Dassault-Chef Trappier: An ihm hängt Europas größtes Rüstungsprojekt | ABC-Z

Wenn Éric Trappier spricht, schwankt der Saal. Der Chef des französischen Flugzeugbauers Dassault Aviation pflegt zu Pressekonferenzen auf ein Boot einzuladen. Le Talisman ankert vor dem Konzernsitz in Saint-Cloud westlich von Paris und bewegt sich synchron zum Wellengang auf der Seine. Manchem Konferenzteilnehmer wurde davon schon flau im Magen. Böse Zungen sagen, das sei so gewollt. Sie unterstellen Trappier „psychologische Kriegsführung“.
Die Szenerie passt zu Dassault. Das Unternehmen ist in Frankreich für seine Eigenheiten bekannt. Zu Beginn der Pressekonferenzen läuft stets ein minutenlanger Werbefilm vom Band, der von der Machart her einer Doku aus den Achtzigern ähnelt. Danach ergreift Trappier das Wort. Das tut er sonst nicht oft in der Öffentlichkeit. Mit wenigen Ausnahmen wie Parlamentsanhörungen oder der heimischen Luftfahrtmesse in Le Bourget ist das Dassault-Management ein verschwiegener Haufen.
Gesprächsangebote, auch eines der F.A.S., schlägt Trappier seit Jahren konsequent aus. Wenn er Interviews gibt, dann in aller Regel seinem Haus- und Hofmedium „Le Figaro“. Frankreichs einflussreichste konservative Zeitung ist ebenso wie Weingüter, Kunst und Immobilien im Besitz der Familie Dassault. Deren Vermögen wird auf mehr als 35 Milliarden Euro geschätzt. Und ihre Industrieholding hält rund zwei Drittel der Kapitalanteile an Dassault Aviation, das wiederum Großaktionär des Rüstungskonzerns Thales ist.
Das Imperium der Familie Dassault
Trappier, Jahrgang 1960 und seit bald 13 Jahren an der Spitze des Unternehmens, ist kein Familienmitglied. Doch sein Habitus passt nur zu gut zur Unternehmenskultur. Dassault stellt neben den luxuriösen Falcon-Geschäftsjets vor allem Kampfjets mit klingenden Namen wie Ouragan, Mystère, Étendard, Super-Étendard, Mirage und heute Rafale her. Damit verkörpert das Unternehmen den französischen Stolz auf das eigene, von Amerika unabhängige Savoir-faire im Flugzeugbau.
Dazu muss man wissen: Die Luft- und Raumfahrtindustrie genießt auf der anderen Rheinseite ein besonders hohes Ansehen. Was den Deutschen ihre Autos und Maschinen, das sind den Franzosen in gewisser Hinsicht ihre Kampfjets und Raketen. Der Dassault-Chef ist in Frankreich also nicht irgendein Industrieller und aus eigener Sicht auch nicht irgendein Flugzeugbauer. „Wir glauben, dass wir zu den Besten der Welt gehören, wenn nicht sogar die Besten sind“, sagte Trappier einmal über seine Ingenieure.
Mit diesem Selbstverständnis hält man bei Dassault nicht hinterm Berg. Wer das Unternehmen ein bisschen kennt, musste deshalb um die Explosivität der politisch angeordneten Zusammenarbeit mit den Deutschen im Kampfflugzeugprojekt FCAS wissen, dessen Hauptauftragnehmer neben Dassault die in Bayern sitzende Airbus-Rüstungssparte und Indra aus Spanien sind. Immer wieder ist Trappier in den vergangenen Jahren mit seinen Partnern aneinandergeraten.
Die Gesamtkosten von FCAS werden auf rund 100 Milliarden Euro geschätzt. Es ist Europas bislang größtes Rüstungsprojekt und sieht die Entwicklung eines Systems aus Kampfjets, Drohnenschwärmen und digitalen Gefechtswolken vor. Auch bei Dassault weiß man, dass der französische Staat solche kolossalen Summen allein eigentlich nicht aufbringen kann. Wohl oder übel muss ein neues Kampfflugzeug also in Partnerschaft entstehen. Doch die Vorstellungen darüber, wie diese ausgestaltet und gelebt wird, sind zwischen Franzosen, Deutschen und Spaniern alles andere als deckungsgleich. Das hat FCAS in eine Sackgasse geführt.
Rüstungsprojekt in der Sackgasse
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) haben eine Klärung bis Jahresende angekündigt. Projektbeteiligte nennen die Differenzen nur noch schwer überwindbar und die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns sehr hoch. In Berlin kursieren Berichte, wie Dassault Einblicke in Projektinterna verweigert, seine Leute jäh aus Sitzungen abgezogen und Vereinbarungen gebrochen habe. Das Alternativszenario einer deutsch-schwedischen Kampfjetkooperation wird immer wahrscheinlicher.
