die Abwanderung der Bevölkerung vom Land in die Städte zurückzuführen. Der in den letzten Jahren forcierte Autobahnbau in West- und Nordgriechenland stellt jedoch eine neue Bedrohung für die Wölfe dar, weil die Trassen ihre Lebensräume durchschneiden.
Geschichte vom „bösen Wolf“ ist ein Märchen
Heute leben die Tiere vor allem in den Bergen Mittel- und Nordgriechenlands. Aber auch in den Wäldern des Parnitha-Gebirges, nur 30 Kilometer von der Vier-Millionen-Stadt Athen entfernt, wurden 2014 erstmals seit 60 Jahren wieder Wölfe gesichtet. Heute leben dort vier Rudel mit insgesamt 30 bis 40 Tieren, schätzt der auf Wölfe spezialisierte Biologe Giorgos Iliopoulos.
Die Koexistenz mit dem Menschen ist nicht einfach, obwohl Wölfe eher scheu sind und Menschen meiden. Die Geschichte vom „bösen Wolf“ ist ein Märchen. In den vergangenen 40 Jahren wurden in Europa und Nordamerika nur zwei tödliche Angriffe von Wölfen auf Menschen dokumentiert. Naturschützer begrüßen die Rückkehr der Wölfe als wichtigen Beitrag zum ökologischen Gleichgewicht. Sie regulieren die Bestände ihrer Beutetiere und tragen so zur Gesundheit der Wildtierpopulationen bei. Viehhalter sehen in den Wölfen jedoch eine Bedrohung für ihre Herden. Schutzzäune und speziell ausgebildete Herdenschutzhunde können hier Abhilfe schaffen. Organisationen wie Kallisto, aber auch das griechische Umweltministerium, Kommunen und lokale Bürgerinitiativen organisieren Bildungsprogramme und Informationsveranstaltungen, um ein friedliches Zusammenleben von Mensch und Wolf zu gewährleisten.