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Putins Idol: Peter der Große von Russland war ein Meister der Inszenierung | ABC-Z

Peter I. gehört zu den bekanntesten Persönlichkeiten der russischen Geschichte. Vor 300 Jahren starb der Herrscher, den Präsident Putin als sein Vorbild bezeichnet. Die Historikerin Martina Winkler sieht in Peter eine wichtige, aber oft überschätzte Figur der Geschichte, die die Kunst der Inszenierung meisterhaft beherrschte.

Er ist Vater der russischen Marine und Gründer von Sankt Petersburg: Als Peter I. am 8. Februar 1725 stirbt, hat er Russland den Weg zur Großmacht geebnet. Dabei ist bei seiner Geburt gar nicht klar, dass er einmal auf dem Zarenthron sitzen würde. Denn er hat zwei ältere Halbbrüder, deren Chancen auf die Herrschaft deutlich größer sind.

Reiterdenkmal von Peter I. in Sankt Petersburg.

Reiterdenkmal von Peter I. in Sankt Petersburg.

(Foto: picture alliance / Zoonar)

Peter I. kommt am 9. Juni 1672 in Moskau zur Welt. Er entstammt der zweiten Ehe von Zar Alexej, der bereits mehrere Söhne aus erster Ehe hat. Nach dem Tod des Vaters herrscht Peters Halbbruder Fjodor, der aber bereits sechs Jahre später stirbt. Daraufhin kommt es zu Konflikten über die Thronfolge und einem blutigen Aufstand der Hofgarde.

Am Ende steht ein Kompromiss: Im Frühjahr 1682 wird der zehnjährige Peter zusammen mit seinem geistig zurückgebliebenen Halbbruder Iwan zum Zaren gekrönt. Die Regentschaft übernimmt Peters Halbschwester Sophia. Erst nach Sophias Verdrängung von der Macht 1689 und Iwans Tod 1696 regiert Peter als Alleinherrscher.

Reise nach Westeuropa

Mit seinem Tross, der sogenannten Großen Gesandtschaft, reist der junge Regent 1697 für 18 Monate durch Mittel- und Westeuropa. Es ist das erste Mal, dass ein russischer Zar in Friedenszeiten sein Reich verlässt. „Der eigentliche Grund für diese Reise war diplomatischer Art“, sagt die Historikerin und Peter-Biografin Martina Winkler im Gespräch mit ntv.de. „In Wien wollte Peter mit dem Kaiser eine Allianz gegen das Osmanische Reich anbahnen, was aber misslang. Auch Handelsgespräche mit England standen auf dem Programm.“

Der Zar in der Kluft eines Schiffszimmermannes. Der Zar in der Kluft eines Schiffszimmermannes.

Der Zar in der Kluft eines Schiffszimmermannes.

(Foto: picture alliance / Heritage Images)

Ein weiterer Grund für die Reise ist das Sammeln von Wissen und neuer Technologien. Auf einer Werft in Amsterdam absolviert Peter eine Lehre zum Schiffszimmermann, in London besucht er das Parlament. Der Zar lernt, wie man Zähne zieht und Leichen seziert. Nebenbei heuert er Experten wie Ärzte, Kapitäne und Handwerker für sein Reich an.

„Die Deutung, Peter sei voller Demut aus einem düsteren, unwissenden Moskau in das blühende Westeuropa gereist, ist aber falsch“, betont Winkler. „Peter war ein gebildeter Herrscher, der eine umfassende Erziehung genossen hatte.“ Und auch Moskau sei nicht so rückständig gewesen, wie oftmals dargestellt. „Im 17. Jahrhundert war sehr viel Wissen, Kultur und auch Technologie nach Moskau gelangt, vieles davon durch Gelehrte, die über die Ukraine an den Zarenhof kamen.“

Nicht alle Reformen gehen auf Peter zurück

Zurück in Moskau beginnt Peter damit, in seinem Land Veränderungen durchzusetzen. Er reformiert das Militär und die Verwaltung, lässt eine Kriegsflotte bauen, verbietet dem Hochadel das Tragen der traditionellen Vollbärte und führt den julianischen Kalender ein. Doch nicht alle Reformen gehen auf den Zaren zurück. „Das 17. Jahrhundert war schon vor Peter ein Zeitalter der Transformation“, sagt Winkler. „In den meisten Fällen hat er an bereits bestehende Entwicklungsprozesse angeknüpft und diese weitergeführt. Peter verstand sich als Gestalter, und nicht mehr vorrangig als Bewahrer der alten Ordnung. Dabei ging er konsequenter und rücksichtsloser vor als seine Vorgänger.“

Zeitgenössische Karikatur über Peters Bartschneide-Reform. Zeitgenössische Karikatur über Peters Bartschneide-Reform.

