Radfahren mit dem E-Bike auf Mallorca | ABC-Z

Die frische, warme Luft tut gut. Die beeindruckenden Naturaussichten sowie die angenehme Ruhe, die nur vom leisen Surren der Elektromotoren durchbrochen wird, wecken Glücksgefühle. Es ist Frühling auf Mallorca – eine Wohltat für alle Sinne.
Wir sind mit 13 Personen mit dem E-Bike in Mallorcas Osten unterwegs, fernab vom Trubel des Ballermanns, den Touristenströmen der Hauptstadt Palmas und auch von den teils überlaufenen Natur-Hotspots im Westen und Nordwesten der Insel. An unserer Seite ist Frank Mittelbach. Ein wandelndes Lexikon, wenn es um Mallorca geht. Der erfahrene Reiseleiter für Wikinger Reisen mit Sitz in Hagen ist mit seinen Mitte 60 topfit und hat unzählige Hintergrundinformationen zu Historie, Kultur, Flora und Fauna parat. Der studierte Theologe kommt ursprünglich aus Düsseldorf und lebt seit vielen Jahren auf Mallorca. Er hat hier eine Familie gegründet, spricht fließend Katalanisch und kennt die Insel in- und auswendig.
Seine Spezialität sind die Radtouren mit dem E-Bike. Dank ausgeprägter Ortskenntnisse kennt er viele Orte, die nicht zum Standardrepertoire eines Reiseführers zählen und wählt Routen, die oftmals nur die Mallorquiner selbst kennen. Und manchmal noch nicht mal die. Vielfach geht es über urige Naturwege oder Schotterpisten wie beispielsweise die Trasse Via Verde. Die diente früher als Eisenbahnstrecke – und nun naturbegeisterten Radfahrern. Am Wegesrand, sehr häufig durch Steinmäuerchen gesäumt, begegnen uns unzählige malerische Aussichten, faszinierende Gesteinsformationen und imposante Finkas. Und natürlich immer wieder der Fernblick aufs Meer. Nicht satt sehen kann sich das Auge an der ländlichen Idylle, am satten Grün, Schafherden, Weinanbaugebieten, den vielen herrlichen Blüten sowie an den vielen Obstbäumen mit bereits reifen Orangen, Zitronen und Datteln. Es sind Aussichten wie im Bilderbuch.
Doch warum gerade mit dem E-Bike, wo doch Frank Mittelbach – genau wie manch anderer zunächst skeptischer Reiseteilnehmer – topfit ist und eigentlich keine motorisierte Unterstützung notwendig hätte? Ganz einfach: Es ist die Individualität, die das Elektro-Fahrrad mit sich bringt. Wo es in einer Reisegruppe – oder auch im Kreise einer Familie – zuweilen große Leistungsunterschiede in Sachen Fitness und Motivation geben kann, ermöglicht das Elektro-Fahrrad individuelle Einstellungen. So kann jeder die Intensität der Tretunterstützung wählen, sodass untrainierte und sportliche Fahrer harmonisch gemeinsam radeln können. Doch auch das – vor allem im Osten der Insel – stark wechselnde Streckenprofil und die Spontanität, mal schneller fahren und mal mehr von der Natur sehen zu wollen, entscheiden über die Einstellung. Theoretisch ist die Unterstützung des Elektromotors auch komplett auszuschalten, doch ist das wegen des relativ hohen Gewichts der E-Bikes von 25 bis 30 Kilogramm eher nicht zu empfehlen.
„Egal, wie man fährt – man muss sich keine Sorgen machen, dass der Akku nicht ausreicht. Ich habe das jedenfalls in all den Jahren noch nie erlebt“, erklärt Frank Mittelbach und ergänzt, dass bei voller Aufladung trotz höchstem Unterstützungsgrad problemlos 120 Kilometer möglich seien. Je nachdem, welche Tour geplant ist, würde auch die Möglichkeit bestehen, mit dem Bus vorzufahren und sich die Fahrräder auf dem Anhänger dorthin liefern zu lassen. Diese Option zieht der erfahrene Reiseführer dann, wenn ein Tagesziel mehr als 70 Kilometer entfernt ist oder die Räder durch besondere Örtlichkeiten eher störend sind. Die kooperierenden Hotels würden indes allesamt einen Fahrradkeller besitzen, in dem die Räder sicher abgestellt und über Nacht aufgeladen werden können, erklärt Mittelbach.
Maßlos unterschätzt werde nicht nur Mallorcas ruhige Seite im Osten der Insel, sondern auch die Vorzüge der Vorsaison, findet Frank Mittelbach. Dann haben zwar noch nicht so viele Hotels geöffnet oder bieten nur eine abgespeckte Version ihres Services an, doch sei es dafür umso ruhiger. „Mallorca im Winter ist ein Hochgenuss“, wirbt er. Auch dann könne man sich über zweistellige und mit ein bisschen Glück bis zu 15 Grad freuen. Außerdem verteilen sich die jährlich rund 300 Sonnenstunden auf Mallorca längst nicht nur auf die wärmeren Monate. Die relativ milden Temperaturen bringen viele Bäume bereits ab Januar zum Blühen, darunter auch die viel beworbene Mandelblüte. „Viele Reiseanbieter preisen die wegen des anerkannteren Reisezeitpunkts und besserer Hotelkapazitäten für den März an, doch ist sie dann in der Regel längst vorbei“, weiß Mittelbach aus Erfahrung.
