Radltour zu Museen im Voralpenland: Auf den Spuren des Blauen Reiter – Bayern | ABC-Z

Wie bloß hätte sich diese Liebesgeschichte entwickelt, wenn Gabriele Münter nicht so eine begeisterte Radlerin gewesen wäre? Als Wassily Kandinsky im Sommer 1902 mit seiner Malklasse zum Landschaftsmalen in Kochel weilte, war sie die einzige Kursteilnehmerin, die, wie ihr Lehrer, über ein eigenes Fahrrad verfügte. Ideal für gemeinsame Malausflüge ins Loisach-Kochelsee-Moor, bei denen sich das Paar erstmals näherkam.
Kandinsky nutzte sein Gefährt ansonsten überwiegend dazu, um seine in der Landschaft verstreut sitzenden Schüler zur Korrektur aufzusuchen. Eine Trillerpfeife kündete den Eleven die baldige Ankunft des Lehrers an. Die brauchen Radfahrer heute natürlich nicht mehr, wenn sie den Mitgliedern der Künstlervereinigung Blauer Reiter und anderen Expressionisten im Blauen Land nachspüren. Seit 2012 gibt es die „Museenlandschaft Expressionismus“, ein Netzwerk aus fünf Museen, das sich, unterstützt von den Touristikern der jeweiligen Orte, intensiv um Kulturtouristen bemüht. Inzwischen bietet die Initiative eine Fülle von Angeboten, gerade für diejenigen, die sich das Blaue Land radelnd erschließen und Kunst- und Naturgenuss verbinden wollen.
Wie intensiv, ob in kultureller oder sportlicher Hinsicht, das Erlebnis sein soll, kann jeder selbst bestimmen. Natürlich ist eine mehrtägige Etappen-Tour mit Übernachtungen genauso möglich wie die Verbindung von zwei oder drei Museen zu einer Tagestour. Die Internetseite des Netzwerks (https://www.museenlandschaft-expressionismus.de/infos/#info03) hält jede Menge Tourenvorschläge parat. Was sich auf jeden Fall lohnt, ist die Museenkarte Expressionismus. Mit ihr wird nur im ersten Museum der reguläre Preis fällig; in den vier anderen zahlt man ermäßigten Eintritt.
Start im Lenbachhaus München
Ein klassischer Startpunkt für eine mehrtägige Tour ist das Münchner Lenbachhaus, ideal geeignet, um in die Geschichte des Blauen Reiters einzusteigen. Schließlich besitzt das Museum hauptsächlich wegen der großzügigen Stiftung Gabriele Münters im Jahr 1957 heute die weltgrößte Sammlung der Künstlervereinigung. Deren Mitglieder waren sich übrigens von Anfang an einig über die Notwendigkeit einer neuen Sprache in der Kunst. Die Entwicklung derselben steht im Fokus der aktuellen Sammlungspräsentation, die auch die Wurzeln des Blauen Reiter berücksichtigt. Manche der Mitglieder – jedenfalls diejenigen, die sich zu Studienzwecken in Frankreich aufgehalten hatten – waren auch von der farbgewaltigen Handschrift der Fauves beeindruckt. Ein Mitglied der „Wilden“, denen auch Henri Matisse angehörte, stellt gerade eine weitere Ausstellung vor: Auguste Herbin, Kommunist und Pionier der abstrakten Kunst, der an eine Kunst für alle glaubte.
Der Blaue Reiter. Eine neue Sprache, bis Winter 2025/26; Auguste Herbin, bis 19. Oktober 2025, Lenbachhaus, München
Wer in München losradelt, folgt 61 Kilometer lang dem Verlauf der Kunst- und Kulturschleife der Wasserradlwege Oberbayern. Zunächst führt diese entlang der Isar stadtauswärts Richtung Süden. Bei Grünwald verlässt die Route die Isar, es geht über Gauting entlang der Würm zum Starnberger See. Nach Possenhofen, Feldafing und Tutzing folgt Bernried und damit das Buchheim Museum der Phantasie. Von hier an ist die Radtour auch mit dem Symbol der „Museenlandschaft Expressionismus“ ausgeschildert.
Bernried: Pechstein im Buchheim

Das Buchheim Museum wird zwar gerade erweitert. Doch die Baustelle beeinträchtigt den Kunstgenuss nicht. Im großen Saal wird gerade eine ausgezeichnete Max-Pechstein-Ausstellung geboten. Die groß angelegte Retrospektive zeigt Werke aus mehr als fünf Jahrzehnten. Eine gute Gelegenheit, die Sehnsuchtsorte des „Brücke“-Mitglieds näher kennenzulernen, zumal das Buchheim Museum selbst kaum Gemälde des Malers besitzt. Die Ausstellung ist weitgehend chronologisch aufgebaut, folgt Pechsteins künstlerischer Vision, spürt seiner Suche nach dem Einklang von Menschen und Umwelt nach. Die zeitliche Spanne reicht vom Frühwerk über seine Zeit in der „Brücke“ bis zu seinen Meisterwerken der 1910er- bis frühen 1930er-Jahre und dem Spätwerk nach dem Zweiten Weltkrieg. Sehnsuchtsorte waren übrigens die Südsee, aber auch die heimische Ostseeküste.
Max Pechstein: Vision und Werk, bis 26. Oktober 2025, Buchheim Museum Bernried
Vom Starnberger See führt die 2. Etappe (30 Kilometer) an den Osterseen vorbei durch malerische Filzlandschaften nach Murnau. Dort sollte man natürlich das Schlossmuseum nicht versäumen, aber auch dem Münterhaus an der Kottmüllerallee einen Besuch abstatten.
Murnau: Münterhaus und Schlossmuseum

