Queeres Leben: “Wir sind verliebt ins Oberland” – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z
Bis weit in den Spätsommer hinein kann auf Christopher Street Day-Paraden (CSD) gefeiert werden, in großen und kleinen Städten. Seit den Anfängen der Bewegung hat sich eines der Ziele nicht geändert: die Minderheiten sichtbar zu machen, die heute zum Beispiel unter dem Kürzel „LGBTIQ+“ zusammengefasst werden – Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Queere. Und obwohl sich etwa ein Zehntel der deutschen Gesamtbevölkerung einer dieser Gruppen zugehörig fühlt, ist es um jene Sichtbarkeit nicht überall gleich bestellt. Auf dem Land nimmt man insgesamt weniger Menschen wahr, die sich als nicht-heterosexuell definieren. Umso wichtiger, dass es für solche Personen im Oberland nun eine Beratungsmöglichkeit gibt: Anna Kohlhund informiert für die Caritas zu Fragen geschlechtlicher Identität, zumal im Bereich psychosozialer Themen.
Der Aufbau der Caritas-Beratungsstelle begann bei Null
„Wir sind bei Null gestartet“, sagt die junge Sozialpädagogin, die seit Herbst 2023 am Aufbau der Beratungsstelle mitwirkt. Eine Website habe man kreieren müssen, das sei der erste Schritt gewesen. Die Homepage steht nun, sodass sich Anna Kohlhund ganz auf die Kernanliegen ihrer Stelle konzentrieren kann. Sie fasst ihre Tätigkeit in drei Punkten zusammen: die Beratung von queeren Personen und deren sozialem Umfeld, die Beratung von Fachkräften – also vor allem von Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen in anderen Beratungsstellen wie dem Kreisjugendamt –, sowie die Vernetzung von Fachkräften und queeren Akteurinnen und Akteuren untereinander.
Kohlhunds Arbeit bestand deshalb am Anfang zu einem großen Teil aus Vorstellungsrunden in der Region. Denn auch wenn sich das Büro in Garmisch-Partenkirchen befindet, betont Kohlhund, dass sie die Trägerstrukturen der Caritas-Zentren ohne Weiteres nutzen und deshalb auch in anderen Orten wie Bad Tölz aktiv werden könne. Der Erstkontakt erfolgt dennoch meist telefonisch. „Letztens hat mich eine Person angerufen und mir gesagt, dass ihre Eltern dagegen waren, dass sie in einer queeren Beziehung lebt“, schildert die Sozialpädagogin. Doch bei dem sensiblen Thema, das an Persönlichstes rührt, sei es schwierig, eindeutige Empfehlungen abzugeben. „Es gibt keine Pauschallösungen“, erklärt die Kohlhund mit ruhiger Stimme. „Ich begleite die Person, bis wir eine Lösung finden. Das geht von der Aufklärung der Eltern bis zum Kontaktabbruch, aber dazwischen gibt es ganz viele andere Ideen. Wir entwickeln das zusammen, aber am Ende muss die Person das selbst entscheiden.“
Dennoch bleibt die Frage: Wieso bietet die Caritas jetzt fürs oberbayerische Land eine LGBTIQ+-Beratung an? Ein Argument ist trockene Pragmatik: Das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales fördert die Beratungsstelle, mindestens bis Ende 2025. Dass die Caritas ein katholischer Wohlfahrtsverband ist, hemme das Projekt nicht, sagt Kohlhund. „Die Caritas versucht da auch offener und bunter zu werden.“ Das wichtigste Argument aber hat mit den Menschen vor Ort zu tun: „Nicht alle queeren Personen wollen in die Stadt ziehen“, erklärt die Sozialpädagogin. Das kann Tina Gfrörer bestätigen: „Wir sind verliebt ins Oberland“, sagt die Trans-Frau.
„Ja, bist jetzt a Madl?“, fragte ein Bauer aus der Nachbarschaft
Die heute 58-Jährige wusste zwar schon seit der Pubertät, dass sie sich im Gegensatz zu dem Geschlecht, das in der Geburtsurkunde eingetragen wurde, als Frau fühlt. Aber erst vor etwa drei Monaten hat sie sich dazu entschlossen, sich dem Umfeld zu öffnen. Zu groß seien die Ängste gewesen, die Ehefrau zu verlieren oder Nachteile im Beruf zu erfahren. Gfrörer arbeitet auch mit Personen aus dem arabischen Kulturkreis, in dem das Thema der Trans-Identität nach wie vor weitgehend tabuisiert wird. Als sie dann den entscheidenden Schritt gegangen ist – „von Null auf Hundert“, wie sie sagt –, habe sie aber nur positive Resonanz bekommen: „Die Apothekerin, wo ich schon ewig einkaufe, hat mich gesehen und gesagt ‚Boah, sehen Sie toll aus!‘. Da geht einem doch das Herz auf.“ Und ein Bauer aus der Nachbarschaft habe die Sache ganz nüchtern auf den Punkt gebracht: „Ja, bist jetzt a Madl?“ Auch ihre Frau habe sie bedingungslos unterstützt. Gfrörer weiß, dass queere Personen auch ganz andere Erfahrungen machen, doch sie fühlt sich mit ihrem Leben auf dem Land zufrieden: „Ich hatte ein super Leben und werde auch in Zukunft ein gutes Leben haben.“
Was ihr allerdings Sorgen bereitet, ist eher die gesellschaftliche Polarisierung. „Wir haben uns zu sehr in extreme Richtungen entwickelt, schwarz und weiß“, sagt Gfrörer. „Ich sehe gerne Grauzonen.“ Die oft heiß diskutierte Frage nach den korrekten Pronomen zum Beispiel sieht sie pragmatisch: „Ich versuche mich, meinem Gegenüber anzupassen. Aber ich bin eine Frau und will so behandelt werden.“ Auch dazu leistet Kohlhund Beratung – wie kann das soziale Umfeld sensibel mit dem Thema der Queerness umgehen? Was sie hingegen nicht anbieten kann, sind medizinische oder juristische Informationen. „Da muss ich auch nach München verweisen“, sagt die Sozialpädagogin. Dennoch sei es wichtig, nun in der Region verankert zu sein. „Es dauert vielleicht noch ein bisschen, bis das Angebot ankommt bei den queeren Personen hier“, sagt sie. Doch ein erster Schritt ist getan.
Die LGBTIQ+-Beratungsstelle Oberbayern der Caritas ist erreichbar unter der Telefonnummer 0171-5455311 oder per E-Mail: lgbtiq.oberbayern@caritasmuenchen.org. Weitere Informationen sind im Internet unter www.caritas-lgbtiq-beratungsstelle-oberbayern.de zu bekommen.