Zeitgenössische Karikatur über Peters Bartschneide-Reform.

(Foto: picture-alliance / akg-images)

1703 lässt Peter an der Mündung der Newa die Stadt Sankt Petersburg errichten. Bei den Bauarbeiten in dem sumpfigen Gebiet kommen Zehntausende Zwangsarbeiter ums Leben. Peters Härte zeigt sich nicht nur beim Bau der Stadt. Aufgrund seines Reformwillens kommt es immer wieder zu Protesten und Aufständen, die er entweder durch Kompromisse oder mit brutaler Gewalt löst. Dabei macht der Zar auch vor Familienmitgliedern nicht halt. Als sich sein ältester Sohn Alexej zur Führungsfigur der höfischen Opposition entwickelt, lässt ihn Peter foltern und in den Kerker werfen, wo er wenig später stirbt.

Vom Zaren zum Kaiser

Während seiner Herrschaft führt Peter im Süden Kriege gegen die Osmanen und Tataren. Im Norden kämpft er 21 Jahre gegen Schweden um die Vorherrschaft im Ostseeraum. Mit dem Sieg im Großen Nordischen Krieg löst Russland Schweden als europäische Großmacht ab. Im Anschluss lässt Peter sich die neuen Titel „Kaiser“ sowie „Vater des Vaterlandes“ und „Peter der Große“ verleihen.

Peter als erfolgreicher Feldherr und christusgleicher Messias (Ölgemälde um 1710/1720). Peter als erfolgreicher Feldherr und christusgleicher Messias (Ölgemälde um 1710/1720).

Peter als erfolgreicher Feldherr und christusgleicher Messias (Ölgemälde um 1710/1720).

(Foto: picture alliance / akg-images)

„Peter war sicher ein begabter Staatsmann und Feldherr“, sagt Winkler. „Er war aber vor allem geschickt darin, die Geschichte seiner Erfolge zu erzählen. Dabei präsentierte er sich als Handwerker, Steuermann auf hoher See, Kriegsherr sowie als Herrscher nach römischem Vorbild und charismatischer, christusgleicher Messias.“

Die Frage, ob Peters Regentschaft eine Zäsur darstellt, ist laut Winkler noch immer Gegenstand der Forschung. „Früher hat man die petrinische Zeit mit ihren Reformen als totalen gesellschaftlichen Bruch und Revolution wahrgenommen“, sagt sie. „Mittlerweile wird diese These in Zweifel gezogen. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen stattdessen das 17. und 18. Jahrhundert als eine Zeit längerer Transformationsprozesse, die erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen Abschluss finden.“

Peter bleibt ein wichtiger Bezugspunkt

Nach Peters Tod 1725 tritt seine zweite Frau sein Erbe an und regiert als Katharina I. Für seine Nachfolgerinnen und Nachfolger auf dem Thron fungiert Peter als Legitimation und wichtiger Bezugspunkt. Das setzt sich bis in die Moderne fort. Russlands Präsident Wladimir Putin bezeichnet Peter 2019 in einem Interview als sein Vorbild. Drei Jahre später vergleicht der Kremlchef den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit dem Großen Nordischen Krieg.

Peter I. habe das Gebiet um Sankt Petersburg nicht von den Schweden erobert, sondern „zurückgewonnen“, behauptet Putin bei einer Veranstaltung im Sommer 2022. „Offenbar ist es auch unser Los: Zurückzuholen und zu stärken.“

„Putin missbraucht die Geschichte für seine imperialistische Politik“, sagt Winkler. „Er greift mit Peter I. eine Schlüsselfigur auf, die nicht nur in Russland, sondern auch in Westeuropa bekannt und mit vielen Erzählungen verknüpft ist.“ Peter sei dabei eine Chiffre für Erfolg, Fortschritt, Gewalt und Expansion, für russische Größe, aber auch für russisches Anderssein. „Und der Mythos von Peter, der Teile Schwedens ‚zurückgeholt‘ habe, stärkt die heutige Lüge von einer vermeintlich immer zu Russland gehörenden Ukraine“, so die Historikerin.

Für Winkler gehört es zur Aufgabe der Geschichtswissenschaft, Mythen zu widerlegen und aufzuklären. Dies gelte auch für die Geschichtslügen Putins. Diese Aufklärung dürfe aber nicht in eine Diskussion über eine vermeintlich mögliche Legitimität der Angriffe Russlands auf die Ukraine münden. „Selbst wenn Putins Fehlinterpretationen der Geschichte richtig wären, könnte dies die Invasionen von 2014 und 2022 niemals rechtfertigen“, so Winkler. „Der Krieg ist völkerrechtswidrig, Punkt. Keine geschichtswissenschaftliche Debatte, egal ob über das 18. oder 20. Jahrhundert, kann daran etwas ändern.“

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