Punkkunst-Ausstellung in Bremen: Das ewige Leben der Tödlichen Doris | ABC-Z

Flirrende Bildschirme, ein hintergründiges Brummen, Stimm- und Musikfetzen wabern durch die Räume im Zentrum für Künstlerpublikationen des Bremer Museums Weserburg. „Es wummert in dieser Ausstellung“, sagt Radek Krolczyk, Kurator der ersten umfassenden Werkschau der Band und Künstlergruppe Die Tödliche Doris angesichts der vielen gleichzeitig laufenden Super-8-Film-Werke. „Es ist eine stressige Ausstellung.“
Wobei „stressig“ dann wohl doch etwas zu stark ist. Da gäbe es andere Kaliber, auf die das eher zuträfe, würde man ihnen 45 Jahre nach der Gründung eine Werkschau widmen. Musikalisch wären das zum Beispiel die Einstürzenden Neubauten, die ja derselben Ära der frühen 80er Jahre und demselben Soziotop der Westberliner Subkultur entstammen.
Die torpedierten, wie die Tödliche Doris, die Erwartungshaltungen des Publikums, entfachten Anarchie auf der Bühne und ignorierten tradierte Formen des Musikmachens. Doch im Gegensatz zu deren eher maskuliner Vehemenz arbeitete die Doris eher spielerisch und mit „kluger Rotzigkeit“, wie Weserburg-Direktorin Janneke de Vries die künstlerische oder gerade auch bewusst nichtkünstlerische Herangehensweise bestimmt.
Westberlin 1980, Mauerstadt, Kalter Krieg, Endzeitstimmung, dunkle Hinterhauswohnungen mit Kohleöfen – aber eben auch die große Freiheit für Hausbesetzer, Künstler, Punks. In diesem Milieu gründeten die beiden Kunst- und Filmstudenten Wolfgang Müller (Jahrgang 1957) und der 1996 verstorbene Nikolaus Utermöhlen Die Tödliche Doris, die sich zunächst in Gestalt einer Punkband manifestierte.
Kunstkonzepte unterwandern
Bereits ein Jahr später trat die Formation beim legendären Festival der Genialen Dilletanten im Berliner Tempodrom auf. Bei dem spielten auch andere illustre Szenegrößen wie die Neubauten, Din-A-Testbild, Christiane F. und der spätere Techno-Pionier Dr. Motte.
Wolfgang Müller hatte seinerzeit das Konzept des kulturkritischen Ansatzes verfasst, spartenübergreifend zwischen Musik, Film, Fotografie, Literatur und Performance zu agieren. Das wurde auch so von der Kritik bemerkt: „Das Wichtigste an der Tödlichen Doris ist, dass sie immer da ist, wo du sie nicht erwartest“, schrieb Diedrich Diederichsen 1982 im Musikmagazin Sounds.
Die Existenz als Band war immer nur ein Teil des Gesamtkonzeptes der Gruppe. Wobei man – und das ist eine sehr schöne und überhaupt nicht „stressige“ Idee dieser Ausstellung – sich ein Stockwerk höher an einen Tisch setzen kann: Dort ist es möglich, über Kopfhörer die alten Vinyl-Platten der Band zu hören.
Im Film trägt der zweijährige Sohn der Drummerin wie Sid Vicious ein Shirt mit Hakenkreuz und hantiert mit Drogenspritze und einem Gummimesser herum
Vorwiegend ging es der später auch personell fluiden Gruppe immer darum, gängige Kunstkonzepte zu unterwandern. Virtuosität oder Meisterschaft, wie sie selbst ernannte Malerfürsten wie Markus Lüpertz für sich beanspruchen, waren der Doris fremd. Das erkennt man gleich zu Beginn der Ausstellung im 1991 eröffneten Sammlermuseum Weserburg bei dem Werk mit dem schönen, sperrigen Titel „Die Gesamtheit allen Lebens und alles darüber Hinausgehende“.
Kunst aus ausrangierten Bühnenkostüme der Performance „Noch 14 Vorstellungen“: „Sesselgruppe Kleid“
Foto:
Tobias Hübel/Weserburg, Courtesy Wolfgang Müller & Galerie K Strich
Es besteht aus einem grade mal zwei Sekunden kurzen, gefundenen abstrakten Super-8-Film. Dessen 44 Einzelbilder wurden 1984 auf eine Leinwand projiziert und anschließend von zufälligen Besuchern, von Journalisten und Freunden der Doris ausgemalt.