Doch zurück in den April: Was sofort bei Ankunft in unserem Hotel Canyamel Park im Städtchen Canyamel auffiel, sind die vielen Rennradfahrer. Unzählige, vor allem männliche, Radgruppen strömten durch die Lobby. Vor dem Hotel aufgestellt ist ein großes Servicezelt, wo den gesamten Tag über Räder repariert oder gewartet werden. Gerade im Frühling und Herbst ist Mallorca durch seine warmen, aber nicht zu heißen Temperaturen, vielen Landstraßen und fantastischen Landschaften ein Hotspot für Rennradfahrer aus ganz Europa, und vor allem aus Deutschland. „Ein Fluch und Segen zugleich für Mallorca“, findet Mittelbach und verweist auf das Problem der verstopften Bergpässe. Wie an der Perlenschnur gezogen würden Radgruppen und -vereine dort hochkraxeln und in Verbindung mit dem Autoverkehr zuweilen für Chaos sorgen. „Die Autos können dort kaum noch überholen und müssen zum Teil mit Tempo 10 dort hochschleichen. Und für die Radfahrer kann es natürlich auch sehr gefährlich werden, wenn auf den engen Straßen doch mal jemand glaubt, überholen zu können“, erklärt unser Tourguide. Umso wichtiger ist es ihm, „seine Touristen“ von diesen Strecken-Hotspots fernzuhalten und ihnen lieber die ruhigen, nur wenig befahrenen Routen zu zeigen. Und diese Strecken sind nicht weniger spektakulär und haben für Auge und Kultursinn nicht weniger zu bieten.
Eine dieser Touren führt uns von Canyamel aus in Richtung nördliches Landesinnere bis nach Capdepera, etwa neun Kilometer entfernt. Gelb-Beige ist – wie überall im beschaulichen Teil der Insel – die vorherrschende Farbe der Natursteingebäude dieses klassisch mallorquinischen Städtchens. Die angenehme Ruhe gefällt auch hier: Es ist nur eine Handvoll Touristen zu sehen, auf einer Bank sitzen vier alte Männer. Sie nicken uns freundlich, aber distanziert zu und auch sie strahlen eine innere Ruhe aus. „Das ist das wahre Mallorca“, sinniert Mittelbach und ergänzt, dass man hier keinen Ballermann und Massentourismus kenne. Dass die meisten Häuser als Schutz gegen den Sonneneinfall die Schlagläden verschlossen oder die Vorhänge zugezogen haben und die Menschen draußen trotz 20 Grad zumeist lange Kleidung tragen, verwundert den Deutschen, ist aber typisch. „Daran erkennt man sofort die Einheimischen“, erklärt unser Guide und ergänzt, dass sich die wahren Mallorquiner bewusst vor der Sonne schützen würden. „Möglichst helle Haut zu haben, ist nach wie vor ein Schönheitsideal. Das rührt noch aus der Zeit der Eroberung durch die Mauren, von denen man sich optisch unbedingt unterscheiden wollte“, verrät der Mallorca-Experte.
Am malerischen Dorfplatz kehren wir ein und werden auch hier mit distanzierter Herzlichkeit vom Wirt begrüßt. Die Reserviertheit verschwindet schlagartig, als Frank Mittelbach in perfektem Katalanisch loslegt und einige Fragen zu Wetter und Wohlbefinden stellt. Es wird sofort mit einer erstaunlichen Vertrautheit miteinander gelacht. Die warme Herzlichkeit ist ansteckend. Natürlich bestellen wir – wie es hier üblich ist – Tapas und kommen so in den Genuss vieler verschiedener regionaler Köstlichkeiten wie Fisch, Meeresfrüchte, Reis, Schafskäse oder Oliven. Doch das eigentliche mallorquinische Nationalgericht ist noch nicht dabei. „Frito mallorquin“, klärt Mittelbach auf, „das besteht aus Lammleber, Kartoffeln, Paprika und Zwiebeln.“ Serviert wird es in einer rustikalen Pfanne und steht schon bald für alle zugänglich auf dem Tisch. Der Tapas-Kultur entsprechend ist es hier selbstverständlich, dass es pro Gericht nur eine Gabel für alle Personen gibt. Andere Länder – andere Sitten. Aber Sitten, die Herzlichkeit großschreiben.
Die Redaktion ist vom Spanischen Fremdenverkehrsamt in Kooperation mit Wikinger Reisen zu dieser Reise eingeladen worden.