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Prozesse, Stotter-Expertisen und Hartz IV: Deutschland-Odyssee von Taleb A. | ABC-Z

Die Ermittlungen gegen Taleb A. schreiten voran. Das Amtsgericht hat   gegen den Attentäter von Magdeburg Haftbefehl wegen Mordes sowie mehrfachen versuchten Mordes Haftbefehl. Fünf Besucher des Weihnachtsmarktes sind gestorben, mehr als 200 verletzt – und eine Stadt traumatisiert. Allmählich kommen mehr Details über den 50-Jährigen ans Licht, der sich selbst als „aggressivsten Kritiker des Islams in der Geschichte“ bezeichnete, von einer Islamisierung Deutschlands fantasierte und sich von deutschen Behörden verfolgt wähnte.

Magdeburger Attentäter Taleb A: Erste Stationen in NRW

Während A.s Online-Aktivitäten gut dokumentiert sind, ist über sein Leben in Deutschland bislang nur wenig bekannt. FOCUS online hat deshalb seine Stationen und seinen Werdegang rekonstruiert. Noch ergeben sich einige Lücken, doch zumindest sind mehrere Stationen dokumentiert.

Klar ist, dass A. bereits im März 2006 nach Deutschland einreiste, regulär mit Visum und Reisepass. Nach seinem Medizinstudium in Saudi-Arabien begann er eine Facharztausbildung. An welcher Einrichtung, ist bislang nicht bekannt. Bekannt ist, dass er nicht über Nordrhein-Westfalen in die Bundesrepublik eingereist ist, wie das dort verantwortliche Ministerium wissen lässt. Mitte Mai 2009 war er dann in der Landeshauptstadt Düsseldorf gemeldet. Im Juli 2009 zog er nach Bochum um, womit sich die Zuständigkeit der Ausländerbehörde änderte. Dort war sein Wohnort bis Februar 2010 bekannt. „Danach hat er sich nach unseren Erkenntnissen aus dem Ausländerzentralregister nicht mehr in Nordrhein-Westfalen aufgehalten“, so das Ministerium.

Das passt zu A.s wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Im November 2009 veröffentlichte er eine medizinische Hypothese mit dem Titel „Eine Störung des Hörvermögens der eigenen Stimme kann nicht nur Stottern, sondern auch Depressionen verursachen“. Den Aufzeichnungen zufolge wirkte er zu dieser Zeit an der Psychologie-Fakultät an der Universität Bochum.

Aufenthalte in Hamburg und Hannover

Interessant ist dabei, dass A. sich zwischenzeitlich nicht mehr über ein Visum in Deutschland aufgehalten hat, mit dem er eingereist war. Bis August 2009 hatte er laut NRW-Flüchtlingsministerium eine Duldung. Die Stadt Bochum erteilte ihm dann eine Aufenthaltserlaubnis „zum Zweck der betrieblichen Aus- und Weiterbildung“.

Der Status bedeutet, dass er eigentlich ausreisepflichtig war. Eine Abschiebung wurde jedoch ausgesetzt, weil sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich war. Mit der Duldung war sein Aufenthalt jedoch nicht illegal und mit der Aufenthaltserlaubnis von 2009 wieder regulär.

Nach eigenen Angaben hatte der Facharzt ab 2007 regelmäßig Kontakt zur muslimischen Gemeinschaft in Hamburg, der „Spiegel“ berichtet von Aufenthalten in der Hansestadt. Aus A.s wissenschaftlichen Veröffentlichungen geht hervor, dass er für die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) an der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie publizierte. Mit einem anderen Arzt veröffentlichte er eine Hypothese mit dem Titel „Der Beitrag von Muskel- und Hörpathologien zur Symptomatologie von Autismus“.

Hier kam es offenbar zu Problemen. Das MHH bestätigt auf Anfrage von FOCUS online, dass A. dort eine Weile in der Forschung tätig war. „Vorwürfe, die er kurz nach seinem Aufenthalt bei uns erhoben hat, wurden durch die GWP-Kommission (Kommission für Gute Wissenschaftliche Praxis, Anm. d. Red.) sowie externe Gutachten entkräftet“, teilt die Hochschule mit. Ein Muster? Auch Vereine aus der säkularen Flüchtlingshilfe berichten von ungerechtfertigten Vorwürfen durch A. gegen sie.