Die Verantwortung dafür sehen in der deutschen Politik und Industrie die meisten klar bei Éric Trappier. Bei der Kampfflugzeugentwicklung, dem Herzstück von FCAS, habe man die Führungsrolle von Dassault ja anerkannt, heiß es – aber nur unter der Bedingung, dass die Franzosen die Deutschen als Partner auf Augenhöhe behandelten. Es brauche Mitspracherechte und adäquate Arbeitsanteile. Eine souveräne Kernkompetenz wie den Kampfflugzeugbau könne man nicht vollständig in ausländische Hände geben, und seien es auch französische. Zumal die Wahrscheinlichkeit eher steigt als sinkt, dass bald Marine Le Pen oder ein anderer Rechtspopulist mit antideutscher Programmatik in den Élysée-Palast einzieht.
Für Trappier drohen dagegen zu viele Köche den Brei zu verderben. „Es braucht eine echte Führung“, mahnte der Franzose auf der jüngsten Bootskonferenz. Das sei nötig, um FCAS effizient und zeitgerecht voranzubringen. Da dürfe es keine ständigen Kompromisse geben. In zentralen Fragen wie der Aerodynamik oder Tarnkappentechnik müsse ein „Architekt“ Entscheidungen treffen können. Dieser müsse seine Zulieferer auswählen und diejenigen, die ihre Arbeit nicht gut machen, austauschen können. „So läuft das in einem Industrieprojekt, egal in welchem Bereich“, sagte Trappier. Immer wieder stichelte er öffentlich gegen die Partner.

Es wäre nicht das erste Mal, dass eine deutsch-französische Rüstungskooperation scheitert. Zwar ist die Bilanz der vergangenen Jahrzehnte besser als ihr Ruf. Mit dem Transportflugzeug Transall, der Panzerabwehrrakete HOT und dem Tiger-Kampfhubschrauber gibt es Projekte, bei denen sich die Parteien nicht überworfen haben. Mit dem Alpha Jet hat in den Siebzigerjahren selbst Dassault ein leichtes Kampfflugzeug gemeinsam mit Dornier (heute Airbus) entwickelt. Der Alpha Jet gelang aus Sicht von Fachleuten aber nur, weil die Franzosen den Hut aufhatten, wie es Trappier heute für den FCAS-Kampfjet fordert.
Und gerade das Kampfjetkapitel ist seit den Achtzigerjahren eher ein schwieriges. Damals starteten Deutsche und Franzosen gemeinsam mit Briten, Spaniern und Italienern ein Programm, aus dem der Eurofighter hervorging. Weil aber Dassault auf der Systemführerschaft beharrte, beschritten die Franzosen eigene Wege. In Eigenregie entwickelten sie die Rafale, die seither mit dem Eurofighter konkurriert, den Airbus mitbaut.
Für den Bruch damals spielten wie für die Differenzen heute unterschiedliche Anforderungen eine Rolle: Frankreich bevorzugt im Gegensatz zu Deutschland kleinere, leichtere Kampfflugzeuge, die atomwaffenfähig sind und auf Flugzeugträgern starten und landen können. Hinzu kommt das Reizthema Rüstungsexport, den Deutschland aus französischer Sicht zu restriktiv handhabt.
Und als wären das nicht schon Hürden genug, kommt auch noch historischer Ballast aus der NS-Zeit dazu. Der Jude Marcel Bloch, der Dassault 1929 gegründet hat, verweigerte die Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzern und französischen Kollaborateuren, wurde verfolgt, mehrfach inhaftiert und 1944 ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert – das er überlebte. Vorbehalte gegenüber Deutschland liegen dadurch in der DNA des Unternehmens, sagen Kenner. Schon die Umbenennung der Firma in Dassault nach dem Krieg weist darauf hin. Der Name ist eine Ableitung von „Chardasso“, dem Decknamen, den Marcel Blochs Bruder General Darius Paul Bloch im französischen Widerstand trug.
Die Last der Geschichte und die Tücken des Temperaments
Trappier weiß um die Historie. Er mag das Golfen und Segeln, ist aber auch ein bekennender Geschichtsfan. Als ein Mann, den das Begleichen alter Rechnungen antreibt, gilt er gleichwohl nicht. Im Gegenteil, sein Naturell ist eher das eines Vertrieblers als das eines Theoretikers. Er verfügt über eine schnelle Auffassungsgabe und ist im direkten Gespräch durchaus umgänglich. Aufgewachsen ist Trappier in einem Pariser Vorort in eher bescheidenen Verhältnissen. Seine Mutter war Lehrerin, sein Vater Handelsvertreter für Air France.