Einige aus dem Zyklus von Laien-Malereien hängen nun in der Weserburg. „So ergibt sich ein Daumenkino zum Vorbeilaufen“, sagt Kurator – und taz-Autor – Radek Kolczyk. Der hat in seiner Bremer Galerie K’ 2020 das Archiv der Tödlichen Doris unter seine Fittiche genommen, das in Berlin keine dauerhafte Bleibe gefunden hat.
Die einzige malerische Arbeit der Gruppe ist ein gutes Beispiel für deren widersprüchliches Spiel mit Erwartungshaltungen. 1987, im Jahr ihrer offiziellen Auflösung, war die Doris zur Documenta in Kassel geladen – höhere Weihen gibt es in der deutschen Kunstwelt kaum.
Verstören und provozieren
Aber statt der erwarteten grellen Punk-Provokation lieferte das Berliner Kollektiv diese konzeptuelle Malerei. „Niemand wollte damals Konzeptkunst“, sagt Krolczyk über diese Art der leisen Provokation, die aber trotzdem auch den widerspenstigen Geist des Punk in sich trägt.
Wobei die Tödliche Doris ja genau genommen schon aus der Postpunk-Ära stammt. Die Sex Pistols waren 1980 längst Geschichte, Bassist Sid Vicious an einer Überdosis Heroin gestorben. In dem auch heute noch verstörenden Super-8-Film „Das Leben des Sid Vicious“ aus dem Jahr 1981 zeigen sich die punktypischen Strategien der Grenzüberschreitung und der in diesem Fall alles andere als leisen Provokation der Umdeutung von Zeichen.
Statt Sid Vicious tapst darin der gerade mal zweieinhalbjährige Sohn von Doris-Drummerin Dagmar Dimitroff im roten Hakenkreuz-Shirt und mit Iro-Frisur über einen Westberliner Bürgersteig. Später hantiert der Steppke mit Drogenspritze und Gummimesser herum.
Das ist ein Verweis der Filmemacher auf den bis heute ungeklärten Mord an der Vicious-Freundin Nancy Spungen. Schon nach der ersten Vorführung 1983 im Berliner Arsenal-Kino gab es erbitterte Debatten über den Film. Auch heute würde er wohl für einen eklatanten Shitstorm sorgen.
Film im Mittelpunkt
Bei der Doris-Werkschau in der Weserburg steht nicht umsonst das Medium Film im Mittelpunkt. „Dort finden Musik, Performance, Fotografie, Text und Malerei zusammen“, erklärt Radek Krolczyk den Ansatz.
Ein bekannteres fotografisch-filmisches Frühwerk der Tödlichen Doris ist „Materialien für die Nachkriegszeit“. Für das sind Wolfgang Müller und Nikolaus Utermöhlen unter Sofortbildautomaten in Westberliner U-Bahnhöfen rumgekrabbelt.
Sie haben weggeworfene Passfotos aufgesammelt, restauriert und abgefilmt. Motive des Films wurden laut Eugen Blume, dem langjährigen Leiter des Museums Hamburger Bahnhof in Berlin, später in großen Produktionen wie „Die fabelhafte Welt der Amélie“ zitiert.
„Das ist eine Arbeit, die oft zum Ausleihen angefragt wird“, berichtet Archivar Krolczyk. Weserburg-Direktorin Janneke de Vries bringt anhand der Werkschau auch den Einfluss der Tödlichen Doris auf die multimedialen Arbeiten von Künstlern wie Christoph Schlingensief und Pipilotti Rist ins Spiel.
Die Idee der Tödlichen Doris war, statt ein fest umrissenes Image zu präsentieren, die Frage nach der eigenen künstlerischen Identität immer wieder neu zu stellen. Als Projektionsfläche ohne Persönlichkeit und eigenen Stil soll sie vom Publikum zum Leben erweckt und neu erfunden werden, so wie jetzt in der Weserburg: Angesichts der Vermischung von Wirklichkeit und Wahn dank KI wirkt das visionär – und sehr gegenwärtig.





