2011 taucht Taleb A. in Mecklenburg-Vorpommern auf – Drohungen und Gerichtsverfahren

Zudem ist A. als Alumni des Instituts für Musikphysiologie und Musiker-Medizin der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover gelistet. Ein Buchstabe im Nachnamen ist zwar verändert, doch archivierte Kontaktadressen decken sich mit anderen Onlineprofilen des Facharztes.

Dem Landesinnenministerium zufolge hat der heute 50-jährige Taleb A. von 2011 bis Anfang 2016 in Mecklenburg-Vorpommern gelebt und in Stralsund Teile seiner Facharzt-Ausbildung absolviert. 2013, taucht A. dann in Akten des Amtsgerichts Rostock auf. Der “Spiegel” berichtete zuerst, dass er zu dieser Zeit in Stralsund lebte und wegen „Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“ verurteilt wurde: zu 90 Tagessätzen zu je zehn Euro. Offenbar waren Teile seiner medizinischen Ausbildung nicht anerkannt worden, weshalb er Drohungen aussprach.

Er hat dem Ministerium zufolge gegenüber Vertretern der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern mit einer Tat gedroht, die internationale Beachtung bekommen werde. Dabei habe er auf den Anschlag beim Boston-Marathon verwiesen.

Später habe er die Prüfung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie bestanden. Die Höhe der Tagessätze deutet außerdem darauf hin, dass er zu dieser Zeit von Hartz IV gelebt haben könnte. A.s nächster bekannter Aufenthaltsort ist Halberstadt. 2016 stellte er erneut einen Asylantrag, der beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Halberstadt bearbeitet wurde. Auch bei einer Crowdfunding-Kampagne für ein anti-islamisches Buch gab er seinen Wohnort in Halberstadt an. Mit Asyl nach Artikel 16a des Grundgesetzes erhielt er hier den höchsten Schutzstatus. In diesem Zeitraum begann er auch mit seinen Aktivitäten auf Twitter (heute X). 2023 erteilte die Ausländerbehörde des sachsen-anhaltinischen Salzlandkreises in Bernburg A. eine Niederlassungserlaubnis und damit einen Aufenthaltstitel.

Seit 2020 lebt Attentäter in Sachsen-Anhalt

2020 zog A. schließlich nach Bernburg, um dort als Facharzt im Maßregelvollzug einer Klinik zu arbeiten und suchtkranke Straftäter zu therapieren.

Nach Informationen von FOCUS online war er vorher bereits länger krankgeschrieben und hatte in einem anderen Klinikum gearbeitet. Ein Headhunter vermittelte ihm dann die Stelle rund 50 Kilometer südlich von Magdeburg. Auch in Bernburg fiel A. immer wieder aus, weil ihn sein Aktivismus so sehr beschäftigte.

Durch Urlaub und Krankschreibungen war er seit Ende Oktober 2024 nicht mehr auf der Arbeit. Im Raum steht auch, ob es nur sein Aktivismus war, der ihn so belastete. Ein erster Drogentest fiel laut Medienberichten positiv aus, ein Bluttest soll Klarheit bringen.

Die Abwesenheit von der Arbeit nutzte der 50-Jährige offenbar, um seine Tat vorzubereiten. Nach Informationen des „Spiegel“ mietete sich A. mehrfach in einem Hotel in der Magdeburger Innenstadt ein. Der Verdacht liegt nahe, dass er hier die Gegebenheiten vor Ort auskundschaftete und so den Weg über die Straßenbahnschienen in den Fluchtweg des Weihnachtsmarkts fand. Online kündigte er wiederholt „Krieg“ und „Rache“ an, der Westen verstehe nur „Gemetzel und Gewalt“. Am Freitag raste er 400 Meter über den Weihnachtsmarkt, tötete mindestens fünf Menschen und verletzte mehr als 200. Einen Tag zuvor hätte er laut „Spiegel“ eigentlich in Berlin sein sollen. Wegen Missbrauchs des Notrufs hatte A. einen Strafbefehl über 20 Tagessätze zu je 30 Euro erhalten und Einspruch eingelegt. Doch zur Verhandlung war er nicht erschienen.

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