“Hunter” in der Neuköllner Oper: “Wir zähmen den Ball” | ABC-Z

Die Farben der Leuchtreklamen spiegeln sich in den tiefen
Pfützen, die der Platzregen an diesem Septemberabend im Innenhof der Neukölln
Passage hinterlassen hat. Hier, zwischen Berliner Spätis, Dönerläden und dem
unermüdlichen Verkehrsrauschen der Karl-Marx-Straße, öffnet die Neuköllner Oper
ihre Türen für die neue Spielzeit. Betritt man das Gebäude, geht es vier
Stockwerke nach oben, die Holztreppen knarren unter den Füßen, dann steht man
im großen Saal.
Hunter, also Jäger, nennt sich die
Inszenierung der belgischen Komponistin und Künstlerin Liesa van der Aa.
Hierzulande trat sie zuletzt auf der Ruhrtriennale 2024 als musikalische
Leiterin für ein Projekt mit Sandra Hüller in Erscheinung. Nun arbeitet sie in der Neuköllner Oper – als Komponistin
und tonangebende Dirigentin eines Abends zwischen Musical, Sound-Performance
und Pop-Märchen.
Was als Streifzug durch musikalische Genres und
künstlerische Darstellungsformen angekündigt wird, beginnt mit dem gnadenlosen
Geräusch von Sportschuhen, die auf glattem Turnhallenboden quietschen. Sofort
fühlt man sich an den Geruch von Magnesiumpulver und pubertärem Schweiß in der Sportumkleide erinnert. Und an die Angst, bei der Teamaufteilung dezent
übersehen zu werden. Ein ähnlich unbehagliches Gefühl ist Ausgangspunkt für diese
Inszenierung, die sich als Jagd nach Kontrolle innerhalb des Reglements eines
Basketballturniers entpuppt: Die Bühne ist ein Spielfeld, die Darstellerinnen
des Abends bilden das Team.
Das besteht aus den acht Sängerinnen des BODIES-Ensembles rund um die australische Singer-Songwriterin Kat Frankie, die mit ihren A-cappella-Shows
üblicherweise die großen Konzertsäle füllen. Heute tragen sie Überwürfe im Trikotschnitt, stehen in Formation bereit, warten auf den Anpfiff. Angeleitet
werden sie von van der Aa. Sie steht hinter dem Dirigentenpult,
das zugleich als Mischpult fungiert, und bewegt ihre Arme zu einem Takt, der
mehr elektronischer Beat ist als Partitur, mehr Herzschlag als Pauke. Das Spiel
ist eröffnet, der Sound pulsiert, und die Stimmen des Ensembles verbinden sich
zu Zeilen aus dem Song All is Full of Love aus dem legendären Album
Homogenic der Sängerin Björk. Man könnte nun genussvoll in der
sehnsüchtig-mystischen Fabelwelt der isländischen Klangkünstlerin versinken,
wäre da nicht die Trainerin (Naomi Beeldens), die ihr Team mit Nachdruck in die
Verpflichtung ruft: “Sprich zum Korb! Support! Run!” Die Zeit läuft und mit ihr
steigt der Druck auf das Team, abliefern zu müssen: “Ich schwöre, ich werde
dich nicht enttäuschen”, ruft das Ensemble im Sprechchor zurück.
Die mantraartigen Sätze im Schlagabtausch zwischen
Trainerin und Team sind bestimmend für den Rhythmus des Stücks: “Wir zähmen den
Ball!”, “ich höre nicht auf!” – angetrieben wird diese Polyfonie von der
Dirigentin van der Aa, die den Taktstock fuchtelnd in Richtung des
Ensembles schwingt. Man fragt sich, wer hier eigentlich gegen wen spielt, doch
die Inszenierung entzieht sich konkreten Antworten. Trotzdem wird spürbar: Es
geht nicht um das Spiel, es geht um die Regeln. Und um die Freiheit, sie zu durchbrechen.
Auf Genre-Ebene gelingt das dem Abend allemal. Die Bewegungen und
Gesangseinlagen des BODIES-Ensembles erinnern bisweilen an heitere
Musical-Nummern, dann wieder löst sich der Versuch einer Narration in abstrakte
Klangbilder auf.