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Prozess in Ingolstadt um Diebstahl von keltischem Goldschatz aus Museum | ABC-Z

Einer der vier Angeklagten gibt als Beruf „Hotelbetriebswirt“ an. Er trägt ein weißes Hemd unter einer blauen Strickjacke mit V-Ausschnitt, die akkurat zugeknöpft ist, sitzt sehr gerade auf seinem Stuhl, hat die Hände auf dem Schoß gefaltet und würde so in einem Kirchenchor nicht groß auffallen. Während die Staatsanwältin und der Staatsanwalt abwechselnd die Anklage verlesen – rund anderthalb Stunden lang –, blättert er die jeweiligen Seiten der Anklage um, die er in einem Aktenordner abgeheftet hat.

Was ihm und seinen drei Mitangeklagten vorgeworfen wird, klingt nach einem bestens eingespielten Team. Rund 30 Einbrüche sollen sie laut Staatsanwaltschaft in Deutschland und Österreich begangen haben. Der Modus Operandi war immer gleich, die Ausstattung ebenfalls: In schwarzen Overalls und mit Sturmhauben brachen sie demnach in Supermärkte, Tankstellen und Schnellrestaurants ein, flexten dabei Tresore und manchmal auch Geldautomaten auf.

Als Werkzeuge dienten dazu Brechstangen, Bolzenschneider und Winkelschleifer, die beim Einsatz sehr heiß wurden und drohten, Feueralarm auszulösen. Daher wurden sie gekühlt mit allem, was die Diebe an den Tatorten so fanden: Cola, Flüssigseife, Frostschutzmittel oder Aprikosensaft. Handys wurden wegen der Nachverfolgung nicht verwendet, die Kommunikation verlief über Funkgeräte, mit falschen Personalien wurden zuvor Mietwagen und Hotelzimmer gebucht.

Der ideelle Wert ist unschätzbar

In der Regel standen zwei von ihnen vor den Gebäuden Schmiere, während die beiden anderen sich Zugang verschafften. Wesentlich für den Erfolg war es zudem, zuvor Alarm- und Telekommunikationssysteme zu kappen. Dazu wurden vor den Einbrüchen zunächst immer an Verteilerhäusern der Telekom Kupfer- und Glasfaserkabel durchtrennt. Vor den Gebäuden platzierten die Männer zudem oft Störsender, um Alarmsysteme auszutricksen. Ausgekundschaftet wurden passende Objekte in zahlreichen Spähfahrten – auch einige Museen gehörten dazu. Die Diebeszüge waren über das Jahr verteilt, es gab laut Staatsanwaltschaft „eine Frühjahrs- und eine Herbstsaison“.

In den Herbst 2022 fiel laut Anklage auch die Tat, die bundesweit Beachtung fand und die vier Männer vor das Landgericht Ingolstadt brachte: der Diebstahl des größten keltischen Goldfunds des vergangenen Jahrhunderts. Die vier Angeklagten im Alter zwischen 42 und 53 Jahren sollen nach Sicht der Staats­anwaltschaft am 22. November 2022 das wertvollste Exponat des Kelten Römer Museums im oberbayerischen Manching gestohlen haben. 483 Goldmünzen, einen sogenannten Goldgusskuchen aus der Keltenzeit und noch drei weitere Goldmünzen. Gefunden wurde der Keltenschatz 1999 auf dem Gelände, das zu dem Oppidum von Manching gehörte, einer um 300 vor Christus von Kelten gegründeten Großsiedlung. Der Wert des Schatzes wird auf rund 1,5 Millionen Euro geschätzt. Der ideelle Wert allerdings ist unschätzbar.

Gerade mal eine Stunde und vier Minuten brauchten die Täter, um das Gold an sich zu bringen, das aus der Zeit um 100 vor Christus stammt. Nach Sicht der Anklage hat sich das so zugetragen: In der Nacht zum 22. November kappten die Angeklagten um 0.31 Uhr zunächst mit einer Astschere und einem Seitenschneider die Kabel in einem Verteilerhaus der Telekom – rund 13.000 Haushalte waren dadurch ohne Internet und Telefonverbindung, zahlreiche Mobilfunkstandorte fielen aus.

