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Rationalität und Glaube: Wie wirklich ist Gott? | ABC-Z

Das Christentum hat es nicht leicht, und Jürgen Habermas hat seinen Anteil daran. Als langjähriges Oberhaupt der Frankfurter Schule hatte der Philosoph mit dafür gesorgt, dass christliches Denken in der Bundesrepublik immer stärker ins Hintertreffen geriet. Der Diskurspapst forderte Theologen nämlich ab, dass sie ihre religiösen Symbole in die säkulare Sprache der diskursiven Vernunft übersetzen müssten, wenn sie sich an gesellschaftlichen Debatten beteiligen.

Mit zunehmendem Alter wird Habermas nun milder. Erste Hinweise dafür lieferte ein Gespräch, das der Philosoph 2004 in der Katholischen Akademie in München mit Joseph Ratzinger führte. Habermas rüstete damals sein Vernunftpostulat ab und gestand zu, dass in öffentlichen Debatten auch religiöse Sprache einen legitimen Platz habe. Vielleicht tat er das aus der Befürchtung, dass seine linksliberale Gesellschaftsidee in Bedrohung gerät, wenn sie sich die Religionen zum Gegner macht, statt sie zu integrieren.

Im Jahr 2019 legte Habermas unter dem Titel „Auch eine Geschichte der Philosophie“ ein Spätwerk vor, das sich dem Verhältnis zwischen Glauben und Wissen in der europäischen Geistesgeschichte widmet. Schon der monumentale Umfang der beiden Bände von insgesamt 1700 Seiten machte klar, dass sich das Thema Religion für Habermas mitnichten erledigt hat. In dem Werk weist Habermas dem religiösen Ritus eine Schlüsselrolle zu.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Vor einigen Wochen hat sich der mittlerweile 96 Jahre alte Philosoph noch einmal geäußert. In einem fünfseitigen „Geburtstagsgruß“ an einen früheren Schüler, den katholischen Religionsphilosophen Thomas Schmidt, lästerte Habermas, dass die christliche Theologie den „dogmatischen Kern einer monotheologischen Erlösungsreligion“ einem beständigen Downgrading ins Ungefähre unterziehe. Besonders nimmt sich Habermas den evangelischen Theologieprofessor Hartmut von Sass zur Brust, der ein Buch mit dem Titel „Atheistisch glauben“ geschrieben hat. Dessen Argument läuft laut Habermas darauf hinaus, dass sich die christliche Hoffnung, nachdem sie vom Glauben nicht mehr über ihre Gegenstände wie die Auferstehung informiert werde, nunmehr mit sich selbst begnügen solle. Also Hoffnung um der Hoffnung willen.

Eine „Theologie oben ohne“?

Habermas hält das allerdings, um es kurz zu machen, schon begriffslogisch für Quatsch. Und er scheint eine solche „Theologie oben ohne“, die „inhaltlich merkwürdig unbestimmt“ bleibe, in gewisser Weise als Selbstverrat des Christentums und der europäischen Metaphysik zu betrachten – so kritisch Habermas beide im Lauf seines Lebens auch betrachtet haben mag und so wenig altersfromm er wirken möchte.

Der Frankfurter Philosoph Jürgen Habermas
Der Frankfurter Philosoph Jürgen Habermasdpa

Mit seiner Beobachtung, dass im gegenwärtigen Christentum manches „inhaltlich merkwürdig unbestimmt“ bleibt, liegt Habermas nicht ganz falsch. Beispiele gibt es zur Genüge, man muss dafür bloß durch Verlautbarungen des deutschen Gremienkatholizismus oder Gremienprotestantismus blättern. Auch Blüten wie die Polyhochzeit in der Berliner Landeskirche, die im Begriffsnebel einer unausgegorenen Segenstheologie gedeihen, fügen sich zur Diagnose, dass das Christentum an gedanklicher Bestimmtheit verloren hat. Diese Bestimmtheit zählte ursprünglich jedoch zu den hervorstechenden Merkmalen dieser Religion. Seine antiken Gegner betrachteten das Christentum deshalb oft gar nicht als Religion, sondern als Philosophie.

Zugleich gibt es aber auch nachvollziehbare Gründe dafür, weshalb die neuzeitliche Theologie immer unbestimmter wirkt, vielleicht sogar wirken muss. Denn betrachtet man die Entwicklung auf einem Zeitstrahl, ruhte das Christentum die längste Zeit seiner Geschichte auf zwei Säulen: dem Offenbarungswissen, das sich aus den biblischen Schriften speist, und der sogenannten natürlichen Theologie, also jenem Wissen über den Schöpfer und die Gesamtheit seiner Schöpfung, zu dem der Mensch auch ohne Rückgriff auf eine Offenbarung gelangen kann. Diese beiden Säulen stützten sich wechselseitig und machten die christliche Religion gesellschaftlich plausibel.

Wegen seiner Kritik nannten sie Kant den „Alleszermalmer“

Dann aber zerbröselte die natürliche Theologie allmählich, weil Forscher von Kopernikus bis Darwin das Bild einer auf den Menschen als ihre Krone ausgerichteten Schöpfung erschütterten. Für die Theologiegeschichte weit bedeutsamer war jedoch Immanuel Kant, der die traditionelle Metaphysik samt ihrer Gottesbeweise einer durchschlagenden Kritik unterzog, weshalb ihm sein Zeitgenosse Moses Mendelsohn den Beinamen eines „Alleszermalmers“ gab. Der Königsberger Philosoph beharrte zwar darauf, dass die Leute aus moralischen Gründen an Gott als „praktisches Postulat der Vernunft“ glauben sollten. Aber die natürliche Gotteserkenntnis hatte nach Kant einen schweren Stand.

Immanuel Kant im Jahr 1790
Immanuel Kant im Jahr 1790Picture Alliance

Die Theologie tat daraufhin, was man von einer akademischen Disziplin erwarten darf: Sie igelte sich nicht ein, sondern erarbeitete mehrere Lösungsoptionen. Besonders produktiv war dabei die protestantische Theologie, die sich in der schwierigen Lage daran erinnern konnte, dass vor Kant auch schon Martin Luther ein Gegner der natürlichen Theologie gewesen war und die Gottesvernünfteleien der mittelalterlichen Philosophie für einen Irrweg hielt.

Die wirkmächtigste entwickelte Friedrich Schleiermacher, der darum auch der „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“ genannt wird. Weil Gott nach Kants Kritik für das menschliche Denken nicht mehr zu greifen war, verlagerte Schleiermacher den Blick auf das menschliche Bewusstsein von Gott, das ja auch nach Kants Kritik einen sinnvollen Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis bilden konnte. Aus Theologie wurde so Religionstheologie.

Schleiermacher ging es dabei nicht um ein „Christentum light“. Ihm bereitete vielmehr die Moralisierung der Religion Sorgen, die gerade bei Kant stark ausgeprägt ist. Religion ist für Schleiermacher aber deutlich mehr als Moral. Sie bilde eine „eigene Provinz“ im menschlichen Gemüt und eine eigene Sphäre in der Kultur, in der es um „seelische Erhebung“ und „Anschauung des Universums“ gehe. Schon diese wolkigen Begriffe legen nahe, dass mit Schleiermacher auch ein großer Schritt in Richtung inhaltlicher Unbestimmtheit getan wurde, wie sie Habermas der heutigen Theologie vorwirft.

Hegel ätzte, am Ende sei „der Hund der beste Christ“

Einen vergleichbaren Vorwurf erhob übrigens ein Zeitgenosse Schleiermachers. Wenn es in der Religion vornehmlich um Gefühle gehe, dann sei am Ende „der Hund der beste Christ“, ätzte der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Anders als Schleiermacher war Hegel nicht bereit, wegen Kant die traditionelle Theologie auf bloße Subjektivität zurückzustutzen. Hegel strebte eine neue Synthese von Theologie und Philosophie an. Diese hatte allerdings für die Theologie einen hohen Preis: Die noch für Schleiermacher unverhandelbare Hierarchie zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen wird bei Hegel am Ende aufgehoben. Gott bildet zuletzt kein Gegenüber mehr. Der Vorwurf, dass von der Religion wenig übrig bleibt, lässt sich somit erst recht gegen Hegel erheben. Und es ist vielleicht kein Zufall, dass einige von Hegel ausgehende Traditionsstränge später in die totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts mit ihren fiesen politischen Theologien mündeten.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel im Jahr 1828
Georg Wilhelm Friedrich Hegel im Jahr 1828picture alliance / Design Pics

Neben Schleiermacher und Hegel gab es eine weitere bedeutende Reaktion auf Kant. Sie lässt sich ursprünglich auf Schelling zurückführen, Hegels einstigen Stubengenossen im Tübinger Stift. Schelling stellte Kants kritische Leistungen nicht in Abrede. Aber er beharrt auf der „Unvordenklichkeit“ des Seins. Anders als bei Kant behalten die Offenbarung und der Mythos eine bleibende Relevanz.

In der Theologie kommt dieser Ansatz erst rund hundert Jahre später voll zur Geltung, als Karl Barth seinen liberalen, meist an Schleiermacher orientierten Kollegen angesichts des Ersten Weltkriegs vorwirft, dass sie nicht nur die Theologie an Kant angepasst hätten, sondern im Laufe der Jahre auch an viele andere Dinge, den grassierenden Nationalismus zum Beispiel oder die blutigen Fleischmühlen des Krieges.

Barth vollzieht deshalb einen scharfen Bruch mit der natürlichen Theologie und setzt nun voll auf die andere Säule: die Offenbarung. Er verkündet diesen Geltungsanspruch sehr offensiv, und seine Theologie klingt beinahe so, als wäre all die Jahrhunderte nichts passiert. Im englischsprachigen Raum wird Barth deshalb der „Neo-Orthodoxie“ zugerechnet. Der Begriff führt insofern in die Irre, als Barth die Erschütterungen durch Kant, Kopernikus & Co genau im Blick hatte. Theologie der Offenbarung bedeutet für ihn keineswegs, dass die Welt buchstäblich in sieben Tagen erschaffen worden ist.