Seinen Geschäftssinn stellte Trappier früh unter Beweis. Gleich nach seinem Wehrdienst bei der Marine und seinem Ingenieurstudium mit einem Abschluss in der Telekommunikationstechnik heuerte er bei Dassault an. Schnell kletterte er die Karriereleiter empor. Er gewann das Vertrauen der Eigentümerfamilie und wurde 2013 Konzernchef.
Der Aufstieg zu Frankreichs wohl mächtigstem Rüstungsboss erfolgte aber erst in jüngster Vergangenheit. Beim FCAS-Startschuss 2017 begann der Rafale-Kampfjet gerade erst, sich zu einem Exportschlager zu entwickeln. Damals hatte Dassault Aufträge im Wert von knapp 20 Milliarden Euro in seinen Büchern stehen. Heute sind es 48 Milliarden Euro. Eine Bestellung über 80 Rafale aus den Vereinigten Arabischen Emiraten vor drei Jahren gilt im Nachhinein als „Gamechanger“. Sie wird als endgültiger Beleg dafür gewertet, dass Frankreich keine deutsche Hilfe braucht, um einen Kampfjet von Weltrang zu bauen.
Selbstbewusst bis zur Provokation
Trappiers Brust ist durch Großaufträge wie diese merklich breiter geworden. Mehr als 500 Rafale hat Dassault inzwischen verkauft, davon rund 60 Prozent ins Ausland. Es wird spekuliert, dass allein Indien noch einmal 114 Maschinen bestellen will. Operativ ist Trappier im Dassault-Imperium heute die unangefochtene Nummer eins, Anfang des Jahres hat ihm die Familie auch die Leitung der Holding anvertraut. Seit 2021 ist er zudem Präsident des französischen Metallarbeitgeberverbands.
Diese Machtfülle ist spürbar, nicht nur in den Verhandlungen mit Airbus. Denn so sehr sich Trappiers öffentliche Attacken vornehmlich gegen die Deutschen richten: Gegen FCAS zu wettern, ist auch eine Provokation an die Adresse von Präsident Macron. Er hat das Projekt maßgeblich aus der Taufe gehoben – aus der Überzeugung, dass Berlin und Paris im Zeitalter von Trump gemeinsam Waffensysteme entwickeln müssen.
Doch Macrons Stern sinkt schon lange. Die Regierungschefs von seinen Gnaden kommen und stürzen, in einer neuen Umfrage sprechen nur noch elf Prozent der Franzosen ihrem Präsidenten das Vertrauen aus. Dagegen ist der Aufwärtstrend der Rechtspopulisten ungebrochen. Auch im französischen Militärapparat haben Kräfte Oberwasser, die die Kampfjetkooperation mit den Deutschen schon immer skeptisch beäugt haben und dem Nachbarn vorwerfen, sich gar nicht ernsthaft von den USA unabhängig machen zu wollen. Beleg dafür sei die Bestellung amerikanischer F-35-Flugzeuge. Trappier sehen die Souveränisten als aufrechten Patrioten und Verteidiger französischer Interessen.
Politisches Geschick hat das Unternehmen seit dem Zweiten Weltkrieg oft bewiesen. Der Gründer gehörte als Gaullist bis zu seinem Tod als Abgeordneter der französischen Nationalversammlung an. Auch seine Nachkommen waren Mandatsträger. Selbst die drohende Vollverstaatlichung unter Präsident François Mitterrand konnte Dassault durch Verhandlungsgeschick abwehren. Während der Staat heute an fast allen heimischen Rüstungsherstellern substanzielle Anteile hält, ist Dassault bemerkenswert unabhängig geblieben.
Trappier gibt sich überparteilich. Das bedeutet auch, sich den Rechtspopulisten nicht zu verschließen. Er mache keinen Hehl daraus, dass er Kontakte zu Le Pens Partei habe, zitierte ihn vor ein paar Tagen die Zeitung „Le Monde“. Mit der linksradikalen LFI-Partei spreche er allerdings ebenfalls.
Was ein Scheitern von FCAS für Dassault bedeuten würde, ist nicht ganz klar. Theoretisch könnte Frankreich wieder ein Flugzeug in Eigenregie entwickeln, womöglich ohne Drohnen und somit günstiger. In Militärkreisen wird gemunkelt, man könne mit Financiers aus Indien oder den arabischen Staaten zusammenrücken. Trappier beteuert, das Projekt mit den Deutschen noch nicht beerdigt zu haben: „Wir brauchen FCAS, wenn wir ein wettbewerbsfähiges und starkes Europa wollen.“ Aber es müsse Kompetenz im Kampfflugzeug entscheiden – und da habe Frankreich nun mal die Nase vorn.





