„Es hat immer gut funktioniert!“

So konnten sie den leitungsgebundenen Teil der Alarmanlage des Museums ausschalten. Um 1.26 Uhr hebelten sie mit Brecheisen die Fluchttür des Museums auf, gingen in den ersten Stock, versuchten die in den Boden eingelassene Glasvitrine aufzuschlagen, kamen nicht weiter und hebelten sie schließlich seitlich mit dem Brecheisen auf. Dann nahmen sie die 483 Goldmünzen und den 217 Gramm schweren Goldguss­kuchen an sich. Auch eine weitere Vitrine schlugen sie ein und stahlen drei Goldmünzen daraus. Um 0.35 Uhr verließen sie das Museum wieder.

Die vier Angeklagten, denen schwerer bandenmäßiger Diebstahl zur Last gelegt wird, stammen alle aus Mecklenburg-Vorpommern, einer wohnt inzwischen in Berlin. Den Ausführungen der Ankläger zu den Einbrüchen, bei denen mal um die 6000 Euro, mal 24.000 Euro Beute gemacht wurde, folgen sie am Dienstag konzentriert. Einer von ihnen grinst unmerklich, als der Staatsanwalt zum x-ten Mal die immer gleiche Vorgehensweise schildert, als dächte er: „Es hat immer gut funktioniert!“

Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass sich die vier vor mindestens 16 Jahren zu einer Bande zusammenschlossen, die vor allem einen Zweck hatte: „zur Erlangung einer Einkommensquelle nicht unerheblichen Umfangs“. Die Berufe der Angeklagten könnten dabei hilfreich gewesen sein. Einer der Männer gibt an, er sei „Facharbeiter für den Postverkehr“, ein anderer nennt gleich drei Qualifikationen: „Fliesenleger, Dachdecker, Buchhalter“.

Doch wie wurden sie gefasst? Nach dem Einbruch in das Museum hatte die Spurensicherung im Kelten Römer Museum alles auf den Kopf gestellt. Dabei wurde unter anderem eine DNA-Spur gesichert. Und bei der Einstellung des DNA-Musters in die DNA-Analyse-Datei des Bundeskriminalamtes gab es weitere Treffer: Das Muster aus Manching stimmte mit dem DNA-Muster überein, das bei acht anderen Einbrüchen gesichert werden konnte. Bei neun Einbrüchen spielte also immer derselbe Spurenverursacher eine Rolle. Aber: Man hatte eben nur diese Spur-zu-Spur-Treffer, das DNA-Muster konnte noch keiner Person zugeordnet werden.

„Sie sind schon sehr lange im Geschäft“

Doch die DNA-Spur war nicht das Einzige, was bei diesen Diebstählen übereinstimmte. Der Modus Operandi ähnelte sich sehr. Dazu gehörte unter anderem das gewaltsame Aufbrechen der Gebäude sowie die Platzierung eines Störsenders. Die neun Taten wurden daher mit weiteren 160 Diebstählen verglichen. Dabei wurden „Parallelfälle“ identifiziert, bei denen ebenfalls ähnlich vorgegangen wurde. Im Zuge dieser Ermittlungen kam man auf einen Tatverdächtigen – der jetzt zu den Angeklagten gehört.

Weitere Umfeld-Ermittlungen zu seiner Person zeigten nach Angaben der Staatsanwaltschaft, dass er zu der „Schweriner Gruppe“ zu zählen ist: einem Zusammenschluss von Kriminellen, die demnach seit Jahren Einbruchsdiebstähle begehen. „Sie sind schon sehr lange im Geschäft“, sagt eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft auf Anfrage.

Auch ein zweiter Angeklagter gehöre zu dieser Gruppe. Und in dieser Gruppe konnten die Ermittler, wie es die Sprecherin schildert, auch den Spurenverursacher von Manching aus­machen. Sein DNA-Muster stimmte mit der Spur aus dem Museum überein. Voraus­gegangen waren umfangreiche Ermittlungen: Telefone wurden überwacht, Chats ausgewertet, Werkzeugspuren von Tatorten verglichen, Finanzströme nachverfolgt.

Durch die Ermittlungen wusste die Polizei, dass ein Verkauf geplant war: Als einer der Angeklagten dann im Juli 2023 versuchte habe, 18 Goldklumpen, insgesamt 500 Gramm, zu verkaufen, erfolgte der Zugriff. Das Gold gehört zum Schatz: Nach einem archäologischen Gutachten sollen es 72 eingeschmolzene Münzen sein. Was geschah mit dem Rest des Schatzes? Wo ist das Gold? „Wir wissen es nicht“, sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Die Angeklagten schweigen bislang.

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