Rätsenhafte Steinriesen auf der Osterinsel Rapa Nui | ABC-Z

Als der holländische Kapitän Jacob Roggeveen am 6. April 1722, einem Ostersonntag, im Südpazifik auf eine Insel mit ungewöhnlichen Steinfiguren stieß, nannte er sie spontan „Paasch Eyland“ (Osterinsel). Dabei hatte das Eiland, das die Einheimischen Rapa Nui („fernes Land“) nennen, bereits eine eigene faszinierende Geschichte, die wahrscheinlich bis in das achte oder neunte Jahrhundert nach Christus zurückreicht und die bis heute Wissenschaftlern aus aller Welt immer noch Rätsel aufgibt.
So sind die knapp 1000 aus Tuffstein geschaffenen Steinfiguren („Moai“) einmalig auf der Welt und ein Thema permanenter Forschung. Diese tonnenschweren Kolosse wurden teilweise auf zeremoniellen Plattformen, sogenannten „Ahus“, in Reihen von bis zu 15 Statuen aufgestellt. Auch wegen des „Vogelmann-Kults“ und bis heute nicht entzifferter hölzerner Schrifttafeln mit „Rongorongo“-Symbolen gehört die „Isla de Pascua“ – so die spanische Bezeichnung der Insel – sicherlich zu den geheimnisvollsten Zielen der Südsee.
Unser Besuch im Rapa Nui National Park, der seit 1995 zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, fast die gesamte Insel abdeckt und nur mit Führer gestattet ist, beginnt am 324 Meter hohen Vulkan Ranu Kau und der am Kraterrand befindlichen Kultstätte Orongo. „Hier versammelten sich in früheren Jahrhunderten die Bewohner von Rapa Nui einmal im Jahr zum Wettbewerb des ‚Tangata-Manu‘ (Vogelmann-Kult), um den regierenden Häuptling zu bestimmen. Damit wurden die früheren blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Clans beendet“, erfahren wir von unserem Guide Sebastian.
„Je ein Vertreter eines Stammes musste die fast 300 Meter tiefe Klippe hinunter hetzen und dann 1,5 Kilometer auf kleinen Binsenflößen zur vorgelagerten Insel Motu Nui schwimmen, um das erste Ei der dort nistenden Rußseeschwalbe, des heiligen Vogels unserer Insel, zu ergattern und es dann – unversehrt in einem um den Kopf gebundenen Stirnband – dem Clan-Chef oben am Kraterrand in Orongo zu übergeben.“ Der „Streit um das Vogelei“ wurde auch im Film „Rapa Nui“ von Kevin Costner (1993) an Originalschauplätzen spektakulär in Szene gesetzt. „Einen Werbespot wollte auch ein renommierter Hersteller eines Modegetränkes, das angeblich ‚Flügel verleihen‘ soll, 2010 mit einer Getränkedose statt dem Ei drehen, strich aber sehr bald wegen der Schwierigkeit der Aufgabe die Segel“, erfahren wir schmunzelnd von unserem ortsansässigen Führer.
In noch größeres Erstaunen versetzt uns danach der Besuch der „Moai-Werkstatt“ am Fuße des Vulkans Rano Raraku. Hier wurden sage und schreibe 397 Moai, viele davon noch nicht vollständig, aus dem Tuffstein geschlagen. Der größte, noch unvollendete Moai befindet sich noch liegend am Steilhang, misst 21,5 Meter und hätte nach Fertigstellung 82 Tonnen gewogen. Seit Jahren beschäftigt Wissenschaftler auch die Frage nach dem genauen Zweck der steinernen Giganten, die wahrscheinlich zwischen dem elften bis 17. Jahrhundert entstanden. Hauptthese ist, dass sie Stammeshäuptlinge und Ahnen repräsentieren und eine Verbindung zum Jenseits darstellen sollten. Neuere Forschungen lassen aber vermuten, dass sie auch Hinweise auf Trinkwasserquellen gaben, da die Insel wegen der porösen Vulkanböden keine Flüsse oder Bäche hat und Regenwasser schnell versickert.
Auch die Frage, wie die Kolosse vom Steinbruch am Rano Raraku zu ihren heutigen Standorten gekommen sind, bleibt ungelöst. „Denn von ihrer ‚Geburtsstätte‘ bis zu den einzelnen Ahus waren bis zu zwölf Kilometer zurückzulegen“, berichtet uns unsere Führerin Thais. Die wohl berühmteste Sehenswürdigkeit der Insel, der Ahu Tongariki, die größte Moai-Anlage mit 15 aufgereihten Statuen, erwartet uns dann zum Abschluss. Einer dieser illustren Moai hat sogar einen „Pukoa“, quasi einen Hut aus roter Vulkangesteinschlacke, auf. „Diese schöne Kopfbedeckung tragen etwa 55 bis 75 Moa“, erzählt unsere Führerin. Zudem können wir froh sein, die Anlage heute wieder in ihrer vollen Blüte zu bewundern, denn ein schweres Erdbeben in Chile im Jahr 1960, das einen fürchterlichen Tsunami auslöste, hatte den 180 Meter langen Ahu, der größte Moai wiegt immerhin 88 Tonnen, weggefegt. Erst in den 1990er-Jahren konnte der Ahu Tongariki, der zum Sonnenaufgang in seiner vollen Blüte strahlt, mit japanischer Hilfe wieder aufgebaut werden.