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Pullach – Therapievorschläge für das Grundgesetz – Landkreis München | ABC-Z

Der Geburtstag war zwar bereits am 23. Mai, doch das Jubiläumsjahr dauert immer noch an. Und so ließ es sich auch die Gemeinde Pullach nicht nehmen, am vergangenen Freitag das 75-jährige Bestehen des deutschen Grundgesetzes zu feiern. Dazu vorgetragen hat mit dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter Peter Michael Huber ein prominenter Bürger der Gemeinde selbst. Seine Rede im Bürgerhaus war dabei ein Loblied mit Zwischentönen. Er sprach sich unter anderem für mehr direktdemokratische Elemente in der deutschen Verfassung aus. Das ist ganz im Sinne von Pullachs Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund (Grüne).

Die Bürgermeisterin trat an diesem Abend in einem gut gefüllten Saal auf die Bühne. In ihrer kurzen Ankündigung Hubers erinnerte sie daran, dass das Grundgesetz von 1949 eigentlich als „Übergangsverfassung bis zur Wiedervereinigung“ gedacht war. Doch es kam anders. Warum, erläuterte Peter Michael Huber zu Beginn seiner Rede: „Im Osten haben nach 1989 mehr als Dreiviertel für das Grundgesetz gestimmt.“ Tatsächlich hat das ostdeutsche Parlament 1990 mit 294 Ja- zu 62 Nein-Stimmen über den Beitritt zur BRD und damit zum Geltungsbereich des Grundgesetzes entschieden. Es gebe in Deutschland zwar immer wieder Diskussionen über eine neue Verfassung. Um die ist es laut Huber aber inzwischen „zurecht ruhig geworden“.

Huber hält die Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 für einen „Paradigmenwechsel“. „Seitdem wird nicht mehr von oben, sondern von unten auf ein Problem geblickt“, sagte er hinsichtlich der in der Verfassung formulierten und für alle Bürger geltenden Grundrechte. Das habe weltweit Nachahmer gefunden und darauf könne man stolz sein. „Gleichzeitig hat sich das Grundgesetz als so flexibel erwiesen, dass gesellschaftliche Veränderungen politisch abgebildet werden konnten“, merkte Huber an. Erst die Verfassung von 1949 habe möglich gemacht, dass Parteien wie Grüne, Linke, AfD und BSW überhaupt entstehen konnten.

Huber, der seit 2002 an der Juristischen Fakultät der LMU München lehrt, machte viele seiner positiven Einschätzungen auch am Wirken des Bundesverfassungsgerichts fest. Dort war er von 2010 bis 2023 als Richter tätig. Mehr als 200 000 Entscheidungen seit 1951 würden zeigen, dass kaum ein rechtliches Problem nicht im Lichte von Verfassungsrecht betrachtet werden könne. „Dabei gibt es aber immer auch Ungerechtigkeiten und Härten“, stellte Huber im Hinblick auf überzogene Erwartungen an den Rechtsstaat klar. Gerechtigkeit sei eben kein juristisch operationalisierbarer Maßstab.

Ansonsten nahm Huber die Verfassung an diesem Abend aber selten in Schutz. Abgesehen von der schieren Anzahl an Gesetzen macht dem ehemaligen Verfassungsrichter vor allem die mangelnde Responsivität des politischen Systems Sorgen. In der Verfassung sei die Rolle der Parteien zwar zusehends ausgebaut worden. „Viel wuppen kann ein Abgeordneter aber nicht“, sagte Huber wörtlich. Dabei zitierte er aus einer Unterredung mit dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), der zu ihm am Rande einer Sitzung gesagt haben soll: „Die Abgeordneten machen, was wir hier entscheiden.“

Der Vortrag Hubers endete deshalb mit „Therapievorschlägen“ für das Grundgesetz. Neben der „Stärkung der Abgeordneten“ riet er von einer Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre ab und gab zu bedenken: „Das bedeutet 20 Prozent weniger Mitsprache für den Bürger.“ Seiner Meinung nach muss das Mitspracherecht eher ausgeweitet werden. Für Huber kommen deshalb Volksbegehren auch auf Bundesebene in Frage. „Die sind aufwendig. Deshalb wären sowieso nur ein bis zwei pro Legislaturperiode realistisch“, schränkte er gleichzeitig ein.

Auch Tausendfreund ist eine Anhängerin direkter Demokratie und hat wohl auch deshalb Huber als Redner eingeladen. Und das war nicht der einzige Punkt, in dem sich die Bürgermeisterin und der Jurist am Freitagabend einig waren. Beide beteuerten, dass die Verfassung gegen Extremisten geschützt werden müsse. „Der Rechtsstaat ist nicht wirklich in Gefahr, aber in schwerem Wasser“, diagnostizierte Huber. Der Schutz der Verfassung liege in unserer Hand. Mit drei Handlungsempfehlungen schloss Huber seinen Vortrag: „Wählen gehen, demonstrieren, Meinung sagen.“

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