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Debatte um Sozialstaat: Die SPD könnte der CDU den Rang ablaufen | ABC-Z

Ist das der Schröder-Moment von Lars Klingbeil? Es kann kein Zufall sein, dass der heutige SPD-Chef bei der niedersächsischen Machtmaschine das politische Handwerk lernte. Bei einem Mann, den sie nicht nur auf dem Fußballplatz Acker nannten.

Klingbeil fängt erst an, sich durch den Morast sozialdemokratischer Glaubenssätze zu pflügen. Sie sind ein Grund, warum die Partei da steht, wo sie steht: weit unten. Es ist unklar, ob sie für einen pragmatischen Mitte-Kurs steht oder doch für einen noch linkeren. Aber sie ist immer in der Defensive. Wenn Klingbeil nun sagt, Gerhard Schröder habe mutige Reformen angepackt und dass man solche auch heute brauche, dann ist das ein erster Schritt aus der Verzagtheit.

Zu vielen in der SPD gefällt es, den Status quo zu verwalten, anstatt das Land mit Reformen zu gestalten. Arbeitsministerin Bärbel Bas fasste das vulgär-ideologisch zusammen, indem sie die Feststellung, dass der Sozialstaat Deutschland über den Kopf wachse, als „Bullshit“ bezeichnete. Es wäre der SPD zu wünschen, dass sie noch vor dem nächsten großen Knall zu der Überzeugung käme, dass sie ihre Richtung anpassen muss, um der Verantwortung für das Land gerecht zu werden – und eine Perspektive als Volkspartei zu haben.

Die AfD-Angst der SPD

Aber womöglich wird es auch noch das zu erwartende starke AfD-Ergebnis bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen brauchen, damit die SPD ein realistischeres Bild bekommt. Leider hat bislang genau diese AfD-Angst der SPD dazu geführt, dass sie sich in ein Schwarz-Weiß-Weltbild geflüchtet hat. So tun es viele bei der Sozialstaatsdebatte, so war es bei der Begrenzung der Migration. Die Sozialdemokraten haben so lange so getan, als ob jede Verschärfung der Migrationspolitik Deutschlands Charakter als weltoffenes Land infrage stellen würde, bis man ihnen, als auch sie Verschärfungen für notwendig erachteten, nichts mehr glaubte.

Jetzt hätte die SPD die Chance, eine ganz andere Geschichte zu erzählen: Der Sozialstaat muss gerade deswegen reformiert werden, damit es ihn auch künftig gibt. Bas und Co. engen ihren eigenen Bewegungsspielraum ein, wenn sie immer und sofort von sozialem Kahlschlag reden. Aber bewegen werden sie sich müssen. Was sonst sollte Aufgabe und Anspruch der SPD an sich selbst sein, wenn nicht treibende Kraft zu werden bei der Umgestaltung des Sozialstaats?

Von Schröder lernen

Hätte die SPD den Mut, ihre eigene Geschichte so zu erzählen – es könnten goldene Zeiten anbrechen. Sie könnte sogar der CDU den Rang ablaufen als entscheidende Reformkraft. Auch da ließe sich von Schröder lernen. Er war zu dem imstande, was die Union nicht schaffte. Schließlich haben auch CDU und CSU Furcht vor den tendenziell reformängstlichen Deutschen. Gleichzeitig fordert die Mehrheit der Bevölkerung (zumindest abstrakt) Veränderungen, traut sie aber keiner Partei zu. Das ist ein Acker, auf dem für die SPD richtig was einzufahren wäre.

Aber hat die SPD die Kraft dazu und den Willen? Bullshit oder Agenda – was gilt jetzt in der SPD?

Das ist noch nicht entschieden. Die Funktionäre haben gezeigt, dass sie bereit sind, den eigenen Vorsitzenden schwer zu beschädigen, indem sie ihm auf dem Parteitag ein mieses Ergebnis bescherten. Das ist für Klingbeil deswegen relevant, weil Loyalität eigentlich ein hoher Wert ist in der SPD. Und sie war in der Vergangenheit auch die Voraussetzung für grundlegende Reformen. Die wiederum waren dann besonders erfolgreich, wenn man sich auf Traditionen stützen konnte.

Ein Beispiel, das lange zurückliegt, aber die SPD ist ja eine Partei mit ausgeprägtem Erinnerungsvermögen: Auf ihrem Godesberger Parteitag 1959 verabschiedete sich die SPD von den letzten und einzigen Wahrheiten. Sie kam in der Realität an. Das Motto des Parteitags war: Geh mit der Zeit. Das klingt regelrecht fortschrittlich, verglichen mit der heutigen SPD, die auf das Bewahren von Dysfunktionalitäten setzt.

Klingbeil hat nun ein Zeitfenster, das er nutzen kann. Aber er wird es nicht allein schaffen. Er braucht mutige Gefährten, vor allem seine Ko-Vorsitzende Bärbel Bas. Sie ist schon deswegen nötig, weil es anders als zu Zeiten der Hartz-Reformen keine zentrale Steuerung der Reformen im Kanzleramt gibt. Und weil Bas als Linke den Reformen die notwendige Legitimität geben könnte. Die CDU wiederum sollte es Bas nicht zu leicht machen, sich in die Büsche zu schlagen, indem sie allzu sehr auf das Thema Bürgergeld abzielt, bei dem die Einsparungen irgendwann an eine verfassungsrechtliche Grenze stoßen. Es gibt noch viele andere Schrauben, die zu drehen sind. Da muss die SPD ran.

Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat die Wirkung der Reformen zur Jahrhundertwende einmal treffend auf den Punkt gebracht: „Schröder änderte die Psychologie des Landes.“ So ein Mut ist der SPD heute wieder zu wünschen.

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