Münter kaufte die kleine Villa, von den Einheimischen bald „Russenhaus“ genannt, im Jahr 1909. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs hielt sie sich mit Kandinsky oft hier auf, bemalte mit ihm die Möbel nach eigenen Entwürfen. Gemeinsam legten sie auch den Garten an. Das Haus avancierte schnell zu einem bedeutenden Treffpunkt der Avantgarde: Franz und Maria Marc kamen von Sindelsdorf herüber gewandert; Alexej von Jawlensky, Marianne von Werefkin, August Macke und Arnold Schönberg waren ebenfalls regelmäßig zu Gast. Nach der Trennung von Kandinsky hütete Münter im Keller einen unvorstellbaren Schatz an Bildern, rettete neben eigenen Werken auch Arbeiten von Kandinsky und anderer Protagonisten des Blauen Reiter über die Zeit des Nationalsozialismus. Zu ihrem 80. Geburtstag schenkte sie einen Großteil davon dem Lenbachhaus.
Nicht minder sehenswert ist das Schlossmuseum, das eine erlesene Sammlung an Meisterwerken von Kandinsky und Münter aus ihrer Murnauer Zeit bietet. Spannend ist auch die Sonderausstellung, die sich der Malerin Olga Meerson widmet. Auf dem berühmten Foto, das Kandinsky mit Radl und seiner Malgruppe in Kochel zeigt, hält sie gerade das Fahrrad der fotografierenden Münter. Angeblich erfuhr Münter von ihr, der Obmännin der Malklasse, wie sehr sich der verliebte Kandinsky über ihre Anmeldung nach Kochel gefreut hatte. Schon faszinierend, was das Team des Schlossmuseums in einer akribischen Spurensuche alles über die fast vergessene Künstlerin herausgefunden hat, die wie Münter in München als Malschülerin begonnen hatte.
Die Malerin Olga Meerson. Schülerin von Kandinsky, Muse von Matisse, bis 9. November 2025, Schlossmuseum Murnau
Kochel: Franz Marc Museum

Von Murnau aus führt die 3. Etappe (43,2 Kilometer) auf einer großen Schleife rund um das Murnauer Moos, bevor es über Eschenlohe nach Ohlstadt geht. Von dort aus erreicht man auf dem Loisach-Radweg das Franz-Marc-Museum in Kochel am See. Hier bietet die Ausstellung „Die Moderne im Zoo“ erstmalig einen faszinierenden Einblick in die Rolle zoologischer Gärten als Inspirationsquelle für die Kunst.
Mit mehr als 100 Gemälden, Plastiken, Grafiken, Skizzen und Fotografien von Franz Marc, August Gaul, Oskar Kokoschka, Paul Meyerheim, Renée Sintenis, Paul Klee und August Macke zeigt die Schau, wie Zoos zu zentralen Orten künstlerischen Schaffens wurden. Im frühen 20. Jahrhundert waren Zoologische Gärten nicht nur touristische Attraktionen, sondern auch zentrale Orte des städtischen Lebens. Die verschwimmenden Grenzen zwischen Natur und Kultur, Wildnis und Zivilisation zog die Künstler der Moderne an.
Die Moderne im Zoo. Bis 9. November 2025, Franz-Marc-Museum Kochel am See
Von Kochel führt die 4. Etappe (21,4 Kilometer) zunächst über Schlehdorf nach Sindelsdorf. Dort fand die Gruppe, so erzählte es zumindest später Kandinsky, am Kaffeetisch in einer Gartenlaube zu ihrem Namen: „Beide liebten wir Blau. Franz Marc die Pferde, ich die Reiter. So kam der Name von selbst.“ Von 1909 bis 1914 lebten in dem kleinen Dorf nicht nur Franz und Maria Marc, sondern auch die Maler Jean-Bloé Niestlé und von 1911 an auch Heinrich Campendonk.
Penzberg und Campendonk

Im nach ihm benannten Museum in Penzberg, das die weltweit größte Sammlung an Campendonk-Bildern beheimatet, steht der jüngste Blaue Reiter natürlich im Mittelpunkt. Ein besonderer Hingucker ist dort immer wieder seine großformatige Hinterglasmalerei. Spannend auch die Sonderausstellungen, die sich der ganz aktuellen Kunst widmen. Im Augenblick gerade dem Amerikaner Austin Eddy, der in seinem malerischen Werk auf Traditionen der klassischen Moderne zurückgreift und zwischen Figuration und Abstraktion balanciert.
Austin Eddy (*1986): Vogel, Fisch und Form, bis Oktober 2025
Von Penzberg aus führt die Tour auf der 5. Etappe (21 Kilometer) durch das Gebiet der Osterseen, ein nationales Geotop am Südende des Starnberger Sees. Dann geht es zurück an den Starnberger See und über Seeshaupt nach Bernried.
Wer nicht so viel radeln will, kann jeden Ort auch mit der Werdenfelsbahn erreichen – zumindest meistens – und zu Fuß in die Museen spazieren. Es lohnt sich übrigens auch, die Badesachen einzupacken, denn die Seen sind meist nah. Gabriele Münter jedenfalls schwamm in jenem Juli 1902 täglich im Kochelsee, was den wasserscheuen Kandinsky sehr beeindruckte. Umso mehr schwärmte er von da an für sein „Schwimmfüchslein“.