In eine ähnliche Richtung zielte damals auch der Neutestamentler Rudolf Bultmann, der in Auseinandersetzung mit seinem Marburger Kollegen Heidegger die „existentiale Interpretation“ der Bibel entwickelte. Bultmann ging es nicht darum, der Heiligen Schrift ein bestimmtes Wissen über die Welt zu entnehmen. Sondern einzig um das im Neuen Testament festgehaltene Existenzverständnis des Menschen, der aus der Gnade lebt.

Die Prolegomena wurden mit der Zeit immer dicker

Mit Bultmann setzte eine gewisse Liberalisierung ein. Denn Karl Barth mochte mit seinem glänzenden Sprachstil die kritischen Anfragen für einige Jahre aus dem Gesichtskreis gebannt haben. Mit der Zeit krochen die Probleme jedoch wieder zurück ins Blickfeld.

Der Theologe und Kulturphilosoph Ernst Troeltsch
Der Theologe und Kulturphilosoph Ernst TroeltschPicture Alliance

Um das zu erkennen, muss man nur in eine Bibliothek gehen und die ein oder andere Dogmatik zur Hand nehmen. Die Prolegomena, also Erwägungen, die man aus methodischen Gründen dem eigentlichen Lehrinhalt voranstellt, wurden mit der Zeit immer dicker. Bisweilen füllen sie sogar einen eigenen Band. Das ist ein untrügliches Zeichen für den Problemdruck, der in der Moderne auf der Theologie lastet: Bevor sie überhaupt zu ihrem Gegenstand vordringt und mit ihrer eigentlichen Arbeit anfangen kann, muss sie umständlich jede Menge Geröll aus dem Weg schaffen, das ihr von anderen Wissenschaften vor die Tür gekippt wurde. Auch daraus mag sich der Eindruck einer mangelnden inhaltlichen Bestimmtheit ergeben.

Aber liegt darin nicht die Aufgabe einer akademischen Theologie? Dass sie das Christentum, das nach wie vor zu den prägenden Kulturgrößen in der Welt zählt, so durchdenkt, dass diese Religion nicht in einen offenen Widerspruch zu den anderen Bereichen der modernen Gesellschaft gerät? Der Theologe und Kulturphilosoph Ernst Troeltsch hat dieses Anliegen auf den Begriff der „Zusammenbestehbarkeit“ von Religion und Moderne gebracht.

Warf Troeltsch sich der Moderne voreilig in den Arm?

Karl Barth sah in Troeltsch das wohl krasseste Beispiel für eine Theologie, die sich voreilig dem zersetzenden Denken der Moderne in den Arm wirft. Aber stimmt das? Der Münchener Theologiehistoriker Friedrich Wilhelm Graf hat vor wenigen Jahren eine dicke Troeltsch-Biographie vorgelegt. Aus ihr geht nicht nur hervor, dass Troeltsch weit über die Grenzen seines Fachs hinaus ernst genommen wurde. Interessant ist auch, dass Troeltsch zeitlebens von einer außergewöhnlich ernsten und tief sitzenden Frömmigkeit durchdrungen war, die bei ihm womöglich auch das treibende Motiv hinter dem Ziel einer „Zusammenbestehbarkeit“ gebildet hat.

Porträt von Immanuel Kant aus dem Jahr 1768
Porträt von Immanuel Kant aus dem Jahr 1768Picture Alliance

Dieser Befund lässt sich generalisieren. Es gibt zwar Theologen, die beim Bier irgendwann erzählen, dass sie überzeugte Hegelianer seien, mit allen Konsequenzen, die das für den Gottesbegriff hat. Das ist aber eher die Ausnahme. Die Regel ist eher das Gegenteil: dass sich kritische Theologie und persönliche Frömmigkeit gegenseitig keinen Abbruch tun.

Die von Habermas beklagte Unbestimmtheit wäre dann die Folge eines ernsthaften Strebens, den christlichen Glauben auf eine Weise darzubieten, dass ihn auch kritische Geister nicht einfach für überholt halten. Auch die Hoffnungstheologie von Hartmut von Sass ist ein solcher Versuch. Die berechtigte Frage lautet allerdings, ob der Preis, der dafür stellenweise gezahlt wird, nicht zu hoch ist. Zumal die Philosophie in ihrer postmetaphysischen Epoche nach Kant auch selbst in eine tiefe Legitimationskrise gerutscht ist.

Ulrich Barth, einer der scharfsinnigsten Theologen der Gegenwart, meint, dass es heute bei der Frage, ob Religion vernünftig ist, weniger um die Rationalität des Gottesgedankens gehe. Wichtiger ist, dass religiöses Leben und Handeln in der Gesellschaft nachvollziehbar wirkt. Die Aufgabe der Theologie sei es, dafür „nachvollziehbare Verstehens­ebenen bereitzustellen“. Das ist aber etwas anderes, als sich in Prolegomena zu erschöpfen oder die Theologie auf ein stetig enger geschnürtes, rational vertretbares Minimum einzukürzen.

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