Priesterseminar in Istanbul: Wiedereröffnung des Istanbuler Priesterseminars | ABC-Z

Als die Mitarbeiter der städtischen Fährgesellschaft in Istanbul das Gatter vor dem Kai in Kabatas öffnen, stürmen die Leute auf das große weiße Fährschiff zu, um sich die besten Plätze zu sichern. Hinter den ungestümen Touristen kommen die Einheimischen gemächlich an Bord; Bewohner der berühmten Prinzeninseln, die in der Stadt Einkäufe erledigt haben und nun auf die Inseln zurückfahren.
Unter den Fahrgästen fällt ein orthodoxer Priester auf, der in seiner schwarzen Tracht zurückgezogen an einem hinteren Tisch sitzt. Die Fähre steuert nach und nach jede der vier bewohnten Prinzeninseln an, die vorletzte ist Heybeliada, die in Istanbul vor allem für ihre große Marine-Kadetten-Schule bekannt ist.
Heybeliada beherbergt aber noch eine ganz andere, wesentlich ältere Schule als die Ausbildungsstätte der Marine – das Priesterseminar im orthodoxen Kloster Aya Triada, einem imposanten Bau auf einem vorgelagerten Hügel der Insel, die für die Griechen nach wie vor Chalki heißt. Vom Meer aus sieht man das Kloster schon von Weitem. Bei gutem Wetter wächst es quasi aus den Baumwipfeln hervor, jetzt im Herbst schimmert es durch den Nebel und ist nur für Eingeweihte zu erkennen.
Am Fähranleger in Heybeliada verlässt der Priester das Schiff und macht sich auf seinen Marsch hoch zum Kloster. Dieses in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Osmanischen Reich errichtete Kloster liegt inmitten eines sorgsam gepflegten mediterranen Gartens, der von leuchtenden Blumen, Zitrusbäumen und Palmen geprägt ist.
Wie in einer anderen Welt
Sobald man das Eingangsportal durchquert, befindet man sich in einer anderen Welt. Mit dem Betreten des Klosters öffnet sich ein Blick in die Vergangenheit. Als das Kloster 1844 mit der ausdrücklichen Erlaubnis des damaligen Sultans gebaut wurde, machten christliche Griechen und Armenier noch gut die Hälfte der Istanbuler Stadtbevölkerung aus. Die Stadt, von den Griechen bis heute Konstantinopel genannt, hatte rund 80 Kirchen, Dutzende Schulen, Krankenhäuser und andere konfessionelle Institutionen. Auf der benachbarten Prinzeninsel Büyükada, für die Griechen bis heute Prinkipo, steht noch immer ein großer Holzhauskomplex, der früher das griechische Waisenhaus der Stadt war.
Im Kloster auf Chalki gründete das griechisch-orthodoxe Patriarchat ihre Ausbildungsstätte für Priester, eine theologische Hochschule, an der junge gläubige Männer aus allen Teilen des Osmanischen Reiches, von Ägypten bis Bosnien, zu den führenden Theologen der griechisch-orthodoxen Kirche ausgebildet wurden.
Das Priesterseminar überlebte das Ende der Sultans-Herrschaft, den Ersten Weltkrieg, den Zerfall des Osmanischen Reiches und die Gründung der Türkischen Republik. Schließlich lebten bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts immer noch weit über 100.000 orthodoxe Griechen in Istanbul, und Konstantinopel blieb das weltweit wichtigste orthodoxe Patriarchat, auch wenn der türkische Staat den Patriarchen nur als Bischof der griechischen Gemeinde in Istanbul anerkannte.
Laut Gesetz müssen die Priester türkische Staatsangehörige sein, in der Türkei geboren
Das Priesterseminar von Chalki, sagen heute noch Absolventen der theologischen Hochschule, war immer die fortschrittlichste Ausbildungsstätte der Orthodoxie weltweit. Professor Konstantinos Delikostantis ist mit seinen 73 Jahren einer der letzten noch lebenden Absolventen des Chalki-Priesterseminars, das vor 54 Jahren auf Anordnung der damaligen Militärregierung geschlossen wurde. „Was unsere Ausbildung damals auszeichnete“, erzählte er vor vier Jahren Susanne Güsten, einer Reporterin des Deutschlandfunks, „war der weltoffene und ökumenische Geist in Chalki“.
Trotzdem wurde das Priesterseminar 1971 nach 127 Jahren erfolgreicher Ausbildungszeit geschlossen. Es wurde Opfer zunehmender türkisch-griechischer Spannungen, die durch die Unterdrückung der türkischen Minderheit auf Zypern entstanden waren.
Seit Zypern 1960 von den Briten in die Unabhängigkeit entlassen worden war, kämpften griechische Nationalisten für den Zusammenschluss (Enosis) mit Griechenland. Die Türken sollten verschwinden. Als sich in Athen das Militär 1967 an die Macht putschte, nahmen die Spannungen auf Zypern zu. Überfälle auf türkische Dörfer häuften sich, bewaffnete Milizen beider Seiten lieferten sich heftige Gefechte. Regierungschef auf Zypern war damals Erzbischof Makarios, der im Priesterseminar auf Chalki ausgebildet worden war. Für türkische Nationalisten wurde die theologische Hochschule auf Heybeliada damit zum roten Tuch. Die Schule wurde dichtgemacht.
Der heutige Patriarch der orthodoxen Kirche in Konstantinopel, Bartholomäus I., ist ebenfalls ein Absolvent des Priesterseminars auf Chalki. Bartholomäus ist nicht irgendein Bischof, sondern er gilt als das spirituelle Oberhaupt der gesamten weltweiten 300 Millionen orthodoxen Christen. Zwar ohne Amtsgewalt in den unabhängigen nationalen orthodoxen Kirchen, aber dennoch in einer weltweit herausgehobenen Stellung, weil das Patriarchat von Konstantinopel seit dem 4. Jahrhundert, als die christliche Kirche in Ostrom Staatskirche wurde, bis heute als führendes Patriarchat weltweit gilt.
Bartholomäus I. ist Primus inter Pares der orthodoxen Kirche und moderiert deshalb auch in Konflikten zwischen einzelnen Landeskirchen, so auch zwischen der russischen und der ukrainischen Kirche, wo er sich zuletzt auf die Seite einer unabhängigen ukrainischen Kirche stellte. Bartholomäus hält die Tradition seiner Hochschule hoch; er ist ein weltoffener Theologe, der sich seit Langem für die Wiedervereinigung der orthodoxen mit der katholischen Kirche einsetzt, zum Missfallen vieler reaktionärer Priester seiner Kirche.
Sein Herzensanliegen aber ist die Wiedereröffnung des Priesterseminars in Chalki, nicht nur aus theologischen Gründen, sondern weil davon auch die weitere Existenz der griechischen Gemeinde in Istanbul und das Überleben des Patriarchats in Konstantinopel abhängt. Laut türkischem Gesetz müssen die Priester der orthodoxen Kirche türkische Staatsangehörige sein, die in der Türkei geboren wurden. Da das Priesterseminar seit über 50 Jahren geschlossen ist, konnte die Kirche in Konstantinopel keinen Priesternachwuchs mehr ausbilden.
In der gesamten Türkei leben heute nur noch rund 2.000 griechisch-orthodoxe Christen, die meisten davon in Istanbul. Nur mit großer Mühe halten die wenigen alten Priester den Betrieb in den griechischen Kirchen aufrecht, auch immer mehr griechische Konfessionsschulen müssen schließen. In diesen Tagen erlebt die älteste und größte griechische Schule, ein imposanter Bau über dem Goldenen Horn, ihr Ende. Es gibt zu wenig Schüler und die griechische Gemeinde kann das Geld nicht mehr aufbringen, das nötig wäre, um den Bau erdbebensicher zu machen.
Neues Leben für die griechische Gemeinde
Die Wiedereröffnung des Priesterseminars könnte der griechischen Gemeinde in Konstantinopel neues Leben einhauchen und vor allem auch einen Kandidaten für die Nachfolge von Bartholomäus hervorbringen und die Existenz des Patriarchats sichern. Nach einigen Anläufen, die immer scheiterten, ist Bartholomäus jetzt sicher, dass es 2026 klappt.
Da er als Bischof auch für die orthodoxe Kirche in den USA zuständig ist, traf er sich am 15. September im Weißen Haus mit Donald Trump, der ihm seine Unterstützung für das Priesterseminar zusagte. Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan zehn Tage später ebenfalls seinen Antrittsbesuch im Weißen Haus machte, sprach Trump das Thema an. Und nahm Erdoğan das Versprechen ab, das Priesterseminar wieder öffnen zu lassen.
Vor Ort in Chalki sind sie bereits seit Längerem mit der Renovierung des Klosters beschäftigt. Die Klassenzimmer stehen bereit. Beim Rundgang durchs Kloster treffen wir unseren Priester von der Fähre wieder. Er heißt Dimitrios und kommt aus Thessaloniki. Er ist seit fünf Jahren in Chalki und sorgt mit vier anderen jungen Kollegen aus Griechenland für die Aufrechterhaltung des klösterlichen Lebens. Anders als sein Patriarch ist er skeptisch, was die Wiedereröffnung der Schule angeht. „Wir haben das schon so oft gehört“, sagt er, „am Ende ist es jedoch nie passiert.“ Wenn er recht hat, würde das wohl auch das Ende der fast 2000 Jahre alten orthodoxen Kirche in Konstantinopel bedeuten.





















