Premiere an den Kammerspielen: “Wallenstein” als Söldner-Serie – München | ABC-Z

Es geht schon mit dem Foto los, auf dem Samuel Koch in einem großen Topf steckt, nur sein Kopf und seine Beine ragen heraus. Oder mit jenem, auf dem er mit dreckverschmiertem Gesicht über einer zerdrückten Hotdog-Masse hängt, vor sich ein Bier. Sie sind im Sommer entstanden, lange vor den „Wallenstein“-Endproben im Herbst. Fotograf Armin Smailovic hat sie mit Blick auf diese große Premiere gemacht, die den Kammerspielen nun mit dem „Wallenstein“ ins Haus steht. Das Signal war klar: Hier kommt etwas Unorthodoxes, Ausgelassenes, Überbrodelndes.
Man könnte auch sagen: Es kommt eine Inszenierung von Jan-Christoph Gockel. Der Kammerspiele-Hausregisseur hat sich den dreiteiligen Klassiker von Friedrich Schiller um den Dreißigjährigen Krieg, den Feldherren Wallenstein, dessen Verrat und Tod vorgenommen. „Das umfangreiche Werk hält uns alle in Atem“, sagt er kurz vor der Premiere. Seit mehr als zwei Jahren arbeite er daran, drei Monate war Zeit für die Proben. Nun kommt die Inszenierung am 4. Oktober heraus – sie wird inklusive dreier Pausen sieben Stunden dauern.

Gockel bezeichnet sich selbst als ein „Mega-Fan“ von langen Produktionen. Er empfinde das als eine „gemeinsame Reise“, wenn alle „die Geschichte miteinander erleben“. Für ihn ist das ein bisschen damit vergleichbar, als Serien noch linear im Fernsehen ausgestrahlt wurden und alle am nächsten Morgen über die Entwicklungen gesprochen haben. Sein „Wallenstein“ wird quasi ein geballter Serienabend. „Es ist definitiv Binge-Watching“, sagt er, der Abend sei „ein Zeitgemälde und gleichzeitig eine mehrteilige Serie“.
Sieben Teile hat dieser „Wallenstein“, „oder ich würde sagen: sieben Gänge“, so Gockel. Gänge deshalb, weil es eine der kühnen Regie-Ideen ist, eine Großküche auf die Bühne zu stellen und Annette Paulmann als Wallensteins Gegenspieler Octavio Piccolomini ein mehrgängiges italienisches Menü kochen zu lassen. Auf der Bühne wird es auch eine große Tafel geben, ausgeloste Zuschauerinnen und Zuschauer dürfen dort essen, was Paulmann zubereitet. Sie soll, was viele Quellen bestätigen, eine hervorragende Köchin sein. Eine ebensolche Schauspielerin ist sie ja eh.

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Vom siebenstündigen „Wallenstein“ an den Kammerspielen bis zu Rainald Goetz am Residenztheater: Die Sommerpause ist vorbei und die Theater eröffnen mit vielen und großen Premieren.
Warum aber überhaupt dieses Kochen? Ursprünglich, sagt Gockel, habe ihn am „Wallenstein“ die Söldner-Geschichte interessiert, dieses „krasse Thema, dass mit dem Krieg damals wie heute Geld verdient wird“. Als dann Jewgenij Prigoschin mit seiner Söldnertruppe Wagner im Juni 2023 gen Moskau marschierte, wurde dieses Thema virulent. Die umfangreichen Recherchen, die immer Teil einer Gockel-Inszenierung sind, begannen. Prigoschin sei auch als „Putins Koch“ betitelt worden, ihm gehörte ein Restaurant-Imperium, das er damals ganz simpel mit einem Hotdog-Stand begonnen habe. „So kam das Kochen mit rein“, sagt Gockel.
Serge Okunev, der aus Russland stammt und diesmal Teil des künstlerischen Teams um Gockel ist, habe einen ehemaligen Söldner aus der Wagner-Truppe ausfindig gemacht. Die mit ihm geführten Interviews fließen in den Abend ein, zwei Teile leben von dem Recherchetext. „Das ist wie in Wallensteins Lager heute“, sagt der Regisseur.
Wer die Arbeiten von Jan-Christoph Gockel kennt, weiß, dass er den Einsatz einer Vielzahl von Theatermitteln liebt. So gibt es neben dem Live-Kochen auch Livemusik von Maria Moling und den Einsatz von Live-Videos, die unter anderem direkt von der Maximilianstraße gesendet werden. „Diese Kulisse ist unbezahlbar. Dieses ganze Oligarchentum haben wir vor der Haustür“, sagt der Kammerspiele-Hausregisseur.

Nicht zu vergessen ist sowieso das „Wallenstein“-Ensemble. Es ist überwiegend weiblich besetzt, um noch einmal ein auffälligeres Zeichen zu setzen, dass Männlichkeit oft nur eine Darstellung, eine Pose ist. Wobei Gockel nachschiebt, dass er unabhängig vom Geschlecht so besetzt habe, dass es zur Rolle passt. „Es geht darum, den Charakter zu erwischen“, betont er.
Den zentralen Charakter Wallenstein hat er mit Samuel Koch besetzt. Lange schon haben sie miteinander arbeiten wollen, gemeinsam mit Michael Pietsch. Pietsch ist Schauspieler, Puppenbauer und Puppenspieler. Für Gockels Inszenierungen fertigt er stets die Figuren an, seine Werkstatt liegt unterhalb der Therese-Giehse-Halle. Natürlich sind auch dieses Mal seine Puppen dabei, kombiniert mit etwas extrem Ungewöhnlichem: Samuel Koch wird zu einem gewissen Zeitpunkt als eine menschliche Marionette zu sehen sein, geführt an Fäden.
Koch zeigt sich ohnehin als ein experimentierfreudiger Schauspieler. Seit seinem Unfall bei „Wetten, dass.. ?“ ist er querschnittsgelähmt, doch schon sehr bald fand er Wege, seinen Körper in all seiner Zerbrechlichkeit auf der Bühne einzusetzen. Ein Schauspielerkollege beispielsweise klebte sich mit Samuel Koch mit Klebeband zusammen, so spielten sie in verschiedenen Produktionen. Jetzt also geht er noch einen Schritt weiter.

„Ich freue mich sehr über diese Aufgabe“, sagt er. Der Probenprozess sei ein Ringen, die Figur zu finden. „Mein Bedürfnis war, im Wallenstein den menschlichen Kern herauszuschälen, das, was ihn antreibt.“ Die Frage sei, was Verletzungen wie Nicht-Gesehen-Werden oder schlechte Behandlungen für Effekte auf jemanden haben? Und was bedeutet das, wenn diese Person Macht hat?
„Das Thema der Eigen- und Fremdbestimmung zieht sich durch den Abend“, sagt Koch. Dabei sei „in unserem Stück nicht ersichtlich, wer die Fäden in der Hand hat“. Zusätzlich sei für sie der Schillersche Satz leitmotivisch: „Es ist der Geist, der sich den Körper baut.“ Dies werde mit der menschlichen Marionette versinnbildlicht.
Doch gelingt es Wallenstein, dem alten Zauderer, sich rechtzeitig seinen Körper zu bauen? Das wird zu sehen sein in der neuen Söldner-Serie in den Kammerspielen.
Wallenstein. Ein Schlachtfest in sieben Gängen, Premiere: 4. Oktober, 15 bis 22 Uhr, Münchner Kammerspiele





















