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Rätselhafte Sauerstoff-Quelle in der Tiefsee entdeckt – Wissen | ABC-Z

Auf dem Grund des Pazifik hat ein internationales Forschungsteam mit deutscher Beteiligung in rund 4000 Metern Tiefe eine bislang völlig unbekannte Quelle von Sauerstoff entdeckt und auch den mutmaßlichen Mechanismus dahinter entschlüsselt. „Das ist eine sensationelle Beobachtung“, sagt der Tiefseeforscher Felix Janßen vom Alfred-Wegener-Institut (AWI), der nicht an der im Fachjournal Nature Geoscience veröffentlichten Studie beteiligt war. „Das würde alles auf den Kopf stellen, was wir bisher als gegeben angenommen haben.“ 

In der Studie hatte das Forschungsteam um Andrew Sweetman von der Scottish Association for Marine Science (SAMS) die möglichen Auswirkungen von Tiefseebergbau untersucht und dabei Messungen in der sogenannten Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) vorgenommen. Dieses Areal zwischen Mexiko und Hawaii erstreckt sich über mehrere Tausend Kilometer entlang des 10. Grads nördlicher Breite und birgt in der Tiefe wertvolle Rohstoffe – darunter Nickel, Kobalt, Lithium und Kupfer. Solche wertvollen Rohstoffe werden etwa für die Herstellung von Batterien und Handys genutzt. Besonders bekannt sind Manganknollen, die hier massenhaft auf dem schlammigen Meeresboden liegen. 

In dieser Zone dicht am Meeresboden stieß das Team auf ungewöhnliche Sauerstoff-Werte. Lagen die Konzentrationen ansonsten bei 180 Mikromol pro Liter Wasser, so stiegen sie in den abgesenkten Messkammern auf bis zu 800 Mikromol. Das sorgte anfangs für ungläubiges Staunen. „Als wir diese Daten erhielten, dachten wir zunächst, die Sensoren wären fehlerhaft. Jede Studie in der Tiefsee hatte ergeben, dass Sauerstoff dort verbraucht wird, nicht gebildet“, sagt Sweetman. „Wir kalibrierten die Sensoren neu, aber die merkwürdigen Sauerstoff-Werte blieben im Lauf von zehn Jahren bestehen.“ 

„Es scheint, dass wir eine natürliche Geobatterie entdeckt haben.“

Als andere Verfahren die verblüffenden Resultate bestätigten, schaltete das Team den Chemiker Franz Geiger von der Northwestern University im US-Staat Illinois ein. Der gebürtige Berliner hatte 2019 im Fachblatt PNAS berichtet, dass Rost in Verbindung mit Salzwasser Elektrizität erzeugen kann. Ein ähnlicher Prozess, so die Vermutung, könnte an der Sauerstoff-Produktion beteiligt sein.

Bekannt war, dass eine Spannung von 1,5 Volt ausreicht für die sogenannte Meerwasser-Elektrolyse – also die Aufspaltung des Wassers in Wasserstoff und Sauerstoff. In Geigers Labor untersuchte das Team nun vom Meeresboden gesammelte Manganknollen. In Verbindung mit Meerwasser maßen die Forschenden schon an einzelnen Knollen eine Spannung von bis zu 0,95 Volt. Und mehrere Knollen zusammen könnten mehr Spannung erzeugen als für die Elektrolyse erforderlich. „Es scheint, dass wir eine natürliche ’Geobatterie’ entdeckt haben“, sagt Geiger.

„Die Messungen sind sehr belastbar“, sagt Ko-Autor Sebastian Fuchs von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. Man habe verschiedene Verfahren genutzt und die Sauerstoff-Bildung sowohl am Meeresboden als auch im Labor nachgewiesen. Doch noch seien Fragen offen: So könnte etwa das Ablassen und Aufsetzen der Instrumente auf den Meeresboden die Resultate beeinflusst haben – zudem verharrte die Sauerstoffmenge nach der anfangs deutlichen Steigerung auf einem Niveau. „Wir kennen bislang weder das genaue Ausmaß noch den Zeitraum der Sauerstoff-Produktion“, sagt Fuchs. Dafür sei weitere Forschung nötig. Das betont auch der AWI-Experte Janßen: „Wir dürfen nicht anfangen, die nun gemessene Menge hochzuskalieren. Erst einmal muss sich zeigen, ob und wo der neue Prozess eine Rolle spielt.“ Eventuell könne es sich auch um lokale Phänomene handeln. 

Umweltschützer befürchten nicht absehbare Folgen

Dennoch stellt sich die Frage, was die Erkenntnis für den Tiefseebergbau bedeutet. Zwar geht der BGR-Experte Fuchs davon aus, dass Tiefseebergbau nicht unmittelbar bevorsteht, aber Länder wie China und der Pazifik-Inselstaat Nauru seien sehr aktiv: „Tiefseebergbau wird kommen. Wir haben eine sehr Rohstoff-hungrige Gesellschaft.“

Kritiker und Umweltschützer warnen dagegen schon länger, der kommerzielle Abbau von Rohstoffen berge nicht absehbare Gefahren für die dortigen Ökosysteme, die seit vielen Millionen Jahren weitgehend ungestört sind. Die Oberfläche von Manganknollen bietet Organismen wie Schwämmen inmitten des schlammigen Meeresbodens ein festes Substrat, auf dem sie siedeln können. Auch Tiefseekorallen oder Würmer, die Kalkröhren bauen, wachsen auf den Knollen. Dazwischen schweben Seegurken, krabbeln Tiefseekrebse und bis zu 45 Zentimeter große Riesenasseln. Zwar enthält die nährstoffarme Tiefsee wohl nur relativ wenige Individuen, aber dafür eine extreme Artenvielfalt. Erst 2023 hatte ein Forschungsteam im Fachblatt Current Biology geschätzt, dass in der Clarion-Clipperton-Zone 5580 Tierarten leben – 90 Prozent davon seien bislang unbeschrieben.

Wie empfindlich dieses System reagiert, zeigte das deutsche Störungsprojekt Discol (Disturbance and Recolonization) im Peru-Becken im Pazifik. Etwa 650 Kilometer südöstlich der Galápagos-Inseln pflügten Forscher im Jahr 1989 in gut 4100 Metern Tiefe versuchsweise eine Fläche von einem Quadratkilometer um – wie es bei der Ernte der Knollen üblich wäre. Noch 26 Jahre später waren die Spuren des Pflugs am Meeresboden sichtbar. Analysen zeigten, dass sich dort nicht einmal die bakterielle Aktivität erholt hatte.

Die Mahnungen von Umweltgruppen könnten mit der aktuellen Studie eine neue Dimension gewinnen: „Mehrere große Bergbaukonzerne wollen die wertvollen Elemente vom Meeresboden in einer Tiefe von 3000 bis 6000 Metern extrahieren“, sagt der Chemiker Geiger. „Wir müssen überdenken, wie wir diese Materialien abbauen, ohne die Sauerstoff-Quelle für das Leben in der Tiefsee zu dezimieren.“

Für den AWI-Forscher Janßen bleibt nach wie vor die größte Sorge, wie sich Tiefseebergbau auf die Lebensgemeinschaften und die Artenvielfalt in den betroffenen Zonen auswirkt. Der Experte glaubt nicht, dass der nun gefundene Mechanismus – so revolutionär er auch sein mag – das Sauerstoffbudget in der Tiefsee grundlegend verändert. „Aber das ist ein Beispiel dafür, was wir alles noch nicht wissen über diesen Lebensraum. Daher sollten wir vorsichtig sein.